Politik

Spitzbergen: Russland hat 100 Jahre nach dem Spitzbergen-Vertrag die Arktis genau im Blick

Vor 100 Jahren wurde der Spitzbergen-Vertrag unterzeichnet – ein Abkommen mit besonderer geopolitischer Brisanz. Heute sorgen Norwegen und Russland für Schlagzeilen im hohen Norden. Bleibt das fragile Gleichgewicht bestehen oder eskaliert der Machtkampf um die Arktis?
15.08.2025 18:16
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
Spitzbergen: Russland hat 100 Jahre nach dem Spitzbergen-Vertrag die Arktis genau im Blick
Der Spitzbergen-Vertag hat sich gerade zum 100sten Mal gejährt: Was hat Russland in der Arktis vor? (Foto: pixabay.com/MartinFuchs)

100 Jahre Spitzbergen-Vertrag – Norwegen bekräftigt Arktis-Anspruch

Vor genau einem Jahrhundert wurde Spitzbergen offiziell Norwegen zugesprochen. Mit dem Spitzbergen-Vertrag von 1925 erhielt das Land die Souveränität über die Inselgruppe in der Arktis, musste jedoch anderen Staaten gewisse Nutzungsrechte einräumen. Heute, angesichts wachsender geopolitischer Spannungen, betont Oslo erneut seinen Anspruch auf das Territorium – und sendet deutliche Signale an Russland, die USA und China.

Norwegens Regierungschef Jonas Gahr Støre erklärte beim feierlichen Hissen der norwegischen Flagge am 78. Breitengrad: "Dies ist der nördlichste Teil Norwegens und unterscheidet sich in keiner Weise vom Rest des Landes." Zum Jubiläum gab es Kranzniederlegungen, Gedenkgottesdienst, Ansprachen und kulturelle Veranstaltungen.

Strategischer Wandel in der Arktis

Während der norwegische Kohleabbau in Spitzbergen jahrzehntelang die physische Präsenz des Landes sicherte, wurde die letzte Mine in norwegischer Hand im Sommer geschlossen. Tor-Arne Iversen, langjähriger Leiter der Abbauarbeiten, nannte dies "einen äußerst dummen Beschluss". Im russisch geprägten Barentsburg hingegen wird weiter Kohle gefördert.

Heute lebt die Region vor allem von Tourismus und Wissenschaft. Über 150.000 Menschen besuchen jährlich die Hauptstadt Longyearbyen und umliegende Orte – oft mehr, als die gesamte Bevölkerung von rund 3.000 Einwohnern. Forschende aus über 60 Staaten, darunter auch aus der Schweiz, sind vor Ort aktiv.

Einzigartiger politischer Status

Der Spitzbergen-Vertrag macht den Archipel zu einem besonderen geopolitischen Raum. Zwar gehört er zu Norwegen, doch Bürger aller Vertragsstaaten – darunter Russland – dürfen sich hier niederlassen und wirtschaftlich betätigen. Eine Militarisierung ist laut Vertrag verboten.

Lange funktionierte das Nebeneinander von Norwegern und Russen problemlos. Doch seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich das Verhältnis drastisch verschlechtert. Moskau wirft Oslo vor, Spitzbergen in militärische Planungen der NATO einzubinden. Das russische Außenministerium spricht von einer Verletzung des Spitzbergen-Vertrags.

Russische Präsenz und Provokationen

Barentsburg ist mit etwa 350 Einwohnern der wichtigste russische Außenposten. Betrieben wird der Ort vom Staatskonzern Trust Arktikugol, der jährlich rund 100.000 Tonnen Kohle fördert – weit unter wirtschaftlicher Rentabilität. Experten sehen den Abbau vor allem als strategische Präsenzsicherung.

Russland pflegt auch in der aufgegebenen Siedlung Pyramiden eine symbolische Präsenz. Dort wurde ein Hotel für Touristen wieder eröffnet, kurz bevor das Nutzungsrecht abgelaufen wäre. Seit 2022 sind Kontakte zwischen Longyearbyen und den russischen Orten weitgehend eingestellt. Stattdessen häufen sich Provokationen wie das Hissen der Flagge der sogenannten Volksrepublik Donezk in Pyramiden oder eine Militärparade in Barentsburg.

Arktis-Anspruch und geopolitische Interessen

Für Russland ist die Arktis ein Gebiet mit enormem Ressourcenpotenzial. Hochrangige Vertreter in Moskau werfen dem Westen vor, die Region zu militarisieren. Norwegen bestreitet dies und betont, dass es keine militärischen Stützpunkte auf Spitzbergen gibt. Lediglich jährliche Besuche der Küstenwache sollen die Souveränität symbolisch unterstreichen.

Gleichzeitig sehen Experten die Gefahr, dass Russland den Archipel als Testfeld nutzen könnte, um die NATO herauszufordern. Bereits 2018 beschrieb Politikwissenschaftler James Wither Spitzbergen als "Achillesferse der NATO". Ähnliche Warnungen kommen vom deutschen Geheimdienstchef Bruno Kahl.

NATO-Bereitschaft und norwegische Verteidigungspläne

Der frühere US-General Ben Hodges ist überzeugt, dass die NATO Norwegen im Ernstfall unterstützen würde. Norwegen werde zunächst selbst handeln, könne aber auf schnelle Hilfe der Alliierten zählen. Hodges betont, dass eine entschlossene Unterstützung der Ukraine der beste Weg sei, einen Konflikt in der Arktis zu verhindern.

Ein russischer Angriff auf Spitzbergen könnte aus Sicht von Experten Teil einer Strategie sein, um den Zusammenhalt der NATO zu testen. Sollte die Ukraine nicht ausreichend unterstützt werden, könnte Russland nach einer Phase der militärischen Erholung seine Präsenz in der Arktis ausbauen.

Eisige Fronten im hohen Norden

Bis zum 24. Februar 2022 waren touristische Ausflüge von Longyearbyen nach Barentsburg beliebt. Heute warnt die norwegische Tourismusbehörde vor Besuchen. Die einst pragmatische Koexistenz ist einer frostigen Distanz gewichen. Mit dem 100. Jahrestag des Spitzbergen-Vertrags steht fest: Das Abkommen bleibt ein zentrales Instrument, um norwegische Souveränität zu sichern – und gleichzeitig den Einfluss anderer Staaten wie Russland zu regeln. Doch in Zeiten globaler Machtverschiebungen ist unklar, ob die feinen Balancepunkte des Vertrags auch in Zukunft halten.

Norwegens Strategie lautet, die Präsenz zu stärken, sowohl durch Investitionen als auch durch mehr norwegische Familien vor Ort. Einschränkungen für nicht-norwegische Einwohner unterstreichen den Willen Oslos, den Arktis-Anspruch aktiv zu verteidigen.

Ausblick: Stabilität oder neuer Konflikt?

Der Spitzbergen-Vertrag ist heute genauso umstritten wie bedeutend. Russland nutzt seine Rechte, um Präsenz zu zeigen und geopolitischen Einfluss zu sichern. Norwegen wiederum setzt auf internationale Forschung und Tourismus – Bereiche, die stark von globalen Beziehungen abhängen.

Die Zukunft Spitzbergens hängt eng mit der Entwicklung des Krieges in der Ukraine, den Beziehungen zwischen NATO und Russland und den globalen Begehrlichkeiten in der Arktis zusammen. Sicher ist nur: Die strategische Lage des Archipels macht es zu einem Schlüsselpunkt im Machtgefüge des 21. Jahrhunderts.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Bürokratieabbau verhindert: Warum Brüssel lieber Ideologie als Wirtschaft fördert
27.10.2025

Ein Signal gegen Wachstum: Das EU-Parlament hat den geplanten Bürokratieabbau für Unternehmen gestoppt – ausgerechnet jene Parteien,...

DWN
Politik
Politik Diplomat schlägt Alarm: Trumps Haltung gefährdet die Weltpolitik
27.10.2025

Donald Trumps mögliche Rückkehr ins Weiße Haus sorgt international für Spannungen. Viele Beobachter befürchten, dass seine...

DWN
Politik
Politik Argentinien: Milei feiert überraschenden Erfolg bei Kongresswahl
27.10.2025

Trotz Korruptionsskandalen und wirtschaftlicher Schwächen hat Argentiniens ultraliberaler Präsident Javier Milei bei den Zwischenwahlen...

DWN
Panorama
Panorama Olympia in München: Bürgerentscheid beschleunigt Bewerbungspläne
27.10.2025

Mit dem eindeutigen Votum für eine Olympiabewerbung setzt München den DOSB unter Zugzwang. Die Stadt drängt auf ein schnelleres Vorgehen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Vogelgrippe: Geflügelpreise trotz massenhafter Keulungen stabil
27.10.2025

Trotz massenhafter Tötungen von Nutztieren infolge der Vogelgrippe rechnet die deutsche Geflügelwirtschaft nicht mit kurzfristigen...

DWN
Politik
Politik Nord-Stream-Anschlag: Gericht genehmigt Auslieferung mutmaßlichen Täters nach Deutschland
27.10.2025

Die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines 2022 sorgten international für Aufsehen. Nun hat ein italienisches Gericht erneut der...

DWN
Finanzen
Finanzen Energie-Investments in bewegten Zeiten: Chancen zwischen Atom, Wasserstoff und Sonne
27.10.2025

Die Welt verschlingt immer mehr Strom – von KI bis Rüstung. Atomkraft erlebt ein Comeback, Wasserstoff bleibt Wette auf die Zukunft,...

DWN
Politik
Politik 75 Jahre Verfassungsschutz: Präsident Selen warnt vor verschärfter Bedrohungslage
27.10.2025

Zum Jubiläum blickt der Verfassungsschutz auf wachsende Herausforderungen. Wo die Behörde derzeit die größten Gefahren sieht – und...