Wirtschaft

Der Untergang der Mittelklasse: Ex-Trader Gary Stevensons düstere Prognose – und ungewöhnliche Lösung

Mit Anfang zwanzig verdient Gary Stevenson Millionen als Trader bei der Citibank – doch der Preis ist hoch. Heute nutzt der ehemalige Mathe-Star aus der Londoner Arbeiterschicht sein Geld, um gegen soziale Ungleichheit und für ein gerechteres Wirtschaftssystem zu kämpfen. Seine Warnung: Der nächste große Zusammenbruch kommt.
07.08.2025 05:51
Lesezeit: 5 min
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Der Untergang der Mittelklasse: Ex-Trader Gary Stevensons düstere Prognose – und ungewöhnliche Lösung
Der britische Multimillionär Gary Stevenson bei einer Diskussion. (Foto: Wikimedia Commons)

Vom Mathe-Genie zum Millionär

Gary Stevenson wächst im Londoner Stadtteil Ilford auf – ein Arbeiterviertel, eingezwängt zwischen Recyclinghof und Fabrik. Seine Mutter, eine tief religiöse Mormonin, verachtet materiellen Besitz. Luxus ist ihm fremd, der Alltag geprägt von Enge und Mangel. Trotz widriger Umstände entwickelt Stevenson ein außergewöhnliches mathematisches Talent.

Dieses Talent katapultiert ihn an die Spitze eines Auswahlverfahrens der Citibank: In einem mathematischen Simulationsspiel schlägt er Studierende der Eliteuniversitäten – Runde für Runde. Für Stevenson, der aus einer Welt ohne Netzwerke und Kapital stammt, ist es mehr als ein Spiel. „Ich wollte zeigen, dass wir Kids in Trainingsanzügen nicht alle dumm sind“, sagt er.

Er gewinnt – und landet mitten im globalen Finanzgeschäft.

Der Preis des Erfolgs

Stevensons Karriere nimmt Fahrt auf. Als einer der erfolgreichsten Trader jongliert er bald mit Hunderten Millionen Pfund. Doch der Preis ist hoch: Stress, toxische Arbeitskultur, eine ruinierte Gesundheit. Während seine Kollegen die Finanzkrise von 2008 schnell abhaken, bleibt Stevenson skeptisch. Er sieht, wie die Zentralbanken billiges Geld in die Märkte pumpen, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Die Botschaft: Es geht wieder aufwärts.

Doch bei Besuchen in Ilford wird ihm klar: Für viele geht es eben nicht aufwärts. Freunde und Familie kämpfen ums Überleben, können sich nicht einmal ein U-Bahn-Ticket leisten. „Der Markt lag falsch“, resümiert er heute. Seine eigene Armutserfahrung habe ihn sensibler gemacht für reale Notlagen – und letztlich erfolgreicher im Handel.

Mission statt Ruhestand

Trotz seines finanziellen Erfolgs als Multimillionär – oder gerade deswegen – zieht Stevenson die Reißleine. Er verlässt die Finanzwelt, um sich einer neuen Mission zu widmen: einer gerechteren Verteilung von Wohlstand. Mit der Organisation Patriotic Millionaires, einem Zusammenschluss vermögender Aktivistinnen und Aktivisten, fordert er höhere Steuern für Reiche, insbesondere Vermögens- und Erbschaftssteuern. "Es ist Wahnsinn, dass Leute wie der Duke of Wellington steuerfrei Milliarden erben, während Arbeiter mit Rekordabgaben kämpfen", sagt er. Auf seinem Blog schreibt er, dass die Märkte sich schon sehr häufig geirrt hätten und fälschlicherweise eine Erholung der Zinsen und der Wirtschaft vorhergesagt.

Stevensons Diagnose: "Die Reallöhne stagnieren oder sinken, während die Immobilienpreise unaufhörlich steigen – und Ökonomen haben keine Erklärung dafür. In vielen Regionen der Welt sind Jobs schlecht bezahlt und schwer zu finden. Junge, arbeitslose Menschen glauben zunehmend, sie müssten in eine der wenigen, überfüllten und wachsenden „Superstädte“ ziehen, um überhaupt eine Chance auf Arbeit zu haben. Doch auch dort sind die Jobs oft prekär, schlecht entlohnt und unsicher. Sie reichen gerade so, um die extrem hohen Mieten für beengte und oft minderwertige Wohnungen zu bezahlen.

Für viele Städter gilt: Obwohl sie arbeiten, fließt ein Großteil – wenn nicht sogar ihr gesamtes Einkommen – in die Kosten für lebensnotwendige Dinge, vor allem in Wohnraum. Und selbst diejenigen, die es schaffen, einen kleinen Teil ihres Gehalts zur Seite zu legen, sehen sich mit Immobilienpreisen konfrontiert, die den Traum vom Eigenheim in weite Ferne rücken lassen. Selbst eine Anzahlung bleibt für viele unerreichbar.

Frühere Generationen, die in den 1950er bis 1990er Jahren arbeiteten, konnten sich mit Fleiß und etwas Sparsamkeit oft ein Haus leisten, fürs Alter vorsorgen, ihre Kinder unterstützen oder in eine Rente investieren. Und das häufig mit nur einem berufstätigen Elternteil und ohne Hochschulabschluss. Diese Art von finanzieller Sicherheit bleibt der heutigen jungen Generation meist verwehrt – es sei denn, sie gehört zu den wenigen sehr gut bezahlten Fachkräften. Selbst zwei gut ausgebildete Erwachsene mit Universitätsabschluss stellen fest, dass ein Eigenheim in der Nähe von Arbeitsplätzen nahezu unerreichbar ist. Immer öfter müssen junge Erwachsene ihre Eltern um finanzielle Hilfe bitten. Häuser, die in früheren, erschwinglicheren Zeiten von Familien gekauft wurden, werden verkauft oder beliehen – um die Kinder zu unterstützen oder den Ruhestand der Eltern zu finanzieren."

Warnung vor dem Kollaps

Stevenson ist überzeugt: Ohne Umverteilung steuert das westliche Wirtschaftssystem auf einen Zusammenbruch zu. Seine düstere Prognose: eine ausgehöhlte Mittelschicht, ein nicht mehr tragfähiger Sozialstaat, ein radikalisiertes politisches Klima. Insbesondere der Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen sei kein Zufall, sondern eine direkte Folge ökonomischer Ungleichheit.

Sein Vorschlag: Zeitbegrenzung für Besitz

Doch das Problem lässt sich erstaunlich elegant lösen – ohne Steuern, ohne Zwang, aber mit langfristiger Wirkung. Die Idee: Wir führen eine Zeitgrenze für physischen Besitz ein – so wie es bei geistigem Eigentum längst üblich ist. In unserer Gesellschaft gelten für Urheberrechte und Patente feste Laufzeiten. Niemand soll auf ewig von einem Song oder einer Idee wirtschaftlich profitieren können. Wer ein Buch schreibt oder ein Medikament erfindet, darf für eine begrenzte Zeitspanne Erträge daraus ziehen – je nach Land etwa 20 bis 100 Jahre. Danach gehört das Werk der Allgemeinheit.

So profitieren einerseits die Urheber kurzfristig, andererseits kann die Gesellschaft langfristig davon profitieren. Wenn geistiges Eigentum ewig besessen werden dürfte, müssten wir heute noch einen Großteil unseres Einkommens an die Nachfahren der Erfinder von Ackerbau oder Metallverarbeitung abtreten. Das wäre absurd – und genau deshalb begrenzen wir geistigen Besitz.

Die 150-Jahre-Regel: Vermögen muss zirkulieren – warum nicht auch Land und Immobilien?

Für physischen Besitz wie Land oder Häuser fehlt eine solche Begrenzung. Obwohl diese Güter niemand „erfunden“ hat, sondern sie uns von Natur aus zur Verfügung stehen, erlauben wir ihren Besitz auf unbestimmte Zeit. Das führt zu einer extremen Konzentration von Eigentum, wie wir sie bei Ideen nie akzeptieren würden. Vieles davon ist geerbt – teils seit Generationen –, und diese historische Anhäufung macht Eigentum für alle anderen teuer. Ich schlage daher vor: Behandeln wir physischen Besitz wie geistiges Eigentum. Menschen sollen Häuser und Land besitzen, nutzen und verkaufen dürfen – aber nicht für alle Ewigkeit. Wenn kleine Gruppen dauerhaft alles besitzen dürfen, bleibt der Großteil der Gesellschaft dauerhaft arm.

Mein Vorschlag: Führen wir eine sehr lange, aber feste Besitzdauer ein – zum Beispiel 150 Jahre. Nach dem Tod dürfen Vermögenswerte an Kinder weitergegeben werden, aber nach 150 Jahren verfällt der Besitzanspruch. Das zwingt Erben langfristig zum Ausgeben statt zum Horten – ganz ohne staatliche Besteuerung. Die Folge: Die gesamtgesellschaftliche Konsumnachfrage steigt, die Wirtschaft belebt sich, Löhne steigen deutlich – und die Spekulation mit Immobilien sinkt, was zu niedrigeren Hauspreisen führt.

Langfristiger Effekt: gerechtere Vermögensverteilung

Auf lange Sicht hätte das eine drastische Wirkung auf Löhne und Immobilienpreise: Heute werden etwa 80 Prozent des weltweiten Vermögens durch Erbschaften weitergegeben. Mit dem neuen System wären es null Prozent. Das bedeutet: Zukünftige Generationen würden Eigentum allein durch Leistung erwerben – nicht durch Herkunft. Dann könnten sich junge Menschen fünfmal so viele Immobilien leisten wie heute. Die Kaufkraft der Löhne im Verhältnis zu Häusern würde um 400 Prozent steigen.

Diese Maßnahme erfordert weder Steuern noch staatliche Eingriffe – nur eine Regelung und deren Durchsetzung. Doch sie könnte unsere Wirtschaft revolutionieren, die Löhne explodieren lassen – und die Erfüllung von Keynes’ Vision ermöglichen: Dass wir alle nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten müssen – durch eine einzige, kleine, aber revolutionäre Idee.

Wissen als Waffe

Heute teilt Stevenson sein Wissen auf YouTube. In seiner Show Gary’s Economics erklärt er komplexe Zusammenhänge verständlich – und mit britischem Witz. Sein Ziel: ökonomische Bildung für alle, nicht nur für Eliten. Denn für Stevenson ist klar: Nur wer das System versteht, kann es verändern.

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Maximilian Modler berichtet über spannende Entwicklungen aus den Bereichen Energie, Technologie - und über alles, was sonst noch für die deutsche Wirtschaft relevant ist. Er hat BWL, Soziologie und Germanistik in Freiburg, London und Göteborg studiert. Als freier Journalist war er u.a. für die Deutsche Welle, den RBB, die Stiftung Warentest, Spiegel Online und Verbraucherblick tätig.

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