Die Politik kennt vor allem ein Rezept zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise im Gefolge von Corona: Kredite. Und die Unternehmer in Deutschland und in ganz Europa pilgern nun zu den Banken, um ihre Umsatz- und Gewinnausfälle zu finanzieren. Es geht mittlerweile um zwei Monate Stillstand, nachdem Politik die ersten Lockerungen nur zögerlich gewährt und anschließend gleich wieder in Frage gestellt hat. Erst am Donnerstag hat die deutsche Bundesregierung de-facto den Lock-Down aufs Erneute verlängert. Doch wie hat man sich dieser Tage einen Besuch bei der Bank vorzustellen? Eins steht fest: In aller Regel handelt es sich nicht um eine angenehme Erfahrung.
Wo ist die Filiale geblieben, wo der Betreuer, die Beraterin?
Die erste Frage lautet: Gibt es die Filiale, bei der man jahrelang betreut wurde, überhaupt noch? In vielen Fällen lautet die Antwort: Nein – diese Filiale wurde nämlich eingespart. Immerhin gibt es als Ersatz irgendwo, unter Umständen ziemlich weit weg, ein Beratungszentrum für kleine und mittlere Unternehmen. Wobei man diese Unternehmen eigentlich gar nicht mehr so nennt, stattdessen fingieren sie unter der viel moderneren Bezeichnung „KMU“.
Ein Anruf bei diesem Zentrum führt nun zur Mitteilung, dass der Berater beziehungsweise die Beraterin, die man lange gekannt hat, in diesem Zentrum nicht tätig ist. Die Dame, der Herr „hat das Unternehmen verlassen“ oder „eine andere Aufgabe im Konzern“ übernommen. Aber die unbekannte Stimme erkundigt sich höflich nach dem Begehr und zeigt sich diensteifrig. Der Anrufer versucht sein Problem zu erklären, stößt auf freundliches Unverständnis und legt auf. Nach einiger Überlegung folgt ein neuer Versuch, der bei einer anderen ebenfalls willigen, nichtsdestotrotz überforderten Stimme landet. Ein Termin mit Unbekannt im geheimnisvollen Zentrum wird vereinbart. Wohlgemerkt: Das ist, abgesehen von wenigen leuchtenden Ausnahmen, die aktuelle Realität des Bankenwesens bereits ohne Corona.
Haben Sie tatsächlich durch den Lock-Down Verluste erlitten? Und wenn ja: Welche?
Es ist allerdings fraglich, ob der Termin wegen der Corona-Schutzmaßnahmen zustande kommt. Doch sei diese glückliche Fügung angenommen. Die angetroffene Betreuerin, der zugewiesene Berater erweist sich als kooperativ und vor allem als kundig. Denn es geht nicht einfach um die Vergabe eines Kredits nach dem Motto „gewährt oder nicht“, es gilt eine Unzahl in den vergangenen Jahren entstandener Vorschriften zu berücksichtigen und, damit nicht genug, die Bedingungen zu beachten, die die Voraussetzungen für eine Hilfe in der Corona-Krise definieren. Wehmütig denkt der vom Lock-Down geplagte Unternehmer an die Zeiten zurück, als er oder sie mit einem Mitarbeiter zu tun hatte, der die Firma und die dort tätigen Menschen kannte und unbürokratisch ein Kreditansuchen mit „ja“ oder „nein“ beantwortete.
Ein kleiner Auszug aus dem Gespräch:
- Sind Sie durch Corona geschädigt?
Antwort (mit einem müden Lächeln): „Ja“.
- Dann wäre die Umsatzsteuer-Voranmeldung für März hilfreich. Der Lock-Down hat ja erst Mitte März begonnen.
„Ah, ich ersuche aber lediglich um Hilfe für den Mai.“
- Ein Computer-Auszug wäre nützlich.
„Selbstverständlich, bitte sehr!“
- Und wie waren Ihre Umsätze in der Vergleichszeit der beiden Vorjahre, und wie hoch war Ihr Gewinn? Wie hat die Situation Ende 2019 ausgesehen? Haben Sie die Bilanz dabei?
„Nun ja – die Erklärungen für 2019 sind doch noch nicht fertig. Die Bilanz 2018 hätte ich allerdings.“
- Naja. Haben Sie schon eine Förderungszusage der KfW?
„Nein, ich dachte, das geht über die Bank.“
- Ja, aber erstmal müssen wir jetzt den Antrag an die KfW machen. Aber ohne Daten, an denen man den Corona-Schaden messen kann, ist das nicht leicht. Auch andere Förderstellen wie die Europäische Investitionsbank oder die Bundesländer verlangen Unterlagen. Wichtig ist nachzuweisen, dass die Firma vor Corona unter Beachtung der EU-Regeln als gesund einzustufen war.
Die Bankenaufseher nehmen nur zögernd die Krise zur Kenntnis
Die letzte vom Bank-Berater getätigte Aussage kommt nicht zufällig. Die Bankmitarbeiter stehen seit Jahren unter dem Druck der Bankenaufsicht und müssen möglichst jedes Risiko vermeiden. Die Regeln werden laufend verschärft, wobei die Anerkennung von verpfändeten Sicherheiten wie Grundstücke, Wertpapiere und Sparbücher immer mehr in Frage gestellt wird. Unter dem Schock der Corona-Krise haben die europäischen und die nationalen Aufseher erklärt, sie würden die Vorgaben lockern. Wie allerdings die Realität aussieht, liest man in den auf europäischer Ebene abgestimmten Richtlinien der deutschen Aufsichtsbehörde BaFin:
„Die Bank darf einen Kredit geben, auch wenn die Firma derzeit die Zinsen nicht erwirtschaften kann. Die Bonität eines Unternehmens wird nicht sofort angesichts der Krise in Frage gestellt.“
Womit die eisernen Regeln vermeintlich aufgeweicht sind. Es folgt jedoch ein großes Aber:
„Das Institut muss im Rahmen einer bankinternen Bewertung zu dem Schluss kommen, dass das Unternehmen (nach der Krise) überlebensfähig ist (wieder Kapitaldienst erwirtschaften wird bzw. ohne Corona-Krise kein Sanierungsfall geworden wäre)“.
Wehe da dem Mitarbeiter, der kein guter Prophet ist, das Unternehmen positiv bewertet und in einigen Monaten berichten muss, dass es pleite gegangen und der Kredit damit verloren ist. Also halten sich die Mitarbeiter lieber an eine andere Vorgabe der BaFin: Der künftige Erfolg „kann automatisch für alle Kreditnehmer angenommen werden, die Fördermittel aus dem Hilfsprogramm der KfW oder gegebenenfalls aus Hilfsprogrammen der Länder und Kommunen erhalten.“
Womit der Unternehmer beim Staat gelandet ist, denn die viel zitierte KfW, im vollen Wortlaut „Kreditanstalt für Wiederaufbau“, ist die Bank des Staates und kann nur Kreditgarantien an Unternehmen vergeben, weil die KfW selbst durch Staatsgarantien abgesichert ist.
Wie soll die KfW hunderttausende Unternehmen absichern?
In Deutschland gibt es 2,5 Millionen Unternehmen. Wenn man die Kleinstunternehmen ausklammert, sind es immerhin noch 500.000 so genannte kleine, mittlere und größere Firmen. Etwa 20.000 zählen zur den größeren. Also kann man etwa 480.000 Betriebe als Träger der mittelständischen Wirtschaft bezeichnen. Auf die Hilfe der KfW sind unter den geschilderten Bedingungen, die die Banken beachten müssen, hunderttausende von ihnen angewiesen. Und wie sieht die diesbezügliche Praxis jetzt aus?
Die KfW berichtet: „Insgesamt beläuft sich das Volumen im KfW-Sonderprogramm „Corona-Hilfen“ (Stand 29.04.2020) mit 25.510 Anträgen auf 33,1 Mrd. EUR. Davon sind bereits 25.183 Anträge zugesagt worden. 90% der eingegangenen Anträge haben ein Kreditvolumen von bis zu 800.000 EUR, bei weiteren knapp 8% handelt es sich um Kredite mit bis zu 3 Mio. EUR Volumen. Am 15.04.2020 führte die KfW im Auftrag der Bundesregierung ein neues Produkt, den KfW-Schnellkredit mit 100%iger Risikoübernahme durch die KfW ein, um den Unternehmen weitere Unterstützung in der Corona-Krise anzubieten. Der KfW-Schnellkredit erreichte in den ersten Tagen ein Antragsvolumen von 794 Mio. EUR (Stand 29.04.2020).“
Die KfW fügt hinzu: „Im weiteren Verlauf wird ein deutlicher Zuwachs in den Corona-Programmen erwartet.“ Dieser Satz wirkt irgendwie sarkastisch, wenn man die 25.183 stolz erledigten Anträge in Relation zu den hunderttausenden KMU sieht.
Wobei nicht oft genug betont werden kann, wie problematisch die Finanzierung der vielen Ausfälle durch Kredite ist. In der politischen Propaganda wird der falsche Eindruck vermittelt, eine Staatshaftung würde alle Probleme lösen. Nur zur Klarstellung: Diese Kredite müssen zurückgezahlt werden, binden also in Zukunft Geld, das die Unternehmen eigentlich für andere Zwecke dringend benötigen.
Auf das Geld für die Kurzarbeit muss man immer länger warten
Das Gespräch in der Bank beschränkt sich allerdings nicht auf den Versuch, die durch den Lock-Down aufgerissenen Löcher zu stopfen. Auch die Kurzarbeit löst ein gewaltiges Finanzierungsproblem aus. In Deutschland sind bereits mehr als zehn Millionen Arbeitnehmer zur Kurzarbeit angemeldet. Dies bedeutet, dass die Mitarbeiter nach der bisherigen Regelung 60 Prozent des Nettolohns vom Staat bekommen; haben sie Kinder, sind es 67 Prozent. Eine Anhebung auf 80 beziehungsweise 87 Prozent ist vorgesehen. Das Kurzarbeitergeld hat den enormen Vorteil, dass die Mittel nicht zurückgezahlt werden müssen, also eine echte Hilfe darstellen. Vermerkt sei jedoch, dass diese durchaus als Wohltat zu bezeichnende Förderung künftige Ansprüche auf Renten- oder Arbeitslosengeld reduziert.
Die Abwicklung in der Praxis ist allerdings nicht unproblematisch für die Unternehmer. Zehn Millionen Fälle bedeuten, dass fast 30 Prozent der 33,6 Millionen sozialversicherten Arbeitnehmer betroffen sind, dass die „Bundesagentur für Arbeit“ einen gigantischen Arbeitsaufwand zu bewältigen hat, der in den kommenden Tagen noch anwachsen dürfte. In den ersten Tagen der Krise kamen die Zusagen und auch das Geld recht prompt, mittlerweile ist der Andrang so groß, dass unweigerlich Wartezeiten zu überwinden sind. Für die Unternehmen eine bittere Pille: Sie müssen die Löhne und Gehälter vorfinanzieren und landen wieder bei der Bank mit dem Ersuchen um eine Zwischenfinanzierung.
Man muss angesichts der geschilderten Umstände, unter den Finanzierungen vergeben werden, nicht lange nachdenken um die erste Frage des Bankmitarbeiters zu erraten: Haben Sie eine gültige Zusage der Bundesagentur für Arbeit? Wenn nicht, eine Haftungszusage der KfW oder eines Bundeslandes? Nein? Dann wird es schwierig. Somit löst auch die Kurzarbeit, die eine nicht rückzahlbare Förderung darstellt, ein Kreditproblem aus.
Kredite sind, wie bereits betont, eine Belastung der Zukunft und somit eine Behinderung des Aufschwungs. Zu den Krediten kommen aber auch weitere Verpflichtungen, die in die Zukunft geschoben werden, als ob in den nächsten Monaten mit einer blühenden Konjunktur zu rechnen wäre, die die Bezahlung aller Schulden leicht ermöglichen würde. Gestundet werden derzeit Steuern, Mieten und Raten für bestehende Kredite, wenn man nachweisen kann, dass der Corona-Lock-Down die Zahlungsfähigkeit verringert oder vernichtet hat. In wenigen Monaten sammeln sich auf diese Weise Schuldenberge an, die die Firmen reihenweise in die Pleite treiben müssen.
Zuschüsse wären letztlich billiger als der aktuelle Flickteppich aus Förderungen. Das vermeintliche „Klotzen“ erweist sich als „Kleckern“
In den zahlreichen Wirtschaftsbelebungsprogrammen werden tatsächlich auch Zuschüsse vergeben, doch spielen diese eine geringe Rolle im Vergleich zu den Haftungen für Kredite. Im deutschen Wirtschaftsbelebungsprogramm sind 50 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt für nicht rückzahlbare Förderungen vorgesehen, die gemeinsam mit weiteren Mitteln aus den Budgets der Bundesländer an Kleinstunternehmen, Solo-Selbstständige und Angehörige der Freien Berufe ausbezahlt werden. Auch die Start-ups können sich über ein Förderprogramm des Bundes in der Höhe von zwei Milliarden Euro freuen.
Aber auch in Deutschland, das ein im europäischen Vergleich sehr großes Hilfsprogramm umsetzt, dominiert der problematische Zugang, der in ganz Europa vorherrscht. Den 50 Milliarden an Zuschüssen steht mit 500 Milliarden das Zehnfache an Haftungen für Kredite an größere Unternehmen und für eine zusätzliche Absicherung der KfW gegenüber.
Für die Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern werden noch sogenannte direkte Kapitalmaßnahmen in der Höhe von insgesamt 100 Milliarden Euro über einen Schutzfonds abgewickelt. Im Rahmen dieser 100 Milliarden dominieren kreditähnliche Instrumente wie Nachranganleihen, stille Beteiligungen sowie Genussrechte, erstaunlicherweise aber auch echte Beteiligungen. Vorgesehen ist also die vollständige oder teilweise Verstaatlichung von Unternehmen. Nach der jahrzehntelangen kläglichen Geschichte Verstaatlichungen (zum Beispiel in Osteuropa zu Zeiten des Kommunismus) ist schwer nachvollziehbar, dass auch dieser Weg nun beschritten wird.
Die Politik wird europaweit zur Kenntnis nehmen müssen, dass nur großzügige, nicht rückzahlbare Zuschüsse die Folgen des Corona-Lock-Down beseitigen können. Dafür werden die Staaten zusätzliche Schulden machen müssen, die aber zu rechtfertigen sind, weil sie tatsächlich den Aufschwung ermöglichen. Damit nicht genug: Ohne eine wirksame Wirtschaftspolitik schlittert Europa in eine Wirtschaftskrise, die durch Steuerausfälle und zusätzliche Sozialausgaben die Staaten noch weit stärker belasten wird als eine jetzt durchgeführte großzügige Hilfsaktion.
Die Ironie ist nicht zu übersehen: Überall in Europa werden derzeit Beschlüsse über Hilfsprogramme mit hunderten Milliarden gefasst und die Akteure brüsten sich, dass diese Summen doch zeigen, dass man nicht „kleckert, sondern klotzt“. Na ja – echtes Klotzen würde bedeuten, die Unternehmen mit barem Geld vor dem Dschungel staatlicher Vorschriftsfallen und einer gigantischen Verschuldung zu bewahren.