Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Herr Galloni, Ende 2015 kamen in Italien erstmals die europäischen Bail- in-Regeln zur Anwendung. Betroffen waren die Kunden von vier Regionalbanken. Dies hatte zu Unruhe in der Bevölkerung geführt. Heute scheint die Krisenbank „Monte dei Paschi di Siena“ in großen Schwierigkeiten zu stecken. Auch bezüglich der UniCredit bestehen Zweifel. Flammt die Finanzkrise wieder auf? Wie schätzen Sie die Lage ein?
Antonino Galloni: Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich die italienischen Banken in Schwierigkeiten befinden. Das heißt aber nicht, dass bei den Banken in anderen Ländern alles in Ordnung wäre. Wir erleben gerade eine prinzipielle Krise unseres Finanzsystems. Also brauchen wir auch einen allumfassenden Lösungsansatz. Nur an den Symptomen herumzudoktern, wird nicht reichen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sollten wir den Symptomen denn keine Beachtung schenken?
Antonino Galloni: Natürlich sollten wir das. Es liegt auf der Hand, dass wir, was die italienischen Banken, und hier besonders die „Monte dei Paschi di Siena“, anbelangt, einen pragmatischen Ansatz brauchen. Wir müssen diese Banken kapitalisieren, um Schlimmeres zu verhindern. Diese Banken müssen wiederbelebt werden, auch um eine Ansteckung anderer Banken zu vermeiden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Und dann?
Antonino Galloni: Dann sollten wir die Banken in zwei Kategorien aufteilen: Die eine würden die klassischen Geschäftsbanken bilden, die Kredite an die Realwirtschaft ausreichen. Die zweite Kategorie bestünde aus Investmentbanken, die mit Derivaten und anderen Finanzprodukten spekulieren könnten. Was aber nicht sein kann ist, dass Banken, die sich mit Derivaten verzockt haben, auch die gesunden Geschäftsbanken mit in den Abgrund reißen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was der Maßnahme entspricht, die nach dem Schwarzen Donnerstag 1929 unter Präsident Roosevelt ergriffen worden ist?
Antonino Galloni: So ist es. Aber das reicht noch nicht aus. Wir bräuchten noch eine weitere Maßnahme, um unser Finanzsystem wieder auf gesunde Füße zu stellen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Und die wäre?
Antonino Galloni: Wir sollten einen negativen Zinssatz auf Kredite einführen. Das könnte bedeuten, um einmal ein Beispiel zu nennen, dass ein Unternehmer, der einen Kredit von einer Million Euro erhält, davon nur Neunhunderttausend zurückerstattet.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Das hört sich nach einem schlechten Geschäft für die Bank an.
Antonino Galloni: Das wäre es aber nicht. Wir müssen uns nämlich immer vergegenwärtigen, dass diese Million erst in dem Moment am Computer erschaffen würde, in dem der Kredit bewilligt wird. Vorher hat besagte Million doch gar nicht existiert. Also wie könnte der Bank später etwas fehlen, das vorher gar nicht vorhanden war? Wenn also dieser Unternehmer nur 900.000 Euro zurückzahlt, hat die Bank ja immer noch einen Gewinn gemacht.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Und wie wäre das mit den Zinseszinsen? Wenn die ebenfalls negativ wären, würde die zurückzuzahlende Kreditsumme ja irgendwann gegen Null tendieren.
Antonino Galloni: In diesem Modell ergeben Zinseszinsen keinen Sinn. Zinseszinsen sind allerdings immer problematisch, auch wenn die Zinssätze positiv sind.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche wären denn die Konsequenzen eines Systems mit negativen Kreditzinsen auf die Inflation? Oder würde es vielleicht sogar zu einer Deflation führen? Einerseits könnte man sich ja vorstellen, dass eine verstärkte Nachfrage nach Krediten – die dann ja wahrscheinlich leichter erhältlich wären – inflationäre Tendenzen verstärkt. Andererseits würden sich die Kreditkosten aber nicht als versteckte Kosten in den Endkosten der Produkte wiederfinden und deren Preise könnten demnach auch fallen.
Antonino Galloni: Es ist klar, dass wir uns mit einem System der Negativzinsen auf neues Terrain begeben würden. Inflationäre wie auch deflationäre Tendenzen müssten genau beobachtet werden. Gleichwohl wäre es einen Versuch wert. Ich bin mir sicher, dass die Effekte eines derartigen Systems auf die Beschäftigungsquote sehr positiv wären.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Glauben Sie denn, dass die Wirtschaft deswegen stagniert, weil die Kreditkosten zu hoch sind? Sind die Zinsen denn nicht schon ziemlich weit heruntergefahren worden?
Antonino Galloni: Ich möchte es noch einmal betonen: Ein wesentlicher Punkt unseres Geldsystems, den er zu verstehen gilt, ist, dass Geld immer aus dem Nichts geschöpft wird. Da drängt sich doch die Frage auf, wie es sein kann, dass ein ganzes System destabilisiert wird, sobald einige Kredite notleidend geworden sind. Dahinter verbirgt sich doch die Idee, dass man Geld mit Geld verdienen muss – und nicht mit Arbeit. Ich hingegen schlage vor, den Arbeitsmarkt zu stimulieren. Zu arbeiten gäbe es genug – gerade in Italien. Und ich möchte dem noch etwas hinzufügen: Da eine Bank, wie wir gesehen haben, auch dann noch einen Gewinn machen würde, wenn auf einen Kredit von einer Million Euro nur 900.000 zurückgezahlt würden, sollten wir diese Gewinne heranziehen, um die Staatshaushalte auszugleichen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Das klingt ja so, als würden Sie die Banken dann verstaatlichen müssen. Und dies aus zwei Gründen: Wie würden Sie denn sicherstellen wollen, dass eine Bank wie zum Beispiel die UniCredit einen Kredit mit einem negativen Zinssatz an einen italienischen Unternehmer ausreicht, wenn sie den gleichen Kredit außerhalb Italiens zu einem positiven Zinssatz vergeben könnte? Und wie würden Sie sicherstellen wollen, dass die Banken ihre Gewinne nutzen würden, um den Staatshaushalt zu sanieren, anstatt sie an die Anteilseigner auszuschütten?
Antonino Galloni: Es kann schon Sinn ergeben, einen Kredit zu einem negativen Zinssatz zu vergeben, wenn es einer Firma zum Erfolg verhilft und der Kredit infolgedessen nicht notleidend würde.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie glauben also, dass man die Wirtschaft mit einem derartigen Modell in Gang setzen könnte? Wie eine Maschine, die dann von alleine läuft? Eine Art Perpetuum Mobile?
Antonino Galloni: Ja. Ich glaube, dass es Investitionsanreize schaffen und damit Arbeitsplätze schaffen würde. Und anders als nach dem klassischen keynesianischen Modell würde die Verschuldung auch nicht zunehmen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Allerdings wird es doch auch Investitionen geben, die wenig Nutzen bringen. Straßen und Brücken zum Beispiel, die kaum jemand braucht und die auf Kosten der Natur errichtet würden. Wir haben in der EU einen einheitlichen Markt – und in vielen Ländern eine Einheitswährung. Wie wollen Sie entscheiden, ob eine Investition tatsächlich sinnvoll ist? Wenn dann zu viele Kredite vergeben würden, mehr als nötig, würde das dann nicht zu einer Schwächung des Euro führen?
Antonino Galloni: Selbstverständlich müsste ein derartiges System von staatlichen Stellen kontrolliert werden. Was den Euro anbelangt, so könnte jedes Land staatlich garantierte Wechsel herausgeben, die zwar in Euro notiert wären, aber nur innerhalb der jeweiligen Landesgrenzen Gültigkeit hätten. Sagen wir, sie würden wie eine Parallelwährung funktionieren. Wenn nun also zu viele Wechsel innerhalb eines Landes zirkulieren sollten, mehr als nötig wären, um die nationale Wirtschaft zu stützen, würden diese Wechsel gegenüber ihrer Referenzwährung – in diesem Fall wäre das der Euro – an Wert verlieren. So ließe sich sicherstellen, dass der Euro an sich stabil bleibt.
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Der Volkswirt Antonino Galloni ist Ökonom und informeller wirtschaftspolitischer Berater der Fünf-Sterne-Bewegung, die bereits viele seiner Anregungen aufgegriffen hat.