Unternehmensporträt

Ein Mundscan reicht: Das Healthtech DentalTwin erstellt KI-basierte Modelle für Zahnersatz

Mithilfe KI-basierter Datengenerierung verlagert das Start-up DentalTwin die Zahnprothetik ins Digitale. Das dürfte nicht nur Praxen und Labore entlasten, sondern auch ein Krankenkassensystem, das längst am Limit ist.
21.11.2025 16:45
Lesezeit: 4 min
Ein Mundscan reicht: Das Healthtech DentalTwin erstellt KI-basierte Modelle für Zahnersatz
Aus einem Mundscan erstellt DentalTwin KI-gestützt Daten für Kronen und Brücken (Foto: iStockphoto.com/RossHelen). Foto: RossHelen

DentalTwin: KI-Prothetik entlastet Zahnarztpraxen und Dentallabore

Kaum ein Bereich der Medizintechnik ist so stark von manuellen Abläufen geprägt wie die Prothetik. Noch immer modellieren Zahntechniker Kronen und Brücken per Hand. Gleichzeitig steigt der Druck auf die zahnärztliche Versorgung im deutschen Gesundheitswesen.

Laut der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) haben im Jahr 2025 rund 72 Millionen gesetzlich Versicherte Anspruch auf zahnärztliche Leistungen, mit steigender Tendenz. In der Praxis zeigt sich das in einer hohen Behandlungsnachfrage und teils monatelangen Wartezeiten auf Zahnersatz. Laut KZBV dauert die Fertigstellung von Zahnersatz in Brandenburg oder Sachsen-Anhalt inzwischen bis zu neun Wochen.

6 Milliarden Euro pro Jahr: Zahnersatz bleibt der größte Kostentreiber

Gleichzeitig steigen die Kosten. Laut den OECD Health Data 2024 geben gesetzlich Versicherte in Deutschland im Durchschnitt mehr als 500 Euro pro Jahr für Zahnbehandlungen aus – deutlich mehr als in vielen EU-Ländern, insbesondere in Osteuropa, wo die Preise rund 40 bis 70 Prozent unter deutschem Niveau liegen.

Hinzu kommt, dass die Ausgaben für zahnärztliche Leistungen seit 2015 um rund 28 Prozent gestiegen sind. Besonders deutlich zeigt sich dieser Trend beim Zahnersatz: Laut dem Versicherer DA Direkt kosten Implantate je nach Material und Aufwand zwischen 1.800 und 3.400 Euro pro Zahn. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) erstattet davon nur einen befundorientierten Festzuschuss von etwa 60 Prozent, der bei regelmäßigem Bonusheft auf 75 Prozent steigen kann. Für Versicherte mit sehr niedrigen Einkommen sind in Ausnahmefällen bis zu 100 Prozent möglich.

Dennoch bleibt eine erhebliche Lücke. Nach Angaben der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) zahlen Patientinnen und Patienten jährlich rund 6 Milliarden Euro an Eigenanteilen für Zahnersatz und zahnprothetische Versorgungen. Die wachsende finanzielle Belastung und die strukturellen Engpässe in der Versorgung verdeutlichen, dass die Zahnmedizin neue technische Ansätze braucht.

Wo DentalTwin im prothetischen Ablauf ansetzt

DentalTwin, im Jahr 2022 in Goslar gegründet, setzt genau an dieser Schnittstelle aus Kosten, Versorgungslage und Digitalisierung an. Ausgangspunkt ist ein Mundscan, ein dreidimensionales Bild des Gebisses, das mit einer kleinen optischen Kamera aufgenommen wird und die klassische Abformung mit Silikonmasse ersetzt. Anschließend wird der Scan auf die DentalTwin-Plattform geladen. Dort berechnet das System auf Basis generativer KI und einer umfangreichen Datenbasis gesunder Zahn- und Kieferformen die passende Geometrie, die Kontaktpunkte und die Kauflächen.

Das Ergebnis ist eine STL-Datei. STL steht für „Standard Tessellation Language“ und bezeichnet ein offenes Dateiformat, das von nahezu allen CAD/CAM-Systemen in Zahnlaboren verarbeitet werden kann. CAD/CAM ist die Abkürzung für „Computer-Aided Design“ und „Computer-Aided Manufacturing“, also für die digitalen Konstruktionsprogramme und Fräsmaschinen, mit denen Kronen und Brücken hergestellt werden.

Je nach Indikation berechnet die Software Kronen in zwei bis drei Minuten, bei mehrgliedrigen Brücken liegen die Berechnungszeiten laut DentalTwin bei acht bis zehn Minuten. Die erzeugten Datensätze sind ohne zusätzliche Bearbeitung druck- oder fräsfähig. Jedes Design wird vor der Freigabe von qualifizierten Zahntechnikern geprüft, was bei allen Automatisierungsschritten ein wichtiges Sicherheitsnetz bleibt.

Der Gesamtablauf wird laut Unternehmensangaben um durchschnittlich 60 Prozent beschleunigt. Bei Provisorien und temporären Versorgungen können bis zu 450 Arbeitsstunden pro Jahr eingespart werden. Auch preislich liegt DentalTwin unter den üblichen Softwarekosten. Statt hoher Jahreslizenzen beträgt der Nutzungspreis 3 Euro pro Zahn, unabhängig davon, ob Einzelkronen, Brücken oder vollständige Zahnaufstellungen berechnet werden.

DentalTwin: Digitale Module für verschiedene Zahnersatzformen

DentalTwin arbeitet dabei mit mehreren digitalen Modulen. DentaTEMP erzeugt provisorische Versorgungen, die als dünnwandige Hülle gefertigt und direkt im Mund angepasst werden. DentaWAX liefert ein digitales Wachsmodell für implantatgetragene Planungen und ersetzt die klassischen manuellen Wachsaufstellungen.

Weitere Module wie DentaCAD, DentaBRIDGE und DentaCOMPLETE decken komplexere Restaurationen ab – von Teilprothesen über Brückenreihen bis hin zu vollständigen Rekonstruktionen, die auf medizinischen Daten der digitalen Volumentomografie, kurz DVT, basieren. So entsteht ein durchgehend digitaler Ablauf für verschiedene Formen des Zahnersatzes.

Hinzu kommt die vollständige Systemoffenheit der Plattform. DentalTwin verarbeitet alle gängigen Scanformate wie STL, OBJ und PLY und lässt sich in verbreitete Systeme wie Exocad, 3Shape, Dental Wings, Sirona inLab oder Planmeca einbinden. Für viele Labore ist das entscheidend, weil der Markt stark fragmentiert ist und Investitionen häufig an bestehende Hard- und Software gebunden bleiben. Die zugrunde liegende Technologie hat das Healthtech in Europa und den USA zum Patent angemeldet.

„Wer umfangreiche Zahnaufstellungen fehlender Zähne und den dazugehörigen Datenfluss vollautomatisiert, der gestaltet die Zukunft der Zahnprothetik“, sagt Gründerin und CEO Kim Kubiack. Für die Branche ist das ein Meilenstein.

Etablierte Mittelständler als Schlüssel zum Markt

Klar ist: Die hiesige Dentalbranche ist stark fragmentiert. Zahnarztpraxen und zahntechnische Labore arbeiten mit unterschiedlichen Softwarelösungen, Scannern und Fertigungssystemen, oft von Herstellern, die ihre Datenformate nicht vollständig öffnen. DentalTwin setzt deshalb auf offene Datensätze und vermeidet damit Abhängigkeiten von einzelnen Geräten oder Programmen.

Unterstützt wird das durch ein Verbindungsmodul, das lokale Software, Scanner und Fertigungssysteme mit der Cloud synchronisiert. Für Labore entsteht dadurch die Flexibilität, verschiedene Systeme weiter zu nutzen, ohne ihre Prozesse umbauen zu müssen. Praxen profitieren von kürzeren Abläufen, weil weniger technische Brüche entstehen.

Um in diesem Markt schneller Fuß zu fassen, kooperiert DentalTwin mit zwei regional verwurzelten, aber international aktiven Herstellern: SILADENT Dr. Böhme & Schöps sowie Ernst Hinrichs, beide mit Sitz in Goslar. Die Unternehmen produzieren seit Jahrzehnten Materialien und Geräte für zahntechnische Labore und zählen in ihrem Segment zu den etablierten mittelständischen Anbietern.

Globaler Markt für digitalen Zahnersatz boomt

Der Markt für digital hergestellten Zahnersatz wächst rasant. Laut dem „Dental Prosthetics Market Report 2025“ des irischen Marktforschungsunternehmens ResearchAndMarkets liegt das weltweite Marktvolumen bei rund 9,8 Milliarden US-Dollar. Besonders Nordamerika und Asien treiben das Wachstum.

DentalTwin wird nach Unternehmensangaben bereits in mehr als 30 Ländern genutzt, darunter Pilotanwender in den USA, Kanada, Japan und Australien. Für ein Startup dieser Größe ist das ungewöhnlich, zumal die Dentalbranche traditionell eher zögerlich auf neue Systeme reagiert. Die internationale Streuung zeigt, wie groß der Bedarf an skalierbaren digitalen Workflows inzwischen geworden ist.

Der deutsche Markt ist traditionell qualitätsorientiert, aber zögerlich in der Digitalisierung. Digitale Plattformen wie DentalTwin könnten helfen, diese Lücke zu schließen. Die Möglichkeit, offene Datensätze in bestehende Fertigungsprozesse einzuarbeiten, gilt dabei als wesentlicher Vorteil gegenüber geschlossenen Systemen.

Ob das Goslaer Healthtech langfristig eine führende Rolle im Markt für digital hergestellten Zahnersatz spielen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählen insbesondere die Qualität, die Skalierbarkeit und die Integration der Software in die vorhandenen Versorgungsstrukturen, vor allem hierzulande. Das Prinzip ist jedoch überzeugend: Aus einem digitalen Abbild soll ein planbarer, schneller und kosteneffizienter Zahnersatz entstehen. Für Praxen, Labore und ein Gesundheitssystem, das einem immer größer werdenden Druck ausgesetzt ist, könnte genau das entscheidend sein.

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