Geopolitik, Cyberbedrohungen und Schattenbanken – Campas Warnliste für Europas Finanzsektor
Als David Bentow, Redaktionschef des Wirtschaftsportals Børsen, José Manuel Campa fragt, ob er ruhig schläft, wenn er an Europas Banken denkt, lächelt er, während er über die Antwort nachdenkt. „Ja, das tue ich“, sagt er schließlich. „Aber es gibt vor allem drei Dinge, über die ich mir Sorgen machen kann.“ Der 61-jährige Spanier ist amtierender Vorsitzender der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (European Banking Authority, EBA). Damit ist er der ranghöchste Beamte Europas, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass Banken solide aufgestellt sind – und nicht erneut in eine tiefe Krise geraten wie während der globalen Finanzkrise, als sich die Probleme der Banken in rasanter Geschwindigkeit auf die gesamte Weltwirtschaft ausbreiteten.
Die EBA beaufsichtigt Europas Banken nicht direkt, sondern überwacht die nationalen Bankenaufsichten wie die dänische Finanstilsynet, die deutsche BaFin oder die italienische Banca d’Italia. Sie legt Standards für Banken in der EU fest und erstellt Analysen auf EU-Ebene – darunter den jüngst veröffentlichten Stresstest der 64 größten Banken Europas, der erstmals 2009 durchgeführt wurde. Ein Stresstest, der nach den Worten des Vorsitzenden zeigt, dass „sie stark sind – selbst wenn sie von einer sehr tiefen und lang anhaltenden Wirtschaftskrise getroffen werden“. Dennoch bleiben für ihn zentrale Fragen, auf die wir als Gesellschaft seiner Ansicht nach achten sollten.
Stresstest zeigt Stärke
Die Rolle der EBA ist zentral im europäischen Finanzsystem, das eine Art Herzstück der Volkswirtschaft bildet. Die Erfahrung zeigt: Probleme im Bankensektor können gravierende Folgen haben. In Dänemark lag die Arbeitslosenquote im Mai 2008 bei 2,4 Prozent – ein historischer Tiefstand. Doch infolge der globalen Finanzkrise sprang sie Anfang 2010 auf über 6 Prozent. Ähnliches geschah in ganz Europa, in den USA und in Asien. Denn wenn Banken geschwächt werden, erkrankt die gesamte Wirtschaft. Der EBA-Stresstest soll Banken, Behörden, Politik und Öffentlichkeit aufzeigen, welche Folgen eine tiefe und langanhaltende Wirtschaftskrise für Europas größte Institute hätte – insbesondere durch Kreditverluste, wenn Haushalte und Unternehmen ihre Schulden nicht mehr bedienen können. „Unser Stresstest zeigt, dass der europäische Bankensektor in der Lage ist, einen schweren Schock aufzufangen und einer Krise standzuhalten, die den 64 getesteten Banken über drei Jahre hinweg einen Gesamtschaden von 547 Milliarden Euro zufügen würde“, sagt Campa. „Das ist wichtig, weil es bedeutet, dass sie weiterhin Kredite vergeben können.“
Alle getesteten Banken – darunter Nordea, Danske Bank, Nykredit und Jyske Bank – erfüllen die Kapitalanforderungen der Aufsicht, obwohl allein die dänischen Institute Kreditabschreibungen von umgerechnet rund 93 Milliarden Kronen hinnehmen müssten. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass die Branche robuster ist als noch bei der letzten Stresstest-Runde 2023. „Die Banken verdienen derzeit mehr als beim letzten Stresstest – unter anderem dank der höheren Zinsen – und sie haben ihre Kapitalbasis deutlich gestärkt. Das ist positiv“, so der EBA-Chef. „Aber unser Szenario ist nur eines. Weder Banken noch Aufseher sollten sich in Sicherheit wiegen, denn die Geschichte zeigt, dass unerwartete Schocks kommen werden. Der Stresstest darf uns kein falsches Gefühl der Sicherheit geben.“
Geopolitische Risiken
Campa nennt drei Hauptgefahren, auf die Banken und nationale Aufsichten vorbereitet sein müssen. Erstens: geopolitische Spannungen – insbesondere durch Zölle und die Gefahr einer Abkühlung des Welthandels. „Wir sind besorgt über die geopolitischen Spannungen, die unter anderem mit Blick auf Zölle entstanden sind“, sagt er. Die EU ist laut Europäischem Rat der größte Exporteur der Welt – vor China und den USA. Jedes siebte Arbeitsverhältnis in der EU hängt direkt am Export. Zwischen 2013 und 2023 stieg der Warenexport um 48 Prozent auf 5.000 Milliarden Euro, der Export von Dienstleistungen um 107 Prozent auf 2.600 Milliarden Euro. Hauptabnehmer sind hochentwickelte Produkte: 40 Prozent Maschinen und Transportausrüstung, gefolgt von Industrie- und Chemieerzeugnissen. Donald Trumps Zollpolitik sorgt daher auch bei Bankenaufsehern für Unruhe – zumal die USA rund 20 Prozent der EU-Exporte abnehmen. Laut EBA drohen direkte Verluste in betroffenen Branchen sowie indirekte Folgen wie Störungen der Lieferketten, Nachfragerückgang oder Dollarfinanzierungsrisiken. „Geopolitische Risiken sind derzeit unsere größte Sorge, weil ihre wirtschaftlichen Folgen sehr weitreichend sein können“, so Campa.
Digitale Gefahren
Zweitens: Cyberrisiken. „Wir sind besorgt über die gravierenden und zunehmenden Cyberrisiken – durch Aktivisten, Kriminelle, staatliche Akteure und technische Ausfälle“, sagt Campa. Ein aktuelles Beispiel ist der IT-Ausfall beim Zahlungsdienstleister Nets am 19. Juli, der in drei Stunden massive Störungen in Dänemark und für Reisende im Ausland verursachte. Laut EU-Cybersicherheitsagentur Enisa berichteten 58 Prozent der Banken in der zweiten Jahreshälfte 2023 von Cyberangriffen; 24 Prozent hatten im ersten Halbjahr mindestens einen erfolgreichen Angriff, im zweiten Halbjahr stieg der Anteil auf 33 Prozent. Gruppen wie Zulikgroup, Usersec oder Anonymous Russia setzen zunehmend auch KI ein, um Bankensysteme zu infiltrieren. Ziele sind gefälschte Transaktionen, Datendiebstahl und Ransomware-Erpressung.
Der Aufstieg der „Nichtbanken“
Drittens: Der wachsende Anteil der Kreditvergabe durch Nichtbanken – etwa Pensionskassen oder Fonds –, die nicht denselben Regeln unterliegen. „Wir wissen zu wenig über deren Risiken. Das müssen wir ändern“, warnt Campa. Laut Financial Stability Board (FSB) halten Nichtbanken fast 50 Prozent aller Finanzaktiva weltweit, ihr Wachstum übersteigt das der Banken deutlich. In Deutschland sank der Marktanteil der Banken an den Finanzaktiva von knapp 80 Prozent im Jahr 2005 auf rund 50 Prozent im Jahr 2025.
Campa verweist zudem auf Divergenzen bei der Regulierung – etwa bei Klimarisiken oder Krypto-Assets. Europa setze stärker auf sichere Kryptoanlagen, die USA eher auf Innovation. Trotz aller Risiken gibt es für die Branche eine positive Nachricht: Ab 2027 soll die Belastung durch Stresstests sinken. Statt der bisherigen „Bottom-up“-Methode will die EBA stärker auf „Top-down“-Berechnungen setzen, die von den Banken nur noch überprüft werden müssen. Ziel ist es, den Meldeaufwand um 25 Prozent zu senken – ohne Abstriche bei der Solidität. „Vereinfachen und effizienter machen, nicht lockern“, betont Campa. Doch seine drei Sorgen werden Europas Banken wohl noch lange begleiten.


