Das Symposium der Federal Reserve Bank of Kansas City in Jackson Hole förderte in überraschender Offenheit eine zentrale Erkenntnis der finanziellen Repression zu Tage: Eine extreme Geldpolitik, die mit Strafzinsen dafür sorgen will, dass Geld in den Umlauf gebracht wird, funktioniert nicht, solange es Bargeld gibt. Einer der Experten des Symposiums, Marvin Goodfriend von der Carnegie Mellon University, präsentierte zu diesem Zweck an prominenter Stelle ein Working Paper über die „Schaffung eines Rahmens für eine belastbare Geldpolitik der Zukunft“.
Darin macht Goodfriend deutlich, dass negative Nominalzinsen generell ein brauchbares Instrument sein können, um zukünftig notwendige monetäre Impulse zu setzen. Er spricht von der Schaffung einer „schuldenfreien“ Zinspolitik (unencumbering interest rate policy), die es möglich machen soll, „in einer zukünftigen Krise nominale Leitzinsen unbegrenzt und effektiv als realistische politische Option einzusetzen“.
Goodfriend führt diesbezüglich verschiedene Möglichkeiten an, um eine solche Zinspolitik möglich zu machen. Eine davon ist die „Abschaffung von Cash“. Die „einfachste Art und Weise (…) ist es, das Bargeld abzuschaffen“, so Goodfriend. Das wäre effektiv, würde keiner neuen Technologie bedürfen und würde keine institutionellen Modifizierungen nach sich ziehen. Damit würde verhindert, dass Bankkunden ihr Geld von der Bank holen und unter der Matratze lagern. Alternativ schlägt Goodfried eine elektronische Währung vor, mit der die Zentralbanken negative oder positive Zinsen alternativlos verordnen könnten.
Allerdings würde man der Bevölkerung einige Annehmlichkeiten, die das Bargeld mit sich bringt, berauben, so Goodfriend weiter. Er spricht dabei unter andere, von einem „gewissen Maß an Privatsphäre (…), einem Wertspeicher außerhalb des Bankensystems“, etc. Die Öffentlichkeit werde sich aber wahrscheinlich so lange gegen eine Abschaffung des Bargeldes wehren, bis die mobilen Bezahlmöglichkeiten günstiger und einfacher in ihrer Anwendung sind.
Einer seiner Vorschläge zum Übergang zu einer bargeldlosen Gesellschaft ist daher die Schaffung einer elektronischen Währung als Ersatz für Bargeld. Dabei geht es Goodfriend nicht einfach um das Bezahlen mit dem Smartphone oder einer Kreditkarte in einem Onlineshop oder an der Kasse eines Supermarktes. Goodfriend spricht von nummerierten „Währungskarten“, die einen bestimmten Wert haben und ausgegeben werden, ähnlich einer Gutscheinkarte, wie sie auch schon hierzulande für Google Play, Amazon oder für Prepaid-Handys gekauft werden kann. Damit wäre wie beim Bargeld die Anonymität, die Sicherheit und die Aufbewahrung von Warenwerten möglich, so Goodfriend.
Der Bargeld-Vorschlag illustriert die Ratlosigkeit der Zentralbanker. Sie sind nicht imstande, aus der Geldschwemme auszusteigen. Wie immer in einer Krise gibt es auh in der Geldpolitik nun die obligate Suche nach einem Schuldigen: Die Zentralbanker fühlen sich laut Reuters von der Politik im Stich gelassen. An den Reformbemühungen der Regierungen gibt es scharfe Kritik. Das wurde beim jährlichen Treffen internationaler Zentralbanker im amerikanischen Jackson Hole deutlich, das am Samstag zu Ende ging.
„Wir erkunden, wie wir in einer Welt agieren, die ganz anders ist als vor der Krise“, sagte Dennis Lockhart, Chef des US-Notenbankablegers in Atlanta. Auch Jahre nach der Finanzkrise kommt die globale Konjunktur nur mäßig in Schwung. Trotz extrem niedriger Zinsen bleibt das Wachstum schwach, und auch die Inflation zieht nicht an. Lockhart spricht von einer „schönen neuen Welt“ – in Anlehnung an Aldous Huxleys berühmten gleichnamigen Roman, der das Schreckensbild einer utopischen Gesellschaft zeichnet.
Als zentrales Problem gilt, dass die Geldpolitik die Erwartungen von Firmen und Verbrauchern zur Konjunktur- und Inflationsentwicklung offenbar nicht mehr im gewünschten Ausmaß beeinflussen kann. Demnach halten sich die Wirtschaftsakteure mit Ausgaben und Investitionen zurück, weil sie nicht an einen Aufschwung glauben und sich zugleich nicht durch einen Anstieg der Teuerung unter Druck sehen.
Da sich die Zinsschraube kaum noch weiter zurückdrehen lässt, haben viele Notenbanken die Märkte mit Geld geflutet, indem sie massenweise Staatsanleihen aufkauften. Nun stellt sich die Frage, ob diese Instrumente auf Dauer Wirkung zeigen. In den USA hält Fed-Chefin Janet Yellen das aktuelle Arsenal noch für ausreichend. Ihren Worten zufolge müssen künftige Fed-Vertreter entscheiden, ob sie sich weiterer Mittel bedienen, wie sie andere Notenbanken bereits einsetzen. Manche von Yellens Kollegen dringen jedoch darauf, die Diskussion bereits jetzt zu führen – also in einer Zeit, in der die Zeichen in den USA wieder auf Zinsanhebungen stehen.
Als Möglichkeiten führte Yellen unter anderem eine Anhebung des Inflationsziels auf sowie eine Ausweitung des Kaufprogramms auf andere Wertpapierarten. Die Europäische Zentralbank (EZB) etwa erwirbt seit Juni auch Firmenanleihen. In dieser Frage droht der Fed allerdings erheblicher Gegenwind aus dem Parlament. Dort stieß bereits das laufende Kaufprogramm auf erhebliche Kritik. Die Notenbanker stehen zudem vor der Frage, ob sie die erworbenen Papiere wie geplant wieder verkaufen oder doch zu großen Teilen in der Bilanz lassen. Nicht genannt wurde von Yellen das Vehikel der Strafzinsen, unter denen bereits Banken in der Euro-Zone und in der Schweiz ächzen.
In Jackson Hole am Rande der Rocky Mountains debattierten die Teilnehmer auch über neben der Abschaffung des Bargeldes sogar noch radikalere Konzepte. So wurde der Fed nahegelegt, die Geldpolitik wegen mangelnder Effizienz schlichtweg aufzugeben und stattdessen von der Politik immense Ausgabenprogramme einzufordern.
Hilferufe an die Adresse der Regierungen waren auf der hochrangig besetzten Veranstaltung an der Tagesordnung. EZB-Direktor Benoit Coeure etwa warf den europäischen Ländern Zögerlichkeit vor. Diese hätten sich lediglich zu „halbgaren und halbherzigen Strukturreformen“ durchringen können, kritisierte Coeure. Japans Notenbankchef Haruhiko Kuroda forderte für sein Land eine Öffnung für Einwanderer, um der Überalterung der Gesellschaft entgegenzuwirken.