Politik

Ökonom: Die EU ist zu schwach, um gegen US-Spekulanten zu bestehen

Lesezeit: 5 min
28.08.2016 03:10
Der frühere Industrieminister Italiens, Paolo Savona, sieht den Euro als Fehlkonstruktion: Nach innen fesselt er die Mitglieder, die aber nach außen - etwa im IWF - nicht als Einheit auftreten. Damit haben Dollar-Spekulanten ein leichtes Spiel. Sie haben die Dynamik der US-Geopolitik auf ihrer Seite.
Ökonom: Die EU ist zu schwach, um gegen US-Spekulanten zu bestehen
Paolo Savona. (Foto: Aspen Institute)

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Als der Euro eingeführt wurde, wollte ihn Italien, so scheint es, unbedingt übernehmen. Warum?

Paolo Savona: Das Ende des Sowjetkommunismus und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Korruption und illegale Parteifinanzierung, bekannt als „Mani Pulite“, hatten das italienische Parteiensystem der Nachkriegszeit erschüttert. Vor diesem Hintergrund erschien der Vertrag von Maastricht, und mit ihm der Euro, als eine Möglichkeit, Italien stärker in einem vermeintlich zivileren, von sozialer Marktwirtschaft geprägten Europa zu verankern. Davon versprach man sich positive Impulse für Wachstum und Beschäftigung – die Akte „Delors“ legt davon deutliches Zeugnis ab. Die politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes und all jene, die das Vertrauen in ein besseres Italien verloren hatten, wollten den Vertrag von Maastricht unbedingt durchsetzen und sie wollten auch den Euro, koste es was es wolle. Nur wenige widersprachen. Sie führten an, dass die europäische politische Architektur noch nicht ausgereift war. Sie forderten, sich die Vor- und Nachteile dieses europäischen Projekts genauer anzusehen. Dafür wurden sie innerhalb des politischen Systems gebrandmarkt. Man warf ihnen Inkompetenz vor und mangelnde Einsicht in die Notwendigkeit, einen Einheitsmarkt mit einer Einheitswährung zu schaffen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Euro- Zone scheint in einer permanente Krise zu stecken. Müssen wir uns daran gewöhnen?

Paolo Savona: Wenn es etwas gibt, an das sich die Eliten eines Landes – sollten sie glauben, dieses Namens würdig zu sein – niemals gewöhnen dürfen, sind es Krisen. Die Wirtschaft und die Politik sind ja keine statischen Gebilde und das bedeutet, dass eine Krise über kurz oder lang entweder zu einer Besserung oder, wenn nicht, zu einem Kollaps der Institutionen führen muss.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann es mit dem Euro so weitergehen wie bisher? Oder sollte Italien aus dem Euro austreten? Oder vielleicht besser Deutschland?

Paolo Savona: Keine dieser drei Wege scheint mir gangbar zu sein. Der Euro in seiner jetzigen Form widerspricht jeder wirtschaftlichen Logik. Die zweite Möglichkeit wäre ein Desaster für Italien. Die dritte ein Trauma für die EU. Europa müsste die Architektur seiner Geld- und Fiskalpolitik ändern. Im Moment hat es aber den Anschein, dass es weitergeht wie bisher. Das bedeutet, dass die schwächeren Länder, unter ihnen Italien, ihren Niedergang akzeptieren müssen. Das Beispiel Griechenlands zeigt dies besonders deutlich.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Partei Movimento 5 Stelle möchte in Italien ein Referendum über den Euro durchführen. Halten Sie dies für legitim?

Paolo Savona: Unsere Verfassung sieht keine Referenden über internationale Verträge vor. Insofern könnte unser Verfassungsgericht, dessen Meinung hier entscheidend wäre, dem nicht zustimmen. Gleichwohl sei gesagt, dass in einer Demokratie nichts, und sei es auch noch so komplex, dem Volkswillen entzogen werden darf. Leute, die das denken, sind keine Demokraten. Allerdings gibt es heutzutage davon jede Menge.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Für den Fall, dass Italien aus dem Euro austreten sollte, was würde dann aus den italienischen Staatsschulden und den Target 2- Verbindlichkeiten gegenüber der Bundesbank werden?

Paolo Savona: Der Marktwert dieser Schulden würde stark abnehmen, es sei denn der italienische Staat würde mit seinen Kulturgütern, allen voran den Kunstwerken, für die Schulden garantieren. Unser Reichtum an Kulturgütern ist gewaltig, die Reaktion der Gläubiger vorauszusagen ist allerdings unmöglich. Die Geschichte zeigt, dass im Fall eines teilweisen oder vollständigen Staatsbankrotts langwierige Verhandlungen zwischen den Staaten folgen. Dabei spielen auch immer geopolitische Überlegungen eine Rolle – wobei die geopolitische Lage heute ziemlich unübersichtlich ist. Westdeutschland kam man beispielsweise nach dem Krieg sehr entgegen, um es im Orbit des westlichen Blocks zu halten.

Die Target 2- Salden könnten allerdings nicht verrechnet werden, abgesehen von der italienischen Kapitalquote im Eurosystem. Ursprünglich war ja vorgesehen, dass die Target 2- Bilanzen innerhalb von 24 Stunden ausgeglichen werden sollten. Es war ein Fehler, diese Vereinbarung aufzugeben und es Deutschland damit zu gestatten, einen gewaltigen Handelsbilanzüberschuss gegenüber dem Ausland aufzubauen. Wie es auch immer mit dieser Krise weitergeht, wir brauchen ab sofort einen Plan B, für einen möglichen Austritt, den ich immer wieder eingefordert habe – und womit ich ebenso oft auf taube Ohren gestoßen bin. Die Anwendung des Artikels 50 auf den Brexit zeigt wie unvorbereitet Europa auf dieses Ereignis war. Man hat das Heft des Handelns nicht mehr in der Hand. Man kann auf Störungen im System nur notdürftig reagieren. Und das auch noch mehr schlecht als recht.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie wäre der Euro denn noch zu retten?

Paolo Savona: Eine grundlegende Neugestaltung der Architektur Europas ist unabdingbar. Dazu gehört vor allem eine EZB, die nach dem Muster der amerikanischen Federal Reserve funktioniert und eine Fiskalpolitik, die es sich zur Aufgabe macht, die Produktivitätsunterschiede zwischen den einzelnen Ländern abzubauen. Die wären zwei Voraussetzungen, damit der Euro überleben kann.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Europa werden Zentrifugalkräfte spürbar, die einer weiteren europäischen Integration entgegenwirken.

Paolo Savona: Die mangelnde Bereitschaft zu einer größeren Integration untergräbt die europäische Konstruktion und insbesondere den Euro. Der europäische Wirtschaftsraum hatte vor der Einführung der Einheitswährung gut funktioniert. Aber in dem Vertrag von Maastricht waren die Probleme bereits angelegt. Das Vereinigte Königreich hat korrekt gehandelt, indem es sich ein „Opting Out“ vorbehalten hat.

Frankreich hat nichts gesagt, aber seine ablehnende Haltung deutlich gemacht, indem es den Verfassungsentwurf des Duos Amato-Giscard d’Estaing zurückwies. Auch Westdeutschland war seinerzeit nicht an einer weiteren politischen Einigung interessiert. Um aber die deutsch-deutsche Wiedervereinigung nicht zu behindern, haben auch die Deutschen zum Maastrichtvertrag geschwiegen. Zudem konnte es Deutschland durchsetzen, dass der Euro – um es mit den Worten unseres ehemaligen Präsidenten Ciampi auszudrücken – eine institutionell fußlahme Währung blieb. Vor diesem Hintergrund wäre eine weiter Verlagerung von fiskalischer Souveränität nach Brüssel eine Bürde. Sie würde die EU in souveräne Staaten und Kolonien aufteilen und damit europakritischen Parteien Auftrieb verleihen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wäre es für die EU nicht wichtig, eine Währung zu haben, die ein Gegengewicht zum Dollar bilden könnte?

Paolo Savona: Das wäre wichtig, aber es gibt keine einheitliche politische Haltung gegenüber dem Dollar. Die EZB kann den Wechselkurs nicht festlegen – eine weitere Einschränkung ihres Aktionsradius. Die Politik gegenüber dem Dollar ergibt sich aus dem Zusammenspiel zwischen der Kommission und dem Rat der Staats- und Regierungschefs. Die können sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen und so entfalten ihre Entscheidungen nicht genug Dynamik. Die Eurozone könnte sich nur für weitere Sonderziehungsrechte stark machen. Aber sie tut es nicht, weil sie beim IWF durch die einzelnen Mitgliedsstaaten repräsentiert wird, die nun einmal nicht die gleichen Interessen verfolgen. Das macht die europäische Geld-Architektur nun wirklich lächerlich: Nach innen hin vereint, aber gegenüber dem Ausland nicht.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie sehen Sie als ehemaliger Industrieminister die Sanktionen gegen Russland?

Paolo Savona: Die geopolitische Kurzsichtigkeit der EU schadet allen. Die Außenpolitik der USA trifft all jene schwer, die mit Russland Handel treiben und stärkt zudem Putin als geopolitischem Player den Rücken. Die Sanktionen sind ein weiteres Beispiel für fehlende internationale Zusammenarbeit in einer Zeit, zu der diese dringend nötig wäre.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Andererseits möchte die EU-Kommission das Handelsabkommen TTIP so schnell wie möglich durchsetzen. Auch aus geopolitischen Gründen?

Paolo Savona: Solange der Dollar Weltleitwährung ist und sich als Trittbrettfahrer in einem Markt bewegt, in dem einzelne Länder mit festen Wechselkursen operieren, dirty und floating, sorgt das für Konfusion. Denn die Wechselkurse spiegeln so die Geldpolitik der führenden Nationen und der internationalen Spekulanten wider. Dies bestimmt die Handelsbedingungen stärker als die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder. Ein TTIP ohne eine Geldpolitik gegenüber dem Dollar würde dazu beitragen, dass die aktuellen Bedingungen fortbestehen und damit auch der unfaire Wettbewerb zwischen den Ländern.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sind die Forderungen der Konzerne und der Finanzwelt überhaupt mit einem demokratischen System vereinbar?

Paolo Savona: Sie sind weder mit einem demokratischen System vereinbar noch mit einem System individueller Freiheiten, welche die Voraussetzung für soziale Freiheiten sind. Das Gleichgewicht zwischen persönlicher Freiheit und sozialer Verantwortung konnte in den westlichen Staaten erreicht werden, solange die Demokratie Bestand hatte und der Staat und die Marktwirtschaft funktionierten. Heute, mit der Globalisierung und der Abhängigkeit der Volkswirtschaften und der Politik vom Geschehen an den Finanzmärkten, funktioniert das nicht mehr. Einige sind der Auffassung, dass das westfälische Staatensystem untergegangen ist, andere beklagen das Ende des freien Marktes. Andere möchten nun die Demokratie abschaffen. Und darauf scheint es hinauszulaufen. Für mich persönlich ist es ein Drama für unsere Zivilisation, die von der Menschheit unter so großen Opfern entwickelt worden ist.

Personeninfo: Der Ökonom Paolo Savona warnte von Anfang an vor dem Maastrichtvertrag und der Einführung des Euro in Italien. Er war Mitglied der Banca d'Italia, Direktor des italienischen Arbeitgeberverbandes Confindustria, vom April 1993 bis zum April 1994 Industrieminister im Kabinett Ciampi, Mitbegründer und erster Vorsitzender des italienischen Einlagensicherungsfonds und ist ausgewiesener Währungsexperte mit zahlreichen Veröffentlichungen.

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