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EZB-Urteil: Londoner Jurist erwartet „Rechtsbeugung“ durch Karlsruhe

Lesezeit: 10 min
06.06.2013 02:29
Das Bundesverfassungsgericht wird der EZB grünes Licht zum Geld-Drucken geben. Der Londoner Top-Jurist Gunnar Beck sieht darin eine Rechtsbeugung. Die Motivation des Gerichts kann nur verstehen, wer die engen Verflechtungen von Karlsruhe mit den Investment-Banken und der Politik kennt. Ein Sittenbild.
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Gunnar Beck, Professor für EU-Recht an der University of London (UCL), geht davon aus, dass das Bundesverfassungs-Gericht der unerlaubten Staatsfinanzierung durch die EZB zustimmen wird. Alternativ könnte Karlsruhe das Thema an den Europäischen Gerichtshof weiterreichen. Damit würde das Gericht seine Gerichtsbarkeit freiwillig aus der Hand geben – was ein Verstoß gegen das Verfassungs-Recht ist. Beck sieht in einem Beitrag für die Deutschen Wirtschafts Nachrichten einen fortgesetzten Prozess der Rechtsbeugung durch Karlsruhe. Der Grund für dieses Verhalten finde sich in der engen Verflechtung des Gerichts mit Politik und Banken.

Gunnar Beck analyisiert:

Investmentbanken und Finanzinvestoren sind sich sicher: Auch in der bevorstehenden Verhandlung über das OMT-Programm der EZB wird sich das Bundesverfassungs-Gericht erneut in seiner herausragenden rechtsbeugenden Rolle in der Eurokrise betätigen.

Am 11. und 12. Juni verhandelt das Bundesverfassungsgericht in öffentlicher Anhörung über das von Mario Draghi angekündigte Programm zum unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen aus Euro-Krisenländern. Draghi hatte das „OMT“ genannte Programm im August 2012 angekündigt. Im September 2012 wurde es vom Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) gegen den Widerstand der Bundesbank beschlossen.

Noch vor Verkündigung des nominell nur vorläufigen Urteils zum ESM vom 12 September 2012 legte der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler gegen die mutmaßliche Mandatsüberschreitung und gemäß EU-Vertrag verbotene Staatsfinanzierung durch die EZB Klage ein. Der Klage Gauweilers haben sich über 35.000 Bürger angeschlossen. Mit einer Urteilsverkündung noch vor der Bundestagswahl rechnet nun kaum noch ein Beobachter.

Für europäisches Recht ist in erster Linie der EuGH zuständig. Das Verfassungsgericht hat sich jedoch in früheren Entscheidungen eine entscheidende Kontrollfunktion vorbehalten. Der Grund hierfür liegt im völkerrechtlichen Verständnis der EU als Vertragsorganisation.

Die EU ist (noch) kein Staat, also kein souveränes, völkerrechtliches Subjekt, dessen staatliche Institutionen sich gemäß gültiger innerstaatlicher Verfassung und unter Beachtung völkerrechtlicher Verpflichtungen selbst Machtbefugnisse geben.

Die EU ist nur befugt zu handeln, sofern die Mitgliedstaaten sie dazu durch die EU-Verträge ermächtigen. Sie hat also im engen Sinne noch keine eigene Verfassung. Sie ist hingegen durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten begrenzt. In Deutschland dürfen Bundesregierung und Bundestag nur staatliche Rechte und Befugnisse abtreten, sofern das Grundgesetz dies gestattet. Ob ein Transfer von Hoheitsrecht verfassungsgemäß ist, entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

Sollte eine europäische Institution ihre Kompetenzen erheblich überschreiten, wäre ihr Handeln zudem nicht mehr durch die deutsche Zustimmung zu den EU-Verträgen gedeckt – und damit wäre es auch ein Verstoß gegen deutsches Verfassungsrecht. Das OMT-Programm der EZB ist in Augen der Kläger genau solch eine verfassungswidrige Mandatsverletzung. In einem ausführlichen Gutachten fordert daher der ehemalige Verfassungsrichter di Fabio ein Verbot des EZB-Programms durch das Verfassungsgericht (hier). Ähnlich äußern sich der ehemalige Bundesminister und Verfassungsrechtler Rupert Scholz und auch die führenden Nationalökonomen Hans-Werner Sinn und Clemens Fuest.

Ein aufschlussreicher Beleg für wirtschaftliches Unverständnis und politische „Weitsicht“ des Gerichts findet sich im Maastricht-Urteil, in dem das Bundesverfassungsgericht vor rund zwanzig Jahren Bedenken gegen die Entmachtung der Bundesbank und Abschaffung der D-Mark vor allem mit Verweis auf das Bail-out-Verbot als unbegründet verwarf.

„Die Bundesrepublik Deutschland“, so die Richter, „unterwirft sich mit der Ratifikation des Unions-Vertrags nicht einem unüberschaubaren, in seinem Selbstlauf nicht mehr steuerbaren ,Automatismus‘ zu einer Währungsunion“.

Mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV) und dem Beistandsverbot (Art. 125 AEUV), so betont das vom damaligen Vorsitzenden Paul Kirchhof verfasste Urteil, biete der Unions-Vertrag ausreichende Gewähr gegen zukünftige finanzielle Begehrlichkeiten unter den Euro-Mitgliedstaaten und eine mögliche Transferunion.

Befürchtungen der Eurogegner seien somit unbegründet. Soviel zum richterlichen Urteilsvermögen, an das Kirchhof und seine Kollegen heute nur ungern erinnert werden. Nach dem politisch willfährigen ESM-Urteil vom 12. September, mit dem das Gericht das Nichtbeistandsgebot endgültig juristisch zu den Akten gelegt hat, bietet das noch ausstehende Verfahren gegen das OMT-Programm, nun die letzte Möglichkeit, Recht und ökonomischen Verstand gegen politischen Kurzzeit-Opportunismus und die allmähliche Enteignung von Sparern und Steuerzahlern zu behaupten.

Im Hinblick auf die anstehenden Anhörungen haben sowohl die EZB wie auch die Bundesbank aufschlussreiche schriftliche Stellungnahmen abgegeben. Im Verfahren selbst soll der im Zuge der Finanzkrise immer wieder als Fürsprecher zwielichtiger und maroder Banken in Erscheinung getretene EZB-Direktor Jörg Asmussen seinen Chef Draghi gegen Bundesbankpräsident Weidmann vertreten.

In ihrem Gutachten argumentiert die EZB vor allem, dass die höheren Risikoaufschläge auf Anleihen der Krisenländer weitgehend spekulativ begründet seien, d.h. Marktbefürchtungen eines Ausscheidens einzelner Länder aus der Eurozone widerspiegelten. So sei der zinspolitische Transmissionsmechanismus gestört, das Zinssignal durch den historischen Niedrigzins der EZB schlage sich also in den Krisenländern nicht in den gleichen niedrigen Zinsen wie Deutschland, Finnland oder den Niederlanden nieder.

Voraussetzung für eine effektive Geldpolitik der EZB sei somit vordringlich die Sicherung des Fortbestandes der Eurozone mit ihren gegenwärtigen Mitgliedern. Zwingt der Markt einigen Staaten zu hohe Zinsen auf, weil deren Verbleiben im Euroverbund nicht sicher scheint, müsse die EZB aus geldpolitischen Gründen auch deren Anleihen kaufen. Nur so lasse sicher die Risikoprämie beseitigen.

Das Staatsfinanzierungsverbot gemäß Art. 123 AEUV greife in diesem Fall nicht.

Außerdem bestehe in den Krisenländern die Gefahr einer Deflation, ein Preisverfall sei aber mit dem Preisstabilitätsgebot nach Artikel 127 AEUV nicht vereinbar. Überdies, so hat EZB Präsident Draghi mehrfach unterstrichen, heiße Preisstabilität keineswegs Nullinflation, sondern bedeute im Idealfall eine jährliche Inflation von um die oder knapp unter zwei Prozent.

Stabile Preise, so Draghi, heißt, dass diese im Jahr zwei Prozent steigen sollen, wobei die eigentlichen Preistreiber für die privaten Haushalte, etwa die Kosten für Eigenheime, Steuern und bedingt auch die Energiekosten, ohnedies nicht in die beschönigte offizielle Inflationsrate einfließen.

Von dieser sprachlichen Eigenmächtigkeit des neuen, allgewaltigen Herrschers über die Eurozone und dem Missbrauch des allgemeinen Sprachgebrauchs und Sprachverständnisses einmal abgesehen, ist vor allem die juristische Winkel-Advokatur der EZB besorgniserregend.

Wäre jedes Mittel zur Effektivitäts-Steigerung der Geldpolitik, auch eine mit fiskalischen Folgen, gleichsam Teil des EZB-Mandats, verwischte sich damit jede Unterscheidung zwischen Geld- und Fiskalpolitik schon im Ansatz.

Zudem täuscht der von der EZB mit der Abfassung des Gutachtens beauftrage und auch wohldotierte Professor Schorkopf geschickt darüber hinweg, dass Zinssätze stets nicht nur unternehmerische, sondern auch gesamtwirtschaftliche Risiken widerspiegeln.

Die Bundesbank, betont in ihrer intern verfassten Stellungnahme dagegen, dass die Rettung der Eurounion keinesfalls Aufgabe der EZB sei. Die derzeitige Zusammensetzung der Währungsunion könne die Notenbank allenfalls dann garantieren, wenn sie zur Verhinderung eines Austritts eine bedingungslose, unbegrenzte Finanzierung jedes Landes zusagte. Die ist ihr aber aufgrund des EU-Vertrages mit seinem Nichtbeistandsgebot und Staatsfinanzierungsverbot untergesagt.

Zudem seien unterschiedliche Risikoprämien nicht nur zu erwarten, sondern nahezu unvermeidlich, da, solange Wirtschafts- und Finanzpolitik in nationaler Eigenverantwortung verblieben, die wirtschaftliche Entwicklungen in den verschiedenen Ländern auch mit potenziell unterschiedlichen Risiken verbunden seien.

Des Weiteren widerspricht die Bundesbank der extrem weiten Auslegung ihres geldpolitischen Mandats durch die EZB, derzufolge umfassende Staatsanleihekäufe und andere, von der EZB im Rahmen der zur Sicherung der Liquidität angeschlagener oder eigentlich längst bankrotter Banken, geschaffenen Geldschwemme bereits ergriffene Maßnahmen zur Effektivitätssteigerung der Gelpolitik der EZB zulässig sein sollen.

Wäre eine Zentralbank zu allem legitimiert, was sich mit einiger Plausibilität als der Geldpolitik dienlich angesehen werden könnte, so wären die normativen Grenzen der Geldpolitik bereits ex ante wirkungslos und jede Grenze zur Fiskalpolitik verwischt.

Das, so argumentiert die Bundesbank, war aber nicht das der Verständnis bei Gründung der Währungsunion, das der Öffentlichkeit vermittelt wurde, und stellt überdies sowohl die Unabhängigkeit der Notenbank in Frage und damit die langfristige Preisstabilität.

Im Gegensatz zur EZB geht die Bundesbank in ihrer Analyse auch auf die möglichen, langfristigen gesamtwirtschaftlichen Folgen von Draghis OMT-Programm für die Eurozone ein. Werden im großen Umfange Anleihekäufe durchgeführt, so ergeben sich dadurch erhebliche Stabilitätsrisiken. Dies wäre selbst dann der Fall, wenn der Anleihekauf zu Beginn an strikte Konditionalität und ein von der EU überwachtes Sparprogramme gebunden sein sollte, wie es der ehemalige italienische Investmentbanker Draghi wiederholt zur Beschwichtigung seiner Kritiker in den nordeuropäischen Eurostaaten zugesichert hat.

Gekauft würden die Anleihen der höchstverschuldeten Eurostaaten mit niedrigerer Bonität. Geht deren Staatsverschuldung nicht wie erhofft zurück, oder erlahmen die Sparbemühungen in den betroffenen Staaten angesichts der bedrückenden sozialen Folgen, erhöhen sich die Bilanzrisiken für die EZB.

Solvenz-sicherende und preisstabilisierende Maßnahmen geraten unter diesen Umständen zunehmend in Widerspruch. Je weiter die monetäre Staatsfinanzierung und damit die von der EZB bereits eingeleitete Liquiditätsschwemme fortschreiten, desto schwieriger wird der Ausstieg. Umso geringer wird auch die Fähigkeit der Notenbank, die Preisstabilität langfristig auch nur noch annähernd sichern zu können.

Im Ergebnis wäre das die Außerkraftsetzung des Preistabilitäts-Gebots in Artikel 127 AEUV. Die würde das Ende der ohnedies schon fragwürdigen Unabhängigkeit der Notenbank bedeuten.

Im direkten Vergleich mit dem wirtschaftlichen Gesamtblick der Bundesbank, erscheint das EZB-Argument, auch Maßnahmen mit möglicherweise bedeutsamen fiskalischen „Kollateraleffekten“ seien dann geldpolitisch erlaubt, wenn sich die Geldpolitik anders nicht mehr umsetzen, und die Währungszone sonst womöglich nicht mehr retten lässt, eher als fragwürdige Winkeladvokatur des Jesuitenschülers und in den Macht-Korridoren der italienischen Hauptstadt und im Londoner Investment-Banking und Lobbyismus sozialisierten EZB-Präsidenten Draghi.

Dass die EZB-Anleihekäufe die Kapitalmarktbedingungen beeinflusst und erheblich vergünstigt haben, ist offenkundig. Dass die sogenannte Konditionalität - also die Umsetzung von Haushaltseinsparungen, die den dadurch geholfenen Staaten zur Auflage gemacht wird - letztlich nur ein Versprechen ist, ist ebenfalls offensichtlich. Die Einhaltung von Auflagen können, wenn die Anleihekäufe erst einmal ein kritisches Volumen erreicht haben, kaum mehr mit der Drohung einer Aufkündigung der Unterstützungskäufe erzwungen werden.

Dass solche Versprechen letztlich leere Worthülsen sind, legt schon die „unendliche Geschichte“ der Vertragsbrüche seit Euroeinführung nahe.

Den Stabilitätspakt mit seinem Defizit- und Verschuldungs-Höchstgrenzen brachen seit Gründung der Eurozone jährlich im Schnitt gut zwei Drittel aller Mitglieder. Die Kommission hat Frankreich und anderen Staaten vor wenigen Wochen mehr Zeit zur Reduzierung exzessiver Defizite gewährt (hier). Griechenland hat bislang trotz aller Beteuerungen kein einziges Schulden-Ziel erreicht. Auch Portugal kommt seinen Versprechen nicht nach.

Ergebnis jedes Vertragsbruchs und jedes nicht eingehaltenen Versprechens ist regelmäßig ein Aufschieben oder eine Streckung der Auflagen, ein neues Hilfspaket, oder ein Schuldenschnitt. Nur das kleine Zypern wurde bislang aufgrund seiner geringen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung für das Euro-Bankensystem rabiat zur Raison gebracht. Ansonsten zieht es die Eurogruppe vor, faulen Krediten erneut gutes Geld nachzuwerfen.

Bereits jetzt hat die EZB mindestens 209 Milliarden Euro an Staatsanleihen von klammen Eurostaaten in der Bilanz. Aus Protest gegen die ersten Anleihekäufe traten der damalige Bundesbankpräsident Axel Weber und der deutsche EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark mit Verweis auf die Illegalität des Handels des Notenbank zurück.

Zu den energischsten Befürwortern der rechtswidrigen Käufe gehörte bereits damals der öffentlich noch weithin unbekannte italienische Notenbankpräsident Draghi, der durch die strikte Einhaltung der Maastricht-Kriterien vor allem die in hohem Maße spekulativen Geschäftsinteressen der Londoner und New Yorker Investment-Banken bedroht sah.

Dazu muss man wissen, dass nicht nur Draghi selbst in führender Position bei der US-Investment Goldmann Sachs anheuerte, nachdem er in den 1990er Jahren italienische Unternehmen vielfach erheblich unter Wert an internationale Investoren und Banken verscherbelte.

Auch Draghis Sohn Giacomo ist bei Morgan Stanley als Zinshändler tätig – ein klarer Interessenkonflikt des Notenbankers, der noch dadurch an Brisanz gewinnt, dass Morgan Stanley, seit Draghi EZB-Ratsmitglied und Präsident wurde, erstaunlich zuverlässige Vorhersagen über die Zinspolitik der EZB macht und dabei Milliarden mit Euroderivaten verdient hat.

Kaum neun Monate im Amt des EZB-Chefs, setzte sich der seitdem zum EZB-Chef avancierte Draghi selbstbewusst über die Bundesbank hinweg und kündigte im August letzten Jahres unbegrenzte Anleihekäufe zur Sicherung der Eurozone an.

Dass sich damit die EZB nun endgültig über sämtliche rechtstaatlichen Schranken hinwegsetzt und Draghi mit seinem OMT-Programm fiskalpolitische Ziele im Auge hat, ergibt sich schon daraus, dass er den Anleiheaufkauf explizit an von der EU-Kommission überwachte Sparprogramme bindet.

Handelte es sich um Geldpolitik, wie Draghi mit Verweis auf die vermeintlich gestörte Übertragung des EZB-Zinssignals vorgibt, müsste die EZB handeln, gleichgültig ob der betroffene Staat dem Sparprogramm zustimmt oder nicht.

Noch verdächtiger ist die Tatsache, dass die EZB bislang genau immer dann Anleihen kaufte, wenn ein Staat aufgrund rasch steigender Kapitalmarktzinsen in Bedrängnis kam - und zwar stets nur die Anleihen der bedrängten Staaten. Auch in Zukunft will Draghi nur Anleihen der Staaten kaufen, denen der Kapitalmarkt zu hohe Zinsen abverlangt.

Genau das aber ist die Definition monetärer Staatsfinanzierung, die laut EU-Vertrag eindeutig verboten ist.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit des OMT-Programms hat selbst das bislang in EU-Fragen so fügsame Bundesverfassungsgericht. So heißt es doch in einer Notiz der Randziffer 278 im ESM-Urteil vom 12 September, dass „ein Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank, der auf von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten zielte, … als Umgehung des Verbotes monetärer Haushaltsfinanzierung ebenfalls untersagt“ sei.

Entschieden ist damit freilich nichts. Randziffer 278 ist für das anstehende Hauptverfahren nicht bindend, handelt es sich doch nur um ein obiter dictum, das der 2. Senat auf Drängen des einzigen kritischen Senatsmitglieds, Richter Huber, in das vorläufige Urteil aufnahm.

Allzu leicht wird in diesem Zusammenhang übersehen, dass die Richter am Bundesverfassungsgericht nicht nur auf Grundlage ihrer juristischen Befähigung, sondern ausnahmslos auf Empfehlung der in Fragen der EU-Politik fast nicht zu unterscheidenden, etablierten Bundestagsparteien ernannt werden - also in der Mehrheit von SPD und CDU.

Insbesondere Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle, der selbst der SPD nahesteht, aber dennoch gute Zusammenarbeit mit der jetzigen Bundesregierung pflegt, scheint entschlossen, der EZB freie Hand zu lassen.

Im Oktober relativierte Voßkuhle im Handelsblatt den Inhalt der Randziffer 278 kaum einen Monat nach Urteilsverkündung, indem er erklärte, aus „Zeitgründen“ werde sich das Gericht noch monatelang nicht zu den EZB-Anleihen im noch ausstehenden Haupturteil zum ESM äußern können.

Voßkuhle, so hatte das Handelsblatt bereits zuvor offengelegt, ist ausgewiesener Gegner der Verfassungsbeschwerde als Bürgerrecht und forderte in einem Kommentar zum Grundgesetz deren Abschaffung.

Der Eindruck der Befangenheit des höchsten deutschen Richters wird nach Einschätzung des Klägers Gauweiler durch seine engen Beziehungen zu führenden Politikern, etwa zu EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verstärkt, mit denen er im Kuratorium der Universitätsstiftung Freiburg enge Zusammenarbeit pflegt.

Der britische Guardian berichtete im letzten Sommer zudem, dass es noch während der Arbeit am ESM-Urteil eigentlich unerlaubten direkten Kontakt zwischen Karlsruhe und Bundesregierung „auf höchster Ebene“ gegeben haben soll.

Die Süddeutsche Zeitung sagte bereits Anfang September das ESM-Urteil vom 12. September genau voraus – dessen Inhalt war der EZB, der Bundesregierungen und führenden Investmentbanken bereits lange vor Urteilsverkündung aus dem Gericht zugespielt worden.

Ähnlich freimütig gibt sich das Gericht auch vor dem Verfahren gegen die EZB.

Bereits anlässlich eines Empfangs deutscher Studenten an der Universität Oxford im vergangenen Oktober – eigentlich ein eher ungewöhnlicher Rahmen für das Erscheinen des fünfhöchsten Mannes der Bundesrepublik und womöglich einer der Gründe für den Zeitmangel des Gericht – gab der Sinnesfreuden sichtbar zugetane Voßkuhle die Tendenz des Gerichts preis: Trotz der offensichtlichen Mandatsverletzung durch die Notenbank und der Bedenken der Bundesbank werde sich das höchste deutsche Gericht der EZB nicht in den Weg stellen. Er werde das Urteil bis auf weiteres hinauszögern und im Ergebnis ein Verbot von Draghis Anleihekäufen geschickt umgehen.

Der Deutsche Bank und anderen führende Banken liegen ähnliche, vielleicht etwas stilvoller übermittelte Information gleichen Inhalts vor.

Die ausgezeichnet informierte Nachrichtenagentur Reuters hat vor wenigen Tagen mit Verweis auf Gerichtsquellen berichtet, denkbar sei, das Verfassungsgericht werde erstmals den Europäischen Gerichtshof in der Frage der Anleihekäufe anrufen.

Dies wäre ein Novum, entledigte sich Karlsruhe doch damit der eigenen Gerichtsbarkeit. Diese sieht vor, dass Karlsruhe sämtliche Akte der europäischen Institutionen im Hinblick auf ihre Verfassungsmäßigkeit für das deutsche Hoheitsgebiet in letzter Instanz zu überprüfen habe.

Voßkuhle und seinen Kollegen bietet diese Option allerdings den Vorzug, die Verantwortung auf ein anderes Gericht abwälzen zu können, an dessen Integrationsfreundlichkeit in prinzipiellen Fragen nicht der geringste Zweifel besteht.

Alternativ ist denkbar, dass das BverfG die EZB-Anleihekäufe mit der bewährten „Ja, aber…“-Formel durchwinken wird: Ja zum OMT-Programm, aber die EZB müsse in Eigenverantwortung Sorge tragen, dass ihre Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit nicht durch die eigenen Geldpolitik zukünftig gefesselt werde. Parlamentarische Kontrollinstanzen dafür freilich könne es nicht geben.

Spätestens seit seinem Maastricht-Urteil vor Einführung des Währungsunion nimmt das Bundesverfassungsgericht weder sich selbst, noch das Recht oder den Wähler ernst.

Seit diesem Urteil vor zwanzig Jahren nimmt das Bundesverfassungsrecht in Fragen der europäischen Integration und bei der Demontage demokratischer Grundrechte eine herausragende rechtsbeugende Rolle ein.

Es ist rechtsstaatliches Selbstverständnis, dass sowohl Regierung und Parlament nur innerhalb der Grenzen der Verfassung handeln dürfen, und dass im Rahmen der Gewaltenteilung ein unabhängiges höchstes Gericht über etwaige Verstöße zu wachen hat.

Das politisch willfährige Bundesverfassungsgericht indessen entwürdigt den Rechtsstaat als Schönwetterveranstaltung. Das wird sich mit der Entscheidung im bislang wichtigsten Verfahren zur Eurorettung ein weiteres, angesichts der Tragweite der EZB-Politik entscheidendes, Mal erweisen. Glücklich ist, wer noch hofft, aus einem solchem Meer des Irrsinns auftauchen.

Gunnar Beck lehrt EU-Recht an der Universität London, arbeitet dort zudem als selbständiger Anwalt und ist Verfasser der Studie „The Legal Reasoning of the Court of Justice of the EU“, die im Januar bei Hart Publishing in Oxford erschienen ist. Ein ausführlicher Vortrag des Autors zum selben Thema ist auf der Webseite des CESifo-Instituts im Rahme der Vortragsreihe Münchener Seminar in englischer Sprache per Video verfügbar.

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