Politik

Hotspots für Flüchtlinge: Das hässliche Gesicht Deutschlands und der EU

Lesezeit: 7 min
12.12.2015 00:59
Auf Lesbos in Griechenland befindet sich der erste Hotspot für Flüchtlinge. Zoran Dobric hat ihn als erster europäischer Journalist undercover besucht – und ist entsetzt: Der Hotspot gleicht einem Hochsicherheitstrakt für Schwerverbrecher. Hier zeigen Deutschland und die EU ihr hässliches Gesicht: Es geht nicht mehr um den Schutz der Hilfsbedürftigen, sondern um Abschreckung - und wohl bald auch um Massen-Abschiebung.
Hotspots für Flüchtlinge: Das hässliche Gesicht Deutschlands und der EU
Der EU-Hotspot auf Lesbos, ein Gefängnis für Flüchtlinge. (Foto: Zoran Dobric)

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„Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.

Angela Merkel, September 2015

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Am 16. Oktober wurde der Hotspot in Moria auf Lesbos geöffnet und stolz der Öffentlichkeit als die Lösung der Flüchtlingskrise in Europa präsentiert. Insgesamt sollen es irgendwann elf Hotspots sein, sechs in Griechenland und fünf in Italien. Aktuell sind nur Lesbos und Lampedusa vorhanden, und auch diese beiden sind bestenfalls in halbfertigen Zustand. Doch in Lesbos bekommt man bereits einen Eindruck, was die EU mit diesen Hotspots will.

Auf einer Fläche von etwa einem Hektar ist eine Anlage entstanden, die eher einem Hochsicherheitstrakt für Schwerverbrecher ähnelt, als einem Zufluchtsort für aus einem Kriegsgebiet flüchtenden Menschen, die dringend internationalen Schutz benötigen. Das ehemalige Militärcamp wird von einem zweifachen, viereinhalb bis fünf Meter hohen Maschendrahtzaun – obendrauf Stacheldraht - umzingelt. Wachtürme, gefängnisartige Zonen, Wohn-Baracken und bewaffnete Wachebeamte. Koordiniert, kontrolliert und überwacht wird diese Anlage von der sogenannten Europäischen Agentur für operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - besser bekannt als FRONTEX.

Alle Flüchtlinge, die nach Lesbos kommen, müssen zum Hotspot in Moria, um einen Registrierungsbescheid zu bekommen. Das heißt: Jeder Flüchtling muss den Beamten bekannt geben, aus welchem Land er herkommt, wie er es nach Lesbos geschafft und warum er seine Heimat verlassen hat. Jeder wird fotografiert, Fingerabdrücke werden genommen. Wenn das alles erledigt ist, bekommen die meisten Syrer und Iraker eine Bestätigung, dass sie registriert sind. Mit einem Registrierungsbescheid dürfen sie weiter in Richtung Deutschland oder Schweden reisen.

Das grundsätzliche Problem in den Hotspots ist, dass das Registrierungsverfahren ein gewollt beschleunigtes ist. Das heißt: innerhalb von drei bis fünf Minuten müssen ausgehungerte, kranke und unter Schock stehende Menschen den Hotspot-Beamten glaubwürdig erzählen wo sie herkommen und warum sie nach Europa wollen. Dabei ist das erste Interview mit den Beamten entscheidend, ob der Flüchtling überhaupt in die EU einreisen darf oder nicht. Nicht für jede Sprache steht ein Dolmetscher parat. Das heißt, nur wenige Betroffene sind in der Lage den Beamten verständlich und klar ihre Fluchtgründe mitzuteilen – die meisten wissen nicht einmal ob sie von den Beamten verstanden wurden. Aydan Iyigüngör von der EU-Agentur für Grundrechte kritisiert: „Selbstverständlich dass die Verfahren beschleunigt werden dürfen, aber die Beschleunigung darf nicht bedeuten, dass die Qualität der Prüfungen der Flüchtlingsgründe darunter leidet.“

Über die Vorgehensweise im Hotspot werden Flüchtlinge kaum informiert. Sie alle wissen nicht genau was auf sie zukommt – wozu die Interviews, Fingerabdrücke, Fotos etc. und was weiter damit geschieht. Aydan Iyigüngör: „Es gibt noch keine definierte Vorgehensweise von A bis Z, die tatsächlich definieren, was die jeweiligen Verfahrensschritte sind und wie lange sie dauern.“

Die so begehrte Registrierungsbestätigung erhalten die Flüchtlinge auf Griechisch. Keiner von ihnen versteht also was auf dem wichtigen Papier tatsächlich geschrieben steht. Das ist aber dann das einzige Dokument, das an den weiteren EU-Grenzen zählt.

Offiziell ist die primäre Aufgabe des Hotspots Flüchtlinge die nach Europa wollen zu registrieren. In der Tat sind die Hotspot-Beamten wesentlich mehr damit beschäftigt, den Transporteuren und ihren Helfern auf die Spur zu kommen. Darum sind auch Mitarbeiter von Europol und den griechischen Behörden im Hotspot tätig.

Den Flüchtlingen nützt dieser Fokus überhaupt nicht: Die Flüchtenden wurden nämlich von allen im Stich gelassen und letzten Endes dazu gezwungen, alleine nach Überlebensmöglichkeiten zu suchen. Jetzt will die EU indirekt auch ihre Flucht für kriminell erklären, indem sie jene, die ihnen bei der Flucht helfen, wenn auch gegen enorm hohe Bezahlung, für Menschenschmuggler erklärt und jagt. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass an allen Grenzübergängen entlang der sogenannten „Balkanroute“ diesen „Menschenschmuggler“ mit den Grenzbehörden „kooperieren“.

Ein serbischer „Transporteur“ erzählt: „Wie im normalen Leben, gibt es auch hier eine Zweiklassengesellschaft. Zahlreiche Flüchtlinge ertrinken im Mittelmeer und hängen in dem ungarischen oder mazedonischen Stacheldraht. Diejenigen aber, die ich transferiert habe, reisen per Auto. Vor jedem Grenzübergang werden sie in einen kleinen Bus gebracht und direkt zum Grenzübergang gefahren. Der Grenzpolizist und die gesamte Schicht wissen, dass dieser Bus kommt und, dass in im Flüchtlinge sitzen. Warum sie dabei wegschauen, dürfen Sie raten. Jeder Grenzpolizist bekommt 50 Euro pro Flüchtling.“

Wenn die EU wirklich den „Menschenschmugglern“ den Strich  durch die Rechnung machen wollte, müssten sie genau gegen diesen Skandal vorgehen. Doch ihr primäres Ziel ist es, den Flüchtlingen den Weg in die EU zu erschweren. Daher will sie die Transporteure ausschalten - obwohl die Flüchtlinge freiwillig gekommen sind.

Interessanterweise werden Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International von der Hotspot-Anlage ferngehalten.

Abschiebungen finden derzeit nicht direkt vom Hotspot aus statt. Vorgesehen ist es aber, dass Menschen, deren Asylantrag abgewiesen wird gleich direkt vom Hotspot in ihre Heimat abgeschoben werden können. Es ist völlig unklar ob, wie und von wem die Rechte des Asylantragstellers im Hotspot-Gelände geschützt werden.

Die Flüchtlinge sind den Frontex-Beamten im Hotspot völlig ausgeliefert: Sie dürfen sich zwar über die Entscheidungen der Behörde beschweren, wo die Beschwerde dann allerdings landet und ob sie überhaupt als solche wahrgenommen wird, ist noch unklar. Aydan Iyigüngör: „Aktuell ist in dem Hotspot-Modell nicht klar wie Beschwerden von Flüchtlingen vorgebracht und wie sie weiter verfolgt werden können.“

Frontex hat die Möglichkeit und auch die dafür vorgesehenen Räumlichkeiten, Flüchtlinge, deren Asylbescheid negativ ist, auf dem Hotspot-Gelände festzuhalten. Davon wird wahrscheinlich niemand außerhalb des Hotspots, am wenigsten die nationalen Asylbehörden, etwas erfahren. So könnte Frontex abgewiesene Flüchtlinge bis zu deren Erschöpfung auf dem Hotspot-Gelände festhalten, mit dem Ziel, dass diese irgendwann „freiwillig“ den EU-Raum verlassen.

Hier verbirgt sich eine der gefährlichsten Lücken im System, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Möglicherweise ist gerade das auch die Absicht der Europäischen Kommission: Alle Menschenrechtsprobleme, auf die wir Europäer so sensibilisiert sind, von der Öffentlichkeit und den Medien so weit fernzuhalten wie nur möglich.

Das wäre zwar eine kriminelle, gleichzeitig aber auch eine sehr effiziente Methode, möglichst viele Flüchtlinge, die ein Recht auf Asyl haben, nicht in die EU kommen zu lassen. Das würde auch erklären, warum die EU eine so wichtige Frage die demokratische Gesellschaft betreffend – Flüchtlingen internationalen Schutz zu gewähren – an eine Agentur oder eine Firma abgibt, die nachgewiesenerweise sehr hart und mit wenig Transparenz mit Flüchtlingen umgeht.

Am Rande der Hotspot-Anlage in Moria, direkt an einer Straßenkreuzung, sind zwei improvisierte, aus Sperrholz gebastelte Informationstafeln angebracht. Eine zeigt in Richtung Norden, die andere nach Osten. Diese verraten uns, dass hier zwischen Flüchtlingen aus Syrien und den anderen Ländern unterschieden wird. Tatsächlich werden Flüchtlinge im Hotspot in zwei getrennten Trakten untergebracht. Die freiwilligen Helfer sind entsetzt darüber und sprechen von einer ersten pauschalen Trennung zwischen Wirtschafts- und Kriegsflüchtlingen. Mehr oder weniger wird das an der griechisch-mazedonischen Grenze bestätigt.

Erst am 9. Dezember 2015 wurden über zweitausend Flüchtlinge, hauptsächlich Iraner, Pakistani, Somalier und Marokkaner, von der mazedonisch-griechischen Grenze nach Athen abtransportiert. Dort durften sie wählen: Sie konnten entweder freiwillig zurück in ihre eigene Heimat fahren oder von den griechischen Asylbehörden dorthin gefahren werden. Es ist schwer zu glauben, dass die FRONTEX-Beamten im Hotspot von Moria die Fluchtgeschichte jedes einzelnen von ihnen sorgfältig unter die Lupe genommen und bearbeitet hätten. Das ist auch nicht der Auftrag, den sie von der EU-Kommission bekommen haben. Auch hier dürfte die oberste Prämisse gewesen sein: All jene, die nicht direkt aus Kriegsgebieten kommen, dürfen den EU-Boden nicht betreten.

Eines der größten Probleme dem das Unternehmen Hotspot derzeit ausgesetzt ist, ist der Personalmangel. Noch vor zwei Wochen waren in Moria nur 36 Beamte beschäftig. Viel zu wenig, um 5.000 bis 8.000 Flüchtlinge, die in Spitzenzeiten täglich dazukommen, zu interviewen, zu fotografieren, deren Fingerabdrücke abzunehmen, Registrierungsbescheide zu schreiben und auszuhändigen, die aufgenommenen Daten zu archivieren und an die nationalen Asylbehörden Europas weiterzuschicken und in der Zwischenzeit die Flüchtlinge auch noch zu betreuen und die Hotspot-Anlage zu bewachen. Noch im Oktober hat FRONTEX von den Mitgliedsstaaten 777 zusätzliche Grenzschutzbeamte gefordert. Zur Verfügung stehen ihnen aktuell nur 444 Beamte insgesamt. Dabei werden allein in Griechenland sechshundert Dienstnehmer benötigt.

Auf den Hängen von Moria, nur wenige Meter von den Hotspot-Stacheldrähten entfernt, müssen tagelang tausende von unterkühlten, durchnässten und kranken Kindern, Frauen und Männern drei bis fünf Tage im Freien, in der Kälte, ausharren. Um sie kümmern sich weder FRONTEX noch die griechische Regierung und am wenigsten die Europäische Union.

Die Flüchtlinge sind der Hilfsbereitschaft und der Ausdauer der freiwilligen Helfer überlassen. Menschen aus der ganzen Welt, die der Schande Europas nicht mehr tatenlos zuschauen wollen, kommen nach Moria und bringen eigenes und gespendetes Geld, organisieren, kaufen Zelte, Kleidung, Nahrungsmittel und Medikamente, um den Schwächsten der Schwächsten, die Europa rücksichtslos im Stich lässt, zu helfen. Die EU handelt hier unstrittig im Auftrag der Mitgliedsstaaten, also auch Deutschlands - wo Angela Merkel immer noch für ihre angeblich so großherzige Offenheit gefeiert wird.

Der EU ist offensichtlich wichtiger, den Flüchtlingen den Weg in die Sicherheit noch mehr zu erschweren oder womöglich zu versperren. Auch wenn die EU die FRONTEX-Beamten in den Hotspots mit beschleunigten Asylverfahren und Abschiebungen von Flüchtlingen beauftragt, bedeutet das nicht, dass das heiß umworbene EU-Projekt auf einer völkerrechtlichen Basis fußt. Es ist völlig unklar nach welchem Asylrecht Flüchtlinge in Moria behandelt werden. Gleichermaßen fragwürdig ist, wie ein dienstgebundener FRONTEX-Beamte ein von der Genfer Konvention vorgesehenes zweiinstanzliches Asylverfahren ersetzen soll.

Offensichtlich ist es aber der EU wesentlich wichtiger die Flüchtlinge schnell wieder loszuwerden, als ihnen den Schutz zu gewährleisten und sich an Flüchtlingskonventionen und Gesetze zu halten.

Zoran Dobric ist Redakteur bei Österreichischen Rundfunk (ORF). Er erhielt 2009 den renommierten Robert-Hochner-Preis der österreichischen Journalistengewerkschaft für seine investigative Arbeit. 2011 erhielt Dobric für sein langjähriges journalistisches Eintreten für die Rechte sozialer Minderheiten den Claus-Gatterer-Preis.

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