Deutschland

Hartz IV für Selbständige: Deutsche arbeiten wie verrückt und es reicht doch nicht

Die Zahl der Selbstständigen, die ihr Einkommen mit Hartz 4 aufstocken, hat sich seit 2007 verdoppelt. Dabei arbeitet fast die Hälfte von ihnen in Vollzeit. Obwohl sie in den härtesten Branchen wie Gastgewerbe und Gesundheit praktisch rund um die Uhr arbeiten, reicht ihr Gehalt nicht zum Leben. 16 Prozent der Betroffenen sind Akademiker.
04.12.2012 22:49
Lesezeit: 1 min

In Deutschland verdienen circa 1,4 Millionen Erwerbstätige so wenig, dass sie als sogenannte „Aufstocker“ zusätzlich zu ihrem Einkommen Hartz 4 beziehen, so ein Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Dabei hat sich die Zahl der selbstständigen Aufstocker in den letzten vier Jahren auf 130.000 fast verdoppelt. Sie arbeiten vor allem im Gastgewerbe und im Handel, bestätigt Mark Trappmann, Autor der Studie, den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Die selbstständigen Aufstocker seien deutlich besser qualifiziert als die abhängig Beschäftigten, 16 Prozent von ihnen sind Akademiker.

Fast die Hälfte der 130.000 selbstständigen Aufstocker arbeitet trotz minimaler Einkommen sogar in Vollzeit. Sie arbeiten häufig als Verkäufer, Gaststätten- oder Imbissbesitzer, Künstler oder freiberufliche Lehrkräfte. Beispielsweise „betreiben sie Marktstände, vertreiben Tupperware oder haben einen Ebay-Shop“, sagt Mark Trappmann. Ein Teil von ihnen nehme die geringen Einkommen auch deshalb in Kauf, da „ihr Herzblut“ an ihrer Tätigkeit hänge und sie auf bessere Zeiten hoffen. In den meisten Fällen schaffen es die Selbstständigen jedoch nicht, ihre Einnahmen soweit zu steigern, dass sie auf Hartz 4 verzichten können.

Selbstständige Aufstocker finden sich deutlich häufiger in Ostdeutschland, wo inzwischen 6,4 Prozent aller Selbstständigen Grundsicherungsleistungen beziehen. Im Westen sind dies nur 2,0 Prozent. Hier „färbt die schlechtere Einkommensstruktur in Ostdeutschland ab“, sagt Mark Trappmann. Seine Untersuchungen legen außerdem nahe, dass etwa im Gastgewerbe und im Gesundheitswesen der Anteil der Migranten unter den selbständigen Aufstockern besonders hoch ist.

Ein Drittel der selbstständigen Aufstocker habe Einnahmen unter 100 Euro, 7 Prozent von ihnen habe überhaupt kein Einkommen. Dennoch gelten sie in der offiziellen Statistik als erwerbstätig, denn sie arbeiten ja. In diesem „unteren Bereich“ hat sich die Zahl der Aufstocker seit 2007 verdreifacht, sagt Mark Trappmann. Circa 42.000 selbständige Aufstocker arbeiten inzwischen für weniger als 100 Euro im Monat. Die Dunkelziffer der nicht bei der Arbeitsagentur registrierten geringverdienenden Selbstständigen ist hierbei nicht berücksichtigt.

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