EU-Wasserkrise: Missmanagement, Klimawandel und leere Versprechen
Die Staaten in ganz Europa kämpfen mit einer wachsenden Wasserkrise, die durch jahrzehntelanges Missmanagement der Grundwasservorräte und den Klimawandel verschärft wird. Daten zum Zustand des europäischen Wassernetzes, die Eurostat im Frühjahr veröffentlichte, offenbaren alarmierende Trends zur künftigen Widerstandsfähigkeit der Wasserressourcen auf dem sich am schnellsten erwärmenden Kontinent der Welt, der 2024 den bislang heißesten Sommer verzeichnete. Das berichtet das Wirtschaftsportal Finance.si.
Das Wasserdefizit, das traditionell nur Südeuropa betraf, trifft inzwischen 41 Prozent der EU-Bevölkerung und fast 34 Prozent der Landfläche der Union. Da der Verbrauch in kritischen Industrien bis 2030 im Vergleich zum Vorjahr auf das Dreifache steigen wird, wird Wasserknappheit zu einer der drängendsten Herausforderungen, mit denen die EU und ihre Mitgliedstaaten konfrontiert sind. Ohne rasches Handeln droht immer mehr Menschen der unbeschränkte Zugang zu Wasser verloren zu gehen.
„Möglicherweise haben wir einfach nicht genügend Wasser von ausreichend guter Qualität für all die Zwecke, für die wir es nutzen wollen“, sagte Trine Christiansen von der Europäischen Umweltagentur (EEA) im vergangenen Jahr gegenüber Politico. Laut dem EEA-Bericht für 2024 stehen die europäischen Wasserressourcen wegen Verschmutzung und Übernutzung zunehmend unter Druck. Der Klimawandel wird mit erschwertem Zugang und schlechtem Wassermanagement weitere Todesfälle und Milliardenschäden verursachen.
Zahnlose Strategie der EU-Kommission
Die lang erwartete Wasserstrategie, die die EU-Kommission Anfang Juni 2024 präsentierte, zielt auf eine bessere Wasserqualität, ein nachhaltiges Management und stärkeren Schutz der Wasserressourcen vor den Folgen des Klimawandels ab. „Die Strategie umfasst mehr als 30 Maßnahmen, um Mitgliedstaaten bei effizientem Wassermanagement und Verbesserung der Infrastruktur durch öffentliche und private Investitionen zu unterstützen. Sie betont auch die Rolle von Verbrauchern und Unternehmen beim Wassersparen sowie die Bedeutung der Vermeidung von Wasserverschmutzung“, heißt es im offiziellen Papier. Die Ansätze klingen vernünftig, doch die Strategie ist rechtlich nicht bindend. Es fehlen verpflichtende Ziele und konkrete Finanzierungsmechanismen.
Agrarwirtschaft als größter Verbraucher und Verschmutzer
Hauptverbraucher und zugleich größter Verschmutzer der Wasserressourcen in der EU ist die Landwirtschaft. Laut EEA entfallen fast 60 Prozent des Frischwasserverbrauchs auf diesen Sektor, und der Bedarf wird durch den Klimawandel weiter steigen. Diffuse landwirtschaftliche Verschmutzung betrifft nahezu ein Drittel der europäischen Grund- und Oberflächenwässer. Hauptursache sind Nitrate aus Düngemitteln, die durch Algenwachstum den Sauerstoffgehalt entziehen und „Todeszonen“ schaffen. In Trinkwasser können Nitrate Gesundheitsrisiken bis hin zu Krebs verursachen. Trotz bestehender EU-Gesetze zur Begrenzung von Nitratkonzentrationen im Grundwasser ist seit 2000 kaum Fortschritt zu verzeichnen, berichtete Politico.
EEA weist darauf hin, dass nicht nur Nitrate ein Problem sind. Zwischen 2015 und 2021 erreichten lediglich 29 Prozent der europäischen Gewässer einen „guten chemischen Zustand“. Von den restlichen 61 Prozent gelten zehn Prozent aufgrund hoher Pestizidkonzentrationen als belastet, obwohl deren Einsatz in der EU stark zurückging. Nach strengeren Vorschriften zur Abwasserreinigung und dem Verbot von Phosphaten in Waschmitteln sank der Phosphatgehalt in Flüssen zwischen 1992 und 2011 um mehr als die Hälfte, stagnierte danach jedoch.
Plastik und Medikamente als neue Risiken
EEA-Experten warnen, dass auch Mikro- und Nanoplastik sowie Rückstände von Arzneimitteln, Antibiotika und anderen Chemikalien zunehmend zur Belastung werden. Dem müsse man durch modernisierte Kläranlagen mit „vierter Reinigungsstufe“ begegnen.
Der Klimawandel bringt immer heftigere Hitzewellen, Dürren und Starkregen. Längere Dürreperioden werden künftig die Wasserqualität und -versorgung von Millionen Menschen in Europa gefährden. Das Joint Research Centre (JRC) der EU schätzt, dass bis 2050 bis zu 65 Millionen Menschen in der EU und Großbritannien zeitweise von Wasserknappheit betroffen sein könnten, falls der Ausstoß von Treibhausgasen weiter steigt. „Alle Jahre des letzten Jahrzehnts zählen zu den wärmsten in der 175-jährigen Temperaturgeschichte“, erklärte Carlo Buontempo, Direktor des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen, dem Guardian. Laut Copernicus war der Mai 2024 weltweit der zweitwärmste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Juni übertraf sogar die „Höllenmonate“ von 2003, 2019 und 2021.
Ein kritischer Faktor ist die marode Wasserinfrastruktur. In vielen EU-Staaten sind Rohrsysteme überaltert und weisen enorme Verluste auf. EurEau, der Verband europäischer Wasserdienstleister, beziffert die Verluste in Bulgarien auf über 60 Prozent, in Irland auf 50 Prozent und in Rumänien auf über 40 Prozent. Selbst Belgien leidet unter erheblichem Wassermangel, verschärft durch Flussbegradigungen, wie sie auch in Deutschland und den Niederlanden praktiziert wurden.
Fachleute betonen die Notwendigkeit von Wasserspeichern, um Niederschlagsüberschüsse zu nutzen und Trockenzeiten auszugleichen. Doch es fehlt vielerorts an langfristigen Investitionen und einer klaren „Trockenstrategie“.
Investitionslücken und EU-Pläne
JRC schätzt die Dürreschäden bis 2050 auf 12 bis 15 Milliarden Euro jährlich, bis 2100 sogar auf 45 Milliarden Euro. Hinzu kommen Risiken für die Energieproduktion, da Kühlwasser für Kern- und Kohlekraftwerke knapp wird, während die Leistung von Wasserkraftanlagen sinkt. Die EU-Kommission plant bis 2030 eine Steigerung der Wassereffizienz um mindestens zehn Prozent, überlässt die konkreten Ziele aber den Mitgliedstaaten. Bisher gibt es keine festen Finanzierungsinstrumente. Das Defizit für Wasserinvestitionen wird auf 23 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Die Organisation Water Europe fordert 255 Milliarden Euro Investitionen in den nächsten sechs Jahren. Die Europäische Investitionsbank (EIB) will zwischen 2025 und 2027 mehr als 15 Milliarden Euro für Projekte zur Stärkung der Wasserresilienz bereitstellen.