Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Informationen hat die Opposition im Bundestag bisher über den Stand der TTIP-Verhandlungen erhalten?
Anton Hofreiter: Wir bekommen die Vorschläge der Kommission an die USA, nicht aber die US-Vorschläge oder die so genannten konsolidierten Texte, die den aktuellen Verhandlungsstand eines Kapitels zeigen. Darüber hinaus erhalten wir die Berichte der Kommission über die einzelnen Verhandlungsrunden, die aber nur eine Zusammenfassung darstellen. Ferner erhalten wir Notizen, die die Bundesregierung sich von Dokumenten in den Leseräumen in Brüssel und Berlin anfertigt. Diese können wir aber nicht auf Vollständigkeit überprüfen und sie sind auch nicht immer genau genug, um für uns kritische Aspekte herauslesen zu können. Darüber hinaus ist zu beachten, dass wir all die Informationen nur vertraulich bekommen (sofern sie nicht auf der Kommissionswebseite veröffentlicht werden, was nur für einige der EU-Textvorschläge zutrifft). Das bedeutet, dass wir die Dokumente beziehungsweise die darin enthaltenen Informationen nicht an die Öffentlichkeit weitergeben dürfen, was unsere Arbeit deutlich erschwert und insbesondere unmöglich macht, Bürgerinnen und Bürger über kritische Aspekte zu informieren.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In der amerikanischen Botschaft in Berlin liegen derzeit die Vorschläge der US-Regierung zum TTIP auf. Die Opposition hat jedoch keinen Zugang zu diesen Papieren, sie dürfen nur von Mitgliedern der Bundesregierung oder deren Beauftragten eingesehen werden. Können Sie diesen Zustand hinnehmen?
Anton Hofreiter: Nein, dies nehmen wir nicht hin und wir haben diesbezüglich immer wieder versucht zu intervenieren. Wir sind unter anderem dafür zuständig die Bundesregierung im Bezug auf ihre Arbeit im Handelsrat zu kontrollieren. Im Rat wird die Bundesregierung über die Verhandlungen unterrichtet und gibt der Kommission wichtige Signale und Hinweise, die deren Verhandlungsstrategie und -inhalt beeinflussen. Um eine umfassende Kontrolle im Sinne der BürgerInnen ausüben zu können, müssen wir wissen, wie der aktuelle Stand ist. Da es Aspekte geben kann, von denen wir nicht einmal wissen, ob es sie gibt, können wir auch nicht feststellen, ob es Punkte gibt, auf die die Bundesregierung eingehen müsste im Rat, es aber nicht tut. Effektive Kontrolle ist so nicht möglich. Diese wäre aber notwendig, um bereits während der Verhandlungen Veränderungen zu erwirken. Dafür ist es am Ende, wenn das Parlament nur noch zustimmen oder das Abkommen in Gänze ablehnen kann, zu spät.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Möglichkeiten haben Sie, um in dieser Sache Druck auf die Bundesregierung auszuüben? Welche Initiativen sind von den Grünen geplant, um die Geheimniskrämerei um das TTIP zu beenden? Gibt es unter Umständen Maßnahmen, die man im Zusammenwirken mit anderen Parteien, etwa auch auf EU-Ebene, erreichen könnte? Welche Maßnahmen planen die Grünen, etwa in Zusammenarbeit mit der Fraktion im EU-Parlament, um eine bessere Transparenz zu erhalten?
Anton Hofreiter: Wir haben es im Ältestenrat angesprochen und zuletzt hat die zuständige Abgeordnete Katharina Dröge eine entsprechende Frage an die Bundesregierung gestellt: Die USA blockiert eine Veröffentlichung ihrer Vorschläge und der konsolidierten Texte. Hier müsste es deutlichere Ansagen der Bundesregierung und der Kommission geben, dass sie das nicht hinnimmt. Das Europäische Parlament arbeitet im Moment an seinem Bericht zu TTIP. Dabei sieht der derzeitige Entwurf auch einen Passus zu Transparenz vor, in dem darauf hingewiesen wird, dass weitere Transparenz nötig ist, unter anderem auch um mit Stakeholdern sprechen und sie informieren zu können. Dafür, dass die Textpassage deutlich mehr Transparenz fordert, insbesondere in Bezug auf konsolidierte Texte, war die grüne EP-Fraktion maßgeblich. Insgesamt sind die Einflussmöglichkeiten der grünen Bundestagsfraktion begrenzt; der Druck der Zivilgesellschaft ist diesbezüglich sehr wichtig, um die Kommission zu mehr Transparenz zu zwingen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Eine unabhängige Studie hat ergeben, dass das Abkommen vor allem den Niedriglohnbereich in Europa ausweiten wird. Welche Maßnahmen müssen aus Ihrer Sicht ergriffen werden, um die Arbeitnehmer davor zu schützen?
Anton Hofreiter: Wir haben aber das Thema Arbeitsschutz (ILO-Kernarbeitsnormen) immer wieder angesprochen. Wir haben uns für einen Neustart der TTIP-Verhandlungen ausgesprochen, weil die jetzigen Verhandlungen in eine völlig falsche Richtung gehen, da helfen keine kleinen Nachjustierungen. Verschärfter Wettbewerb ist problematisch, wenn wir in Bezug auf Standards und Rechte kein „level playing field“ haben, gerade im Bereich der Liberalisierung von Dienstleistungen ist große Vorsicht geboten.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Bundesregierung und die EU-Kommission beteuern laufend, dass das Abkommen keinerlei Veränderungen bei den Standards in der der EU bringen wird. Glauben Sie diesen Beteuerungen?
Anton Hofreiter: Nein, denen glauben wir nicht. Seit zwei Jahren erzählen uns Frau Merkel und die Kommission von den angeblichen Segnungen des TTIP-Abkommens. Wenn an diesem Argument etwas dran wäre, sollte ein Zugang zu den Texten für Abgeordnete und BürgerInnen kein Problem sein. Wir müssen deshalb mehr denn je befürchten, dass unsere Sorgen in Bezug auf TTIP mehr als berechtigt sind. Im Kern betreffen diese vor allem die Schiedsgerichte, die regulatorische Kooperation, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Website.
Dr. Anton Hofreiter ist seit Oktober 2013 gemeinsam mit Katrin Göring-Eckardt Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion.