Deutschland

Zu wenig Lkw-Fahrer: Es droht ein Versorgungskollaps

Lesezeit: 3 min
07.06.2019 16:55
In Deutschland fehlen bis zu 60.000 Lkw-Fahrer. "Der Versorgungskollaps steht wirklich bevor”, sagt der Chef des Bundesverbands Güterverkehr Logistik und Entsorgung, Dirk Engelhardt.
Zu wenig Lkw-Fahrer: Es droht ein Versorgungskollaps
In Deutschland gibt es zu wenige Lkw-Fahrer. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Weil immer mehr Lkw-Fahrer fehlen, will die Logistikbranche den Beruf attraktiver machen und auch gezielt Frauen ansprechen. Ein geringer Lohn, lange Arbeitstage und schlechte Arbeitsbedingungen hatten den Beruf in den vergangenen Jahren zunehmend unbeliebt gemacht. Das Ende der Wehrpflicht hat den Mangel noch verschärft. Mittlerweile fehlen zwischen 45.000 und 60.000 Fahrer, wie der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) und der Bundesverband Güterverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) schätzen - Tendenz steigend, berichtet die dpa.

Das Thema drängt: Auf der diesjährigen Messe Transport Logistic, die vom 4. bis 7. Juni in München stattfindet, sei der Fahrer- und Fachkräftemangel “das beherrschende Thema im Konferenzprogramm", sagte Messe-Geschäftsführer Stefan Rummel.

Die Konsequenzen des Fahrermangels sind gravierend: “Wir sind kurz vor dem Versorgungskollaps”, fasste BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt die Situation zusammen. Jedes Jahr gehen fast 30.000 Fahrer in den Ruhestand, während nur etwa halb so viele Berufsanfänger nachfolgen.

Weltbank hatte frühzeitig gewarnt

Die Weltbank schätzte in einer Studie von 2017 sogar, dass in den folgenden 10 bis 15 Jahren 40 Prozent aller deutschen Lastkraftfahrer in Rente gehen werden. Somit könnten in den 2030er Jahren 150.000 Fahrer fehlen. Schaut man sich die Altersverteilung der Lastkraftfahrer an, ist der Trend offensichtlich. Laut BGL ist fast ein Drittel von ihnen 55 Jahre oder älter, nur etwa 2,5 Prozent der Fahrer sind jünger als 25 Jahre. Und fast alle von ihnen sind Männer. Der Frauenanteil beläuft sich auf gerade mal 1,7 Prozent.

Gleichzeitig nimmt die Zahl der Transporte zu. Unter anderem wegen des Booms im Online-Handel ist das Gütervolumen deutlich gestiegen. Dadurch könnten auch Fahrer aus Osteuropa die Lücke nicht mehr schließen, erklärte Engelhardt. Die Spediteure suchten händeringend nach Fahrern. Ein Vertreter der DHL spricht von einem “leer gefegten Markt”.

Die Weltbankstudie verdeutlicht: Das Problem beschränkt sich nicht auf Deutschland, sondern ist auch in zahlreichen anderen europäischen und asiatischen Ländern sichtbar. Aber Deutschland ist eines der Länder, für das die Prognose demnach besonders düster aussieht.

“Wir müssen ganz dringend an dem Image des Berufs arbeiten”, sagte BGL-Vorstandssprecher Engelhardt. Man müsse Werbung machen, und es sollen gezielt Frauen angesprochen werden. Der Frauenanteil und mehr Diversität sind auch Messe-Geschäftsführer Stefan Rummel zufolge wichtige Zukunftsthemen der Logistikbranche.

Um langfristig mehr Fahrer zu gewinnen, müsse sich aber auch die Arbeitsqualität deutlich verbessern, sagte Engelhardt. Die Fahrerhäuser sollen größer und komfortabler werden, es solle eine Toilette an Bord geben. An der Rampe müssten Fahrer außerdem Essen und Trinken bekommen und Sanitäreinrichtungen benutzen können. Von der EU fordert Engelhardt zudem flexiblere Lenk- und Ruhezeiten.

Ein Grund des Fahrermangels, der in der Debatte immer wieder genannt wird, ist das Ende der Wehrpflicht im Sommer 2011. Sowohl Engelhardt als auch ein Sprecher der Rewe Group gehen davon aus, dass sich dies negativ auf die Zahl der Lastkraftfahrer ausgewirkt hat. Denn in der Bundeswehr können Soldaten, Beamte und Angestellte eine Kraftfahrausbildung absolvieren.

2010, im letzten Jahr vor der Abschaffung der Wehrpflicht, machten etwa 17.800 Menschen eine Kraftfahrausbildung bei der Bundeswehr. Im vergangenen Jahr war es knapp ein Drittel weniger. Auch wenn unklar ist, wie viele ehemalige Soldaten nach ihrem Dienst in der Bundeswehr Lkw-Fahrer geworden sind, trägt diese Entwicklung sehr wahrscheinlich zum Mangel bei.

Bundeswehr bildet Lkw-Fahrer aus

Immerhin ist die Bundeswehr mit mehr als 11.000 Auszubildenden auch heute noch eine der größten Institutionen für die Ausbildung im Kraftfahrbereich. Das Logistikunternehmen Dachser, das sich selbst als einen “der größten Ausbilder für Berufskraftfahrer in Deutschland” beschreibt, stellt beispielsweise etwa nur 100 neue Auszubildende pro Jahr ein.

Mit ihrem Ausbildungsprogramm versucht die Firma, dem Fahrermangel entgegenzuwirken. Denn auch für sie sei es teils schwierig, Fahrer zu finden, und am Ende bedeuteten weniger Fahrer mehr Kosten, erklärte Hendrik Jansen, Geschäftsführer von Dachser Service und Ausbildung. Ein wichtiger Teil der Ausbildung sei es auch, den Fahrberuf aufzuwerten. Der Beruf sei “zwar wichtig und anspruchsvoll”, leide “aber immer noch unter einem schlechten Image”, sagte Jansen.

Unter dem Fahrermangel leiden nicht nur Speditionsunternehmen und jene Kraftfahrer, die den Mangel durch Mehrarbeit ausbügeln sollen. “Es betrifft ja letztlich den Kunden, den Verbraucher, wenn die Produkte fehlen”, urteilte Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern. Auch wenn keiner der angefragten Supermärkte dies bestätigen wollte, ist es Engelhardt zufolge schon zu leeren Supermarktregalen gekommen.

Leere Zapfsäulen könnten folgen. Der Fahrermangel könne sich “ganz schnell spürbar auswirken”, sagte Engelhardt. “Das ist kein Horrorszenario, das wir herbeibeschwören. Der Versorgungskollaps steht wirklich bevor.”


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Politik
Politik Europaparlament billigt neue EU-Schuldenregeln nach langwierigen Debatten
23.04.2024

Monatelang wurde über Europas neue Regen für Haushaltsdefizite und Staatsschulden diskutiert. Die EU-Abgeordneten sprechen sich nun für...

DWN
Immobilien
Immobilien Bauministerin: Innenstädte brauchen vielfältigere Angebote
23.04.2024

Klara Geywitz wirbt für mehr Vielfalt in den deutschen Innenstädten, um damit stabilere Immobilienmärkte zu unterstützen. Ein Mix von...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Palantir: Wie Vorurteile die sinnvolle Anwendung von Polizei-Software behindern
23.04.2024

Palantir Technologies ist ein Software-Anbieter aus den USA, der entweder Gruseln und Unbehagen auslöst oder Begeisterung unter seinen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen 20 Jahre EU-Osterweiterung: Wie osteuropäische Arbeitskräfte Deutschland unterstützen
23.04.2024

Zwei Jahrzehnte nach der EU-Osterweiterung haben osteuropäische Arbeitskräfte wesentlich dazu beigetragen, Engpässe im deutschen...

DWN
Finanzen
Finanzen Der DWN-Marktreport: Spannung und Entspannung – Geopolitik sorgt für Bewegung bei Aktien und Rohstoffen
23.04.2024

Die hochexplosive Lage im Nahen Osten sorgte für reichlich Volatilität an den internationalen Finanz- und Rohstoffmärkten. Nun scheint...

DWN
Finanzen
Finanzen Staatsverschuldung auf Rekordhoch: Steuerzahlerbund schlägt Alarm!
23.04.2024

Der Bund Deutscher Steuerzahler warnt: Ohne Kehrtwende droht der fiskalische Abgrund, trotzdem schöpft die Bundesregierung das...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt weiter - Verband alamiert
23.04.2024

Laut neuen Zahlen gibt es immer weniger Apotheken-Standorte. Der Apothekerverband spricht von „alarmierenden Zeichen“ und erklärt,...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber im Aufschwung: Das Gold des kleinen Mannes holt auf
23.04.2024

Silber hinkt traditionell dem großen Bruder Gold etwas hinterher. In den letzten Wochen hat der Silberpreis massiv zugelegt. Was sind die...