Finanzen

Revolution der Investoren: Keine neuen Kredite für Staatsschulden in Europa

Den überschuldeten Euro-Staaten droht Gefahr von unerwarteter Seite. Die Negativzinsen, die Anleger vorübergehend vor allem für deutsche Papiere zahlen müssen, treiben die Anleger aus dem Bond-Markt. Daher droht den Schulden-Staaten eine Revolution der Anleger: Sie wollen aussteigen. Beobachter sehen bereits einen Crash im Markt für Staatsanleihen.
03.05.2015 01:27
Lesezeit: 2 min

Die Politik der EZB scheint die Kreditaufnahme der Regierungen in Europa deutlich zu erschweren: Nach Bill Gross und Jeff Gundlach wollen immer mehr institutionelle Anleger aus der Finanzierung der Euro-Staaten aussteigen. Der Nachrichtendienst Bloomberg berichtet, dass auch Steven Wieting von der Citi seine Investments in Staatsanleihen in der vergangenen Woche gekappt hat und lieber in US-Treasuries geht. Der Grund ist einfach: Die Vermögensverwalter sind nicht bereit, für ihre Anlagen Geld in Form von Negativzinsen zu bezahlen.

Diese Entwicklung macht sich bereits in den Renditen für Staatsanleihen bemerkbar: In der vergangenen Woche haben so gut wie alle EU-Staaten eine scharfe Trend-Umkehr erlebt: Deutsche zehnjährige Papiere stiegen um 20 Basispunkte. In weniger als zwei Wochen stieg die Rendite von 0,049 Prozent auf 0,37 Prozent. Der Anstieg wurde von etlichen Beobachtern als "Flash-Crash" bezeichnet, andere sagten, die Blase sein noch nicht geplatzt - was insoweit interessant ist, als dass damit eingeräumt wird, dass der ganze Bond-Markt durch die Interventionen der EZB zu einer Blase geworden ist.

Und doch scheinen die Anleger den Glauben in die Wirksamkeit der EZB-Programme zu verlieren.

Peter Jolly von der National Australia Bank sagt, dass es eine Illusion sei, zu glauben, das Ankaufprogramm der EZB habe eine automatische Wirkung auf die Staatsanleihen. Offenbar hat nämlich in der Investment-Community nun das Misstrauen gegenüber der EZB überhand genommen. Der Grund: Die Anleger erwarten negative Zinsen auf breiter Front, einzelne Extrem-Szenarien halten sogar Negativ-Zinsen von 5 Prozent für möglich. Diese Entwicklung würde auch die Staatsanleihen treffen, weil sie, im Grund wie das Bargeld, als sichere Anlage gelten.

In der Schweiz sind die Erträge bereits in den negativen Bereich abgerutscht. Die Tatsache, dass zehnjährige Bunds in den vergangenen Wochen gefährliche nahe an die Null-Linie gerutscht sind, führt vor allem bei mittlelgroßen Vermögensverwaltern zu einem Umdenken: Sie wollen keine Verluste riskieren und sind nicht bereit, Strafzinsen für ihr Geld zu bezahlen. Steven Wieting sagte Bloomberg, es sei sinnlos, den europäischen Staaten Geld zu leihen. Wegen der EZB-Politik sei es viel sinnvoller, sich selbst in Europa Geld zu leihen - und mit den Krediten in andere Investments zu gehen.

Die Papiere müssten unter diesem Gesichtspunkt wie Waren oder Rohöl betrachtet werden, sagte Steven Major von der Londoner Großband HSBC. Ohne festen Ertrag schließe man beim Kauf eine Wette auf die künftige Preisentwicklung ab. „Das ist verrückt“, so Major, „so sollte der Bond-Markt nicht funktionieren.“

Die EZB hat im März 52,5 Milliarden Euro in den Bond-Markt gepumpt. Das wird die Renditen weiter unter Druck setzen. Spätestens im Juni werden die Bunds in den negativen Bereich rutschen, sagt Peter Goves, Stratege bei der Citigroup.

Die Entwicklung kann einschneidende Folgen für die Finanzierung der Staaten haben: Sie werden wieder höhere Zinsen für Kredite bezahlen müssen. Damit könnten die verschiedenen Haushalts-Planungen über den Haufen geworfen werden, weil die meisten Euro-Finanzminister in ihren Kalkulationen von anhaltend niedrigen Zinsen für Staatsschulden ausgehen. Diese Planung kann, wenn die Investoren wirklich nachhaltig aus dem Bond-Markt flüchten, verhängnisvolle Auswirkungen haben. Ein Anstieg der Zinsen bei Staatsanleihen - damit hat die EZB wirklich nicht gerechnet, als sie ihr Ankaufprogramm für die südeuropäischen Schuldenstaaten aufgelegt hat. Mario Drahji bekommt nun die Folgen einer Zentralwirtschaft zu spüren: Die Realität hält sich meist nicht an die Vorgaben der Bürokraten. Die Märkte behalten die Oberhand, whatever it takes. 

 

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Misserfolg bei Putins Wirtschaftsforum in St. Petersburg: Die marode Kriegswirtschaft interessiert kaum jemanden
23.06.2025

Das Wirtschaftsforum in St. Petersburg sollte Russlands wirtschaftliche Stärke demonstrieren. Stattdessen offenbarte es die dramatische...

DWN
Politik
Politik Zwangslizenzen: EU hebelt den Patentschutz im Namen der Sicherheit aus
23.06.2025

Die EU will künftig zentral über die Vergabe von Zwangslizenzen entscheiden – ein tiefer Eingriff in das Patentrecht, der die...

DWN
Technologie
Technologie Umfrage: Zwei Drittel für europäischen Atom-Schutzschirm
23.06.2025

Eine Forsa-Umfrage zeigt, dass eine deutliche Mehrheit der Deutschen den Aufbau eines europäischen nuklearen Schutzschildes befürworten....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Internationale Anleger kehren der Wall Street den Rücken
23.06.2025

Ölpreise steigen, geopolitische Risiken nehmen zu – und Europas Aktienmärkte wirken plötzlich attraktiv. Während die US-Börsen ins...

DWN
Politik
Politik Personalmangel im öffentlichen Dienst - DGB fordert mehr Personal
23.06.2025

Milliardeninvestitionen sollen in Deutschland die Konjunktur ankurbeln. Doch Personalmangel in Behörden könnte den ehrgeizigen Plänen...

DWN
Politik
Politik Iran-Israel-Krieg: Internet überflutet mit Desinformation
23.06.2025

Falsche Videos, manipulierte Bilder, inszenierte Explosionen: Der Konflikt zwischen Iran und Israel spielt sich längst auch im Netz ab –...

DWN
Politik
Politik Aus Angst vor Trump: China lässt den Iran im Stich
23.06.2025

Chinas harsche Kritik an den US-Angriffen auf Iran täuscht über Pekings wahres Kalkül hinweg. Im Hintergrund geht es um knallharte...

DWN
Politik
Politik US-Angriff auf den Iran: Die Märkte bleiben erstaunlich ruhig
23.06.2025

Trotz der Angriffe auf iranische Atomanlagen bleiben die globalen Märkte ruhig. Doch die Straße von Hormus bleibt ein geopolitischer...