Finanzen

Börsen-Guru Beate Sander: Warten auf den Crash, um wieder kaufen zu können

Lesezeit: 5 min
08.06.2015 00:56
In Zeiten, in denen keine Zinsen gezahlt werden, gebe es keine Alternativen zu Aktien, so Börsen-Expertin Beate Sander. Das Geld auf dem Sparbuch zu belassen, komme einer Kapitalvernichtung gleich. Für Neulinge sei vor allem eine breite Streuung der Aktien wichtig. Dennoch trauen sich die Deutschen noch nicht auf die Aktienmärkte.

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wir leben in Zeiten, in denen das Geld auf dem Konto keine Zinsen mehr bringt. Muss heutzutage jeder Ihren Börsenführerschein erwerben und sein Geld in Aktien investieren?

Beate Sander: Deutschland gilt als Angsthasenvolk, das nicht gerne in Aktien investiert. In Zeiten, in denen keine Zinsen mehr bezahlt werden, gibt es jedoch kaum Alternativen zu Aktien. Gelder auf dem Sparbuch kommen einer schleichenden Kapitalvernichtung gleich. Früher konnte man auf Bundesschatzbriefe setzen, aber auch diese bringen aktuell keine Zinsen mehr. Selbst Edelmetalle wie Gold zeichnen sich nicht durch überragende Wertsteigerungen aus. Wenn ich wirklich etwas für meinen Vermögensaufbau und meine Alterssicherung tun möchte, komme ich nicht um Aktien herum.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was muss ein Anleger beachten, um erfolgreich zu sein?

Beate Sander: An oberster Stelle gilt die Börsenwahrheit: „Breit gestreut, nie bereut“. Mit einem breit gestreuten Aktiendepot kann man mit durchschnittlich 5% bis 15% Rendite im Jahr rechnen, sofern man 14 Jahre oder länger dabei ist. Die Spitzen nach oben und unten hängen auch vom Zufall ab. Mit nur zwei, drei Aktien im Depot steigt die Gefahr, dass diese nicht laufen. Deckt mein Portfolio aber über unterschiedliche Branchen, Aktienindizes und Länder hinweg ein breites Spektrum ab, dann habe ich schon den Grundstein für den Erfolg gelegt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie wichtig ist ein langfristiger Anlagehorizont?

Beate Sander: Sehr wichtig! Mit „sell in May and go away“ ist man schlecht beraten. Es freut die Banken, wenn Anleger im Mai ihre Aktien verkaufen und im Herbst dann wieder einsteigen, denn die Geldhäuser verdienen hieran über Transaktionsgebühren. Ich wurde schon von Bankmanagern als Nestbeschmutzer bezeichnet, weil ich vor einem solchen Hin und Her warne. Bei kurzfristigen Verkäufen verzichten die Anleger zudem auf Dividenden, die heute ja schon als Ersatz für niedrige Zinsen gelten. Ich habe mir über die Jahre einen steuerfreien Altbestand mit üppigen Kursgewinnen und hohen Dividendenrenditen aufgebaut. Ihn würde es nicht geben, hätte ich mich bis 2008 regelmäßig im Mai von meinen Aktien getrennt. Bei hohen Kursen verkaufe ich von den Aktien, die am besten gelaufen sind, gerade so viele, dass ich meinen Einsatz plus Steuern gedeckt habe. So habe ich Geld, um bei niedrig bewerteten Aktien einzusteigen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Warnhinweise geben Sie den Anlegern mit?

Beate Sander: Der Anleger muss vor allem beachten: „Meide die gefährlichen Vier: Euphorie, Panik, Angst und Gier.“ Viele Anleger kaufen Aktien, wenn diese gerade teuer sind, weil die Nachfrage groß ist. Umgekehrt werfen sie dann bei Kurskorrekturen wie 2000, 2003 oder im Herbst 2008 und Frühjahr 2009 vor lauter Panik alle ihre Aktien aus dem Depot. Ich sage immer: „Ein Crash ist gut für Leute mit Mut.“ Bei fallenden Kursen gilt es, gute Aktien mit Potenzial zu finden, die gerade günstig zu haben sind. Ein Crash ist für mich keine Katastrophe, sondern eine Chance für den Einstieg oder Zukauf. Aber man sollte Aktien nie auf Pump kaufen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Das Klima ist rau: Selbst Banken und Staaten kollabieren. Was muss ein Anleger in solchen Zeiten beachten?

Beate Sander: Anlageberater haben oft ihren eigenen Nutzen im Auge. Banken verdienen in erster Linie an Gebühren und auch an den Provisionen für ihre Standardaktienfonds. Diese schneiden oft 80 bis 90% schlechter ab als der Index. Ich kann vor allem ETF (Exchange Traded Fonds) empfehlen, denn diese bilden passiv gemanagt exakt die Benchmark nach. Bankberater weisen zwar oft darauf hin, dass ETFs nie mehr als der ihnen zu Grunde liegende Index einbringen, aber eben auch nicht weniger. Zudem kosten Standardaktienfonds meist 1,9% im Jahr an Grundgebühren, ETFs hingegen nur um die 0,3%.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Anlageziele und -bedürfnisse sind oft sehr unterschiedlich. Es gibt neben Aktien und Fonds auch Immobilien, Edelmetalle oder sonstige Anlagemöglichkeiten. Welche Assetklasse eignet sich für wen?

Beate Sander: Ich muss natürlich im Vorfeld austesten: Was halte ich aus? Über wie viel Geld verfüge ich? Wie hoch ist mein Risikobewusstsein? Welche Renditeerwartungen habe ich? Welche Verpflichtungen belasten mich? Ich soll bei allem auch nachts noch gut schlafen können. Selbst genutzte Immobilien sind zum Vermögensaufbau und für die Altersvorsorge gut; aber mit 2.000 bis 3.000 Euro komme ich nicht weit. Eine Alternative sind Aktien von Immobilienfirmen, die zudem attraktive Dividenden ausschütten. Aber: Finger weg von geschlossenen Immobilienfonds! Damit bindet man sich für einen sehr langen Zeitraum bei hohem Risiko. Bei Gold kann man mit wenig Geld einsteigen, aber im Notfall große Goldbarren nur im Ganzen und nicht gestückelt verkaufen. Anders bei Aktien: Da kann ich auch mal nur ein paar verkaufen. Egal, worin ich investiere: Ich muss mich ausführlich mit meinem Investment beschäftigen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie steht es mit Manipulationen seitens der Banken und professionellen Finanzdienstleister?

Beate Sander: Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass Wissen um die Anlageform entscheidend ist. Mir haben Experten bestätigt, dass Anlegern, die keine Ahnung haben, z.B. Edelsteine um 50% teurer verkauft werden als jemandem, der sich gut auskennt. Aber Manipulationen gab es schon immer und wird es immer geben. Die Starken versuchen, die Schwachen über den Tisch zu ziehen. An der Börse werden etwa große Orders ausgegeben, um Kurse zu manipulieren. Oder es gibt die Spekulation mit Penny Stocks, also Aktien mit Kurswerten von unter einem Euro, die mit Börsenbriefen nach oben getrieben werden, und bei denen dann kräftig abgesahnt wird. Auch der Graue Kapitalmarkt ist ein weites Feld für Manipulation, auf dem sich Betrüger ständig Raffiniertes einfallen lassen. Die Industrie 4.0, die neuen Technologien wie das Internet der Dinge bieten ebenfalls Möglichkeiten für Betrug.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann man als Otto-Normal-Anleger mit den Börsen-Profis mithalten?

Beate Sander: Eher selten kann man auch als normaler Anleger mit den Renditen der Profis von bis zu 20% im Jahr mithalten. Voraussetzung dafür ist ein langfristiger Anlagehorizont und am besten ein steuerfreier Altbestand, der für solide Renditen sorgt. Gerade im Hinblick auf Kursschwankungen lohnt es sich, auf Dividendentitel zu setzen. Die Großen der Branchen haben aber einen gewissen Vorsprung durch schnellen Datenfluss. Über Director’s-Dealings-Veröffentlichungen kann ich mich daran orientieren, was die „Insider“, also die Manager der Unternehmen, mit ihren Aktien machen. Die reine Information lässt zwar keinen Rückschluss zu, aus welchen Motiven die Aktien ge- oder verkauft werden, aber es ist ein wertvoller Hinweis. Je mehr man weiß und je mehr man sich mit Aktien beschäftigt, desto besser.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Börsenkurse legen derzeit ein hohes Tempo vor. Geht die Rallye nun ungebrochen weiter, oder steuern wir auf einen Crash zu?

Beate Sander: Wissenschaftler gehen davon aus, dass es in Zukunft immer wieder Crashs geben wird. Aber diese sind nicht seriös vorhersehbar bezüglich Zeitpunkt, Heftigkeit und Dauer. Kursabstürze werden oft von Katastrophen befeuert, wie etwa die Anschläge auf das World Trade Center in New York. Die Börsenpsychologie tendiert leider zu Übertreibungen. Bei sinkenden Kursen wird oft nur noch das Negative gesehen, im Bullenmarkt das Positive. Während in normalen Zeiten die Psychologie einen Einfluss von 30 bis 40% auf die Kurse hat, sind es bei Überhitzungen 80 bis 90%. Das führt zu irrationalem Handeln.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Derzeit haben die Bullen an der Börse die Oberhand. Droht dem DAX eine Überhitzung?

Beate Sander: Der DAX steht einerseits nahe an seinem Höchststand von über 12.000 Punkten, aber da er als Performance-Index einschließlich der ausgeschütteten Dividenden berechnet wird, ist er gegenüber Kursindizes wie dem Dow Jones noch von einer Übertreibung entfernt. Im Übrigen schneiden der MDAX oder SDAX im 10-Jahres-Vergleich besser als der DAX ab. Die deutschen Indizes sind nicht mehr billig, aber auch nicht extrem teuer, wie 2000, zu Zeiten des Neuen Marktes, als sie völlig überbewertet waren. Die derzeitige Entwicklung der Indizes weist nicht auf einen zwingenden Crash in Kürze hin.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was empfehlen Sie einem Neuling an der Börse?

Beate Sander: Einsteigern mit wenig finanziellen Mitteln rate ich zu einen Sparplan, bei dem man monatlich einzahlt. Ich empfehle als Grundlage ETFs, die schon für wenig Verwaltungsgebühren zu haben sind und komplette Märkte abdecken. Der Anleger muss mündig sein, gespeist aus Wissen, Kompetenz und Selbsthinterfragung. Ich darf nicht alles glauben, aber zugleich auch nicht zu misstrauisch sein. Wichtig für einen Erfolg an der Börse ist, dass man die Chancen nutzt, dich sich einem bieten und nicht jammert oder jault und nach Sündenböcken sucht. Ein umfassendes Wissen ist der Schlüssel zum Erfolg.

***

Beate Sander arbeitet als VHS-Dozentin und Beraterin für Börsenwissensfragen, schreibt Börsenbücher, Börsenkommentare und Wirtschaftskolumnen und ist SÜDSEITEN-Redakteurin der Börse München für die fortlaufende Serie „Kapitalanlage Gesundheit“.

„Der Aktien- und Börsenführerschein“ erscheint am 8. Juni 2015 im FinanzBuch Verlag in seiner bereits siebten Auflage und kann hier bestellt werden.


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