Beim Treffen der Euro-Finanzminister am Freitag in Riga haben die Euro-Retter die diplomatische Contenance verloren und den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis wild attackiert. Nach Angaben von Bloomberg, das sich auf Angaben aus Diplomatenkreisen bezieht, soll Varoufakis als «Spieler», «Amateur» und «Zeitverschwender» beschimpft worden sein. Es sei ziemlich handfest zur Sache gegangen, die Bezeichnung «verantwortungslos» war den Berichten zufolge noch einer der mildesten Ausdrücke.
Die Euro-Retter waren sogar stolz auf ihre unflätigen Attacken: «Das war kein schöner Tag für Varoufakis», kommentiert ein EU-Diplomat laut dpa. «Wir sind uns alle im Klaren darüber, dass die Zeit abläuft», sagte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Die Verantwortung für die Hängepartie trage vor allem Athen. Mit den Schuldzuweisungen hat die finale Phase des Pokers um die Schulden-Orgie begonnnen.
Schon seit einiger Zeit versuchen die Euro-Kollegen, Varoufakis zum Sündenbock zu machen. Die Bild-Zeitung, die ihr Ohr stets nah an der Bundeskanzlerin hat, hatte schon vor Wochen das Gerücht in die Welt gesetzt, Varoufakis sei entmachtet und stünde vor der Ablösung. Das würde am besten in das Schema passen, in dem technokratische Politiker gerne agieren: Andersdenkende werden weggemobbt.
Diesmal scheint der Konflikt ernst zu sein, wenngleich der Streit immer noch Teil des Pokers um die Schulden-Krise ist, bei der sowohl Griechenland als auch die Euro-Staaten nur verlieren können: Der maltesische Finanzminister Edward Scicluna sprach von einem «kompletten Zusammenbruch der Kommunikation» zwischen Griechenland und der Euro-Zone. Man spreche nicht mehr dieselbe Sprache, sagte Scicluna der Zeitung Malta Today. Der slowenische Finanzminister sagte laut FT, dass sich die EU nun in Richtung Plan B bewegen solle, also dem Austritt Griechenlands aus dem Euro. Das mag politisch denkbar sein, rechtlich ist es sehr kompliziert: Griechenland kann gemäß EU-Verträgen nicht aus dem Euro geworfen werden. Die neue griechische Regierung hat betont, dass sie das Land im Euro halten will.
Die meisten Euro-Finanzminister sind Berufspolitiker, die den Großteil ihrer Karriere auf Steuerkosten gelebt haben. Sie haben daher traditionell Schwierigkeiten mit Außenseitern, die eine andere Meinung vertreten. Der frühere tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus hatte bereits diese Erfahrung gemacht und sich bestürzt darüber geäußert, dass es in der EU nicht mehr möglich sei, abweichende Meinungen zu vertreten. Er war mehrfach von Veranstaltungen ausgeladen worden, nachdem die EU-Veranstalter erfahren hatten, dass er Positionen vertritt, die von der offiziellen Doktrin abweichen. Klaus sagte in einem Interview mit dem britischen Spectator rückblickend, dass ihn diese Erstarrung an das Verhalten der tschechoslowakischen Nomenklatura zu Sowjet-Zeiten erinnere.
Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler hat ähnliche Erfahrungen gemacht - und schließlich die Konsequenzen gezogen und alle politische Ämter zurückgelegt.
Im Fall Griechenlands zeigt sich: Die Euro-Retter sind total betriebsblind geworden. Sie fürchten um das von ihnen erdachte und ganz und gar nicht anders vorstellbare System der Schulden-Politik und verkennen, dass es in Griechenland einen fundamentalen Dissens mit der Troika-Politik gibt. Die Griechen vertreten die Auffassung, dass sie als gewählte Regierung über das Schicksal ihres Volkes zu entscheiden hätten. Diese Meinung ist bei den Euro-Rettern nicht mehrheitsfähig, weil nationale Souveränität mit „Nationalismus“ gleichgesetzt und daher abgelehnt wird.
Doch die Troika-Folgen haben Griechenland an einen Punkt gebracht, an dem es kein Zurück mehr gibt. Das wollen die Euro-Retter nicht wahrhaben, weil sie genau wissen, dass ein Crash in Griechenland den ganzen Euro in die Luft jagen könnte. Erst dieser Tage wurde sie von einem Obama-Berater an die Folgen eines Scheiterns des Euro in Griechenland erinnert: Der Ökonom sprach von einem möglichen nächsten „Lehman“-Moment für die globale Finanzwelt, sollte Griechenland tatsächlich aus dem Euro fliegen.
Das Problem der steuerfinanzierten Euro-Retter: Sie können gar nicht mehr außerhalb ihres eigenen Systems denken und verstehen daher nicht, dass die griechische Regierung wirklich eine andere Politik will als die der vergangenen Jahre. In der New York Times hat ein führender Kolumnist von Kathimerini analysiert, wie fundamental anders die griechischen Politik von jener der großkoalitionären EU-Doktrin ist: Die Griechen wollen eine sozialistische Politik, eine Art „Dritter Weg 2.0“. Ob der funktioniert, kann bezweifelt werden. Doch die Griechen haben nun einmal diese Regierung gewählt – und warum sollte die Regierung auf die Troika mehr hören als auf ihre Wähler? Tsipras und Varoufakis verdanken ihre Jobs den Griechen und nicht der Gunst von Juncker, Lagarde oder Merkel.
Daher ist der Konflikt auch an einer Grundsatzfrage eskaliert: Varoufakis hatte sich vor dem Treffen erlaubt, die IWF-Methoden grundsätzlich zu kritisieren. In einem Artikel für das Project Syndicate schrieb er, dass die Schulden-Maschine nur Schaden anrichte und in dieser Form keine Zukunft habe.
Laut Bloomberg seien die EU-Minister erbost gewesen über diese Fundamental-Kritik: Sie wollen keine Grundsatz-Diskussionen, sondern Taten. Genau mit dieser Haltung könnten die Euro-Retter unversehens zu den Totengräbern der gemeinsamen Währung werden. Sie erkennen nicht, dass eine Grenze erreicht ist, die nicht mehr durch neue Schulden-Pflaster übertüncht werden kann. Wer zu spät erkennt, den bestraft die Geschichte. Ein Crash in Griechenland rückt in dem Maß näher, in dem die Euro-Retter sich auf der unsinnigen Position versteifen, dass zwei plus zwei drei ist, wenn es nur alle wollen.