Politik

Merkel entmachtet BND: USA kontrollieren Spionage in Deutschland

Lesezeit: 4 min
07.06.2016 16:00
Das neue BND-Gesetz ist fertig. Es wird den deutschen Geheimdienst weiter beschneiden. Schon heute sind die deutschen Dienste jenen der USA hoffnungslos unterlegen. Der BND verliert mit seiner Beschränkung vor allem die Möglichkeit, deutsche Unternehmen gegen US-Wirtschaftsspionage zu schützen.
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Die große Koalition hat sich auf eine Reform des Bundesnachrichtendienstes (BND) verständigt. Dies bestätigten Koaltionskreise am Dienstag unter Bezugnahme auf eine Einigung bereits am Freitag als Ergebnis einer Runde im Kanzleramt. An dem finalen Gespräch nahmen den Angaben zufolge neben Kanzleramtschef Peter Altmaier, Innenminister Thomas de Maiziere und Justizminister Heiko Maas auch Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche sowie mehrere Fachpolitiker der Unions- und SPD-Fraktion teil. Dem BND soll nun untersagt werden, Staaten der Europäischen Union und ihre Bürger sowie EU-Institutionen auszuspionieren. Ausnahmen solle es bei Terrorismusverdacht geben.

Zentraler Punkt aus Sicht der Transatlantiker: Auch Wirtschaftsspionage soll dem Dienst ausdrücklich verboten werden. Bei Maßnahmen zur strategischen Fernmeldeaufklärung im Ausland mit Hilfe bestimmter Suchbegriffe sollten künftig der BND-Präsident, das Kanzleramt sowie ein unabhängiges Richtergremium zustimmen, hieß es weiter. Auch sollen im Gesetz genaue Bedingungen formuliert werden, unter denen solche Kommunikationsüberwachungen möglich sind.

Damit ist der BND im Hinblick auf die Spionage-Abwehr faktisch entmannt und völlig an die politische Kandare genommen, und zwar die der Kanzlerin. Europäische Geheimdienst-Experten bestätigen den Deutschen Wirtschafts Nachrichten, dass der BND durch das neue Gesetz seine wichtigsten Aktionsmöglichkeiten verliert. Schon bisher sei der BND nicht mehr in der Lage, die von den Amerikanern geführte technische Infrastruktur zu nutzen und die Ergebnisse auszuwerten.

In der Praxis bedeutet dies: Die US-Dienste können weiter ungehört in Deutschland jedes Unternehmen und jedes Individuum abhören. Der BND muss den Amerikanern zwar technische und logistische Unterstützung anbieten, ist jedoch fachlich nicht mehr in der Lage, die Daten selbst auszuwerten. Die direkte Anbindung an das Kanzleramt schließt die parlamentarische Kontrolle aus, wenn es darum geht, welche Daten an die Amerikaner weitergegeben werden und welche nicht. Die US-Dienste betrieben massive Wirtschaftsspionage in Deutschland und begründen dies mit dem Nato-Gesetz und dem immer noch geltenden Bündnisfall nach dem 11. September 2001.

Die Kontrolle durch das Kanzleramt ist für Beobachter aus Geheimdiensten eine Schlüssel-Entscheidung. Ein europäischer Experte sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: "Faktisch wurde die gängige (illegale oder grenzwertige) Praxis in ein Gesetz gegossen. Eine Dominanz der US-Dienste kann ich hier nicht herauslesen. Ich würde sogar in die andere Richtung argumentieren. Der BND erhält einen Abhörfreibrief, ebenso wie der Verfassungsschutz. Beiden haben nunmehr das Potential, ein Staat im Staat zu sein. Faktisch ist es aber vor allem die Aufwertung der Kanzleramtes und damit der Kanzlerin in außenpolitischen Fragen."

Genau darin sehen andere Beobachter die Stärkung der US-Dienste, weil Merkel konsequent mit den USA als wichtigstem transatlantischen Partner zusammenarbeitet. Der Experte sieht allerdings auch einen möglichen, unfreiwilligen Vorteil für Deutschland: "Der nächste Kanzler muss nicht unbedingt ein bedingungsloser Transatlantiker sein: Was immer er ist: Er hat einen veritablen Nachrichtendienst an seiner Seite."

Der Experte geht sogar einen Schritt weiter und sieht in den Gesetzen eine mögliche, vorsichtige Ablösung von der US-Vorherrschaft bei den Diensten: "Die Abhängigkeit von den US-Diensten ist aktuell enorm. Beide Gesetze haben jedoch eines gemeinsam, und das scheint auch einer längerfristigen deutschen Strategie zu folgen. Man riskiert derzeit keinen abrupten Abbruch der Kooperation mit den Amerikanern. Das wäre für Deutschland in dieser Gefährdungslage töricht und gefährlich. Was diese Gesetze ausmacht, ist der Einbau von Sollbruchstellen für bisherige Kooperationen und Kooperationspartner. Diese Sollbruchstellen sind ab Inkrafttreten politisch definiert. Das unterscheidet diese Ansätze von früheren. Das heißt, das es keinen Automatismus für die Fortführung solcher Abhängigkeiten mehr gibt. Es bedeutet aber auch die Entmachtung der BND-Bürokratie. Es ist somit zu erwarten, dass der BND schon sehr bald auch eine technische Aufrüstung erfahren könnte, um dann diese Sollbruchstellen im Bedarfsfalle auszulösen."

Deutsche Unternehmen sind in den vergangenen Jahren immer wieder von den US-Diensten ausgespäht und massiv unter Druck gesetzt worden. Dies war, so ein Geheimdienstexperte zu den DWN, vor allem im Fall Siemens evident. Auch bei der VW-Affäre wird vermutet, dass die US-Dienste ihre Finger im Spiel haben.

Eine besondere Rolle dürfte auch die neue geopolitische Lage spielen: Die Nato hat Russland zum Feind erklärt. Im neuen Weißbuch des Bundeswehr wird Russland vom Partner zum Rivalen herabgestuft. Im Zuge neuer Spannung spielen Aufklärung und Desinformation eine wichtige Rolle. Im Zuge der Ukraine-Krise war es zu einem Streit zwischen Außenminister Steinmeier und der US-Aufklärung gekommen: Steinmeier hatte die Amerikaner öffentlich kritisiert, weil sie falsche Informationen über die Lage im Donbass lanciert hatten.

Die "Reform" war nötig geworden, nachdem die deutsche Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten mit einigen mehr oder weniger erheblichen Affären des BND vertraut gemacht wurde. Diese haben die Forderung laut werden lassen, den BND strengeren Kontrolle zu unterwerfen und Abhöraktionen auf eine neue gesetzliche Grundlage zu stellen.

Die Reform lag in den vergangenen Monaten auf Eis. Bei der Bekanntgabe der Ablösung von BND-Chef Gerhard Schindler im April hatte die Bundesregierung aber versichert, dass noch in diesem Jahr eine Novelle des BND-Gesetzes verabschiedetet werden solle. Nach Möglichkeit soll ein Entwurf nun noch vor der Sommerpause im Kabinett beraten werden. Das Vorhaben solle verknüpft werden mit der geplanten Reform des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags, hieß es.

Der Auslandsgeheimdienst war in den vergangenen Jahren mehrfach in die Kritik geraten. Der Behörde wurde unter anderem ein zu großes Eigenleben vorgeworfen. So hatte der BND an seinem Horchposten in Bad Aibling Suchbegriffe des US-Nachrichtendienstes NSA verwendet, um europäische Verbündete auszuspionieren. Originellerweise hat es für die NSA nicht die geringsten Konsequenzen gegeben - die Überwachung der Deutschen durch die US-Dienste erfolgt bis zum heutigen Tag. US-Präsident Barack Obama hatte ausdrücklich lediglich angekündigt, das Handy von Angela Merkel nicht mehr überwachen lassen zu wollen. Eine Initiative zum Schutz der Bundesbürger durch die Regierung ist nicht ergriffen worden. Nach Einschätzung von Geheimdienstfachleuten ist die technische Überlegenheit der US-Dienste, etwa bei der Auswertung der Selektoren, bereits so groß, dass der BND zu einer wirksamen Spionage-Abwehr ohnehin nicht mehr in der Lage ist.

Um den BND in Misskredit zu bringen, wurde die Reputation des Dienstes nachhaltig beschädigt. Die US-Dienste sind zu diesem Zweck vor allem im Internet sehr aktiv. Der BND-Präsident Schindler war zuletzt zum Rücktritt gezwungen worden, nachdem sich der Dienst kritisch zu Saudi-Arabien geäußert hatte.

Innerhalb des BND gibt es einen erbitterten Kampf zwischen jenen, die den Dienst im deutschen Interesse führen wollen und den Transatlantikern, die im BDN vor allem einen untergeordneten Dienstleister für die US-Interessen sehen.


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