Die Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland haben sich in den Jahren 2003 bis 2013 äußerst schwach entwickelt: Sie stiegen nur um durchschnittlich 500 Euro oder 0,4 Prozent. Berücksichtigt man die Inflation, haben die Privathaushalte sogar fast 15 Prozent ihrer Nettovermögen verloren – das entspricht im Durchschnitt gut 20.000 Euro. Der reale Wert, also die Kaufkraft des Vermögens, ist somit deutlich gesunken. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung anhand von Daten aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes herausgefunden. Auch dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) zufolge sind die realen Nettovermögen der Privathaushalte in Deutschland gesunken: um mehr als elf Prozent in den Jahren 2002 bis 2012 – und das trotz einer konstant hohen Sparquote von meist mehr als neun Prozent jährlich.
Die Studienautoren Markus Grabka und Christian Westermeier sehen den Grund dafür vor allem in der schwachen Wertentwicklung selbstgenutzter Immobilien. Aber auch das Anlageverhalten der Deutschen habe seinen Teil dazu beigetragen: „Viele Menschen investieren ihr Vermögen bevorzugt in risikoarme, dafür aber renditeschwache Anlagen wie Sparbücher, Girokonten, Bausparverträge oder Riesterrenten, die oftmals nicht einmal die Inflation ausgleichen“, so Grabka. Angesichts der Ergebnisse sprechen sich die Wirtschaftsforscher für eine gezieltere Förderung des individuellen Vermögensaufbaus aus – auch, um die hohe Vermögensungleichheit in Deutschland zu reduzieren.
Weil es sich beim SOEP um eine Wiederholungsbefragung handelt, in regelmäßigen Abständen also dieselben Personen Auskunft über ihr Vermögen geben, konnten die DIW-Forscher Grabka und Westermeier zudem die Vermögensmobilität untersuchen: Dabei stellten sie fest, dass in den Zeiträumen von 2002 bis 2007 und von 2007 bis 2012 jeweils rund 40 Prozent der Erwachsenen real Vermögen verloren haben. Bei gut einem Achtel blieb es nahezu unverändert, während knapp 45 Prozent der Personen ihr Vermögen real steigern konnten – am stärksten die 30- bis 39-Jährigen, die im Mittel in beiden Zeiträumen zwischen 8.000 und 9.000 Euro hinzugewannen.
Relevant für den Vermögensaufbau ist neben regelmäßigem Sparen auch das Tilgen von aufgenommenen Krediten. Besonders stark gestiegen sind die Vermögen bei denjenigen, die Schenkungen oder Erbschaften erhalten haben. Auch Änderungen des Familienstands oder der Wohnform können die Vermögenshöhe beeinflussen: Positiv wirkt sich eine Heirat aus, während bei einer Trennung oder Scheidung Kosten entstehen, die häufig aus vorhandenem Vermögen bestritten werden. Dauerhaft zur Miete lebende Personen hatten die geringsten Nettovermögen: im Mittel weniger als 3.000 Euro. Auch die Vermögenszuwächse waren bei Mietern gering. „Das ist insofern problematisch, als dass schon kurzfristige Engpässe beim laufenden Einkommen das Vermögen aufzehren können“, sagt Westermeier. „Zudem bietet ein so geringes Vermögen keinen wirksamen Schutz vor Altersarmut.“
Die Ergebnisse des DIW Berlin zur Entwicklung der realen Nettovermögen der Privathaushalte in Deutschland widersprechen den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR). Diese weisen für die Jahre 2003 bis 2013 ein reales Plus in Höhe von 20 Prozent aus. Theoretisch wäre es möglich, dass die Top-Vermögenden – also die Multimillionäre und Milliardäre, die in den EVS- und SOEP-Stichproben faktisch untererfasst sind – für den Anstieg verantwortlich sind. Grabka und Westermeier haben jedoch die vom Manager Magazin geschätzten Top-Vermögen in Deutschland ausgewertet und für die Personen, die zu zwei Zeitpunkten in der Liste enthalten waren, festgestellt, dass die höchsten Vermögen in den Jahren 2007 bis 2012 nahezu konstant geblieben sind.
Wahrscheinlicher ist, dass die VGR zu anderen Ergebnissen kommen, weil sie – neben weiteren methodischen Unterschieden bei der Erfassung von Vermögen – vor allem den Wert von Gebäuden anders berechnen. Den VGR zufolge sind diese von 2003 bis 2013 real um knapp 19 Prozent gestiegen. Dass sie aber eher gesunken sind, darauf deuten neben den EVS- und SOEP-Stichproben auch andere Quellen hin. So weist der Preisindex des Statistischen Bundesamtes für bestehende Wohnimmobilien für den Zeitraum von 2000 bis 2010 ebenfalls rückläufige Werte aus.
Die Unterrepräsentation der Top-Vermögen in Bevölkerungsumfragen und die mangelnde Vergleichbarkeit verschiedener Bewertungsmethoden sind aus Sicht von Grabka und Westermeier ein Beleg dafür, dass die Dateninfrastruktur für Vermögensanalysen in Deutschland grundsätzlich verbesserungswürdig ist: „Eine gesellschaftlich derart relevante Größe wie die Entwicklung der Privatvermögen sollte nicht mit so vielen Unsicherheiten behaftet sein, wie es derzeit in Deutschland der Fall ist“, so Grabka.