Die EU wird die Debatte über Großbritanniens Wunsch, die EU-Verträge zu ändern dazu nutzen, eine stärkere Integration in der Eurozone voranzutreiben. Der Hebel dazu dürfte sein, keine politische, sondern eine weitere fiskalische Zusammenführung der Eurozone in den Fokus zu nehmen. Durch Umverteilungen wie eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung oder durch eine gemeinsame Einlagensicherung als dritte Säule der Bankenunion sind absehbar die Weichen hierfür gestellt.
Bei Camerons „Charme-Offensive“ in Berlin vergangene Woche, wo es dem britischen Premier um das Ausloten für eine EU-Reform ging, fiel der lapidare Satz der Kanzlerin: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“. Damit signalisierte Merkel zumindest verbal, offen für Camerons EU-Reformwünsche zu sein. EU-Kommissionpräsident Juncker versicherte zuvor sogar, er wolle einen „fairen Deal“ für Großbritannien finden.
Für die EU steht außer Frage, dass Großbritannien in der EU gehalten werden soll. Eine EU ohne Großbritannien hat wirtschaftlich und strategisch weniger Gewicht als mit ihm. Selbst wenn EU-Parlamentspräsident Martin Schulz unlängst betonte, er sei nicht bereit, „Erpressungen“ hinzunehmen. Seine rote Linie sei, dass man nicht anfangen dürfe, „die EU zu zerpflücken.“ Noch hat sich Cameron nicht konkret dazu geäußert, außer, dass man zunächst über die Inhalte der notwendigen Reformen gesprochen werden, etwa in Bezug auf die Freizügigkeit, so steht für Schulz bereits fest, „die von Cameron ‚angeregte Änderung‘ der europäischen Verträge steht nicht auf der Tagesordnung.
Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron äußerte in einem Interview mit der französischen Zeitung Le Journal du Dimanche dagegen, er würde eine Änderung der EU-Verträge nicht ausschließen. „Wir müssen akzeptieren, dass Europa auf zwei Geschwindigkeiten basieren wird“, sagte Macron.
Bei einem Treffen von Spitzenbeamten der 28 EU-Mitglieder und Vertretern der Präsidenten von EU-Kommission und EU-Parlament vergangene Woche in Brüssel betonten die Staatenvertreter mehrheitlich den Wunsch, Reformen sollten nur im Rahmen der bestehenden Verträge fokussiert werden. Demnach gibt es keinerlei Bestrebungen der 28 EU-Regierungsvertreter, wonach Vertragsänderungen nötig wären.
Unter dem Strich wird es für das Referendum in Großbritannien also darauf hinauslaufen, dass Cameron etwaige Zugeständnisse erhalten wird, um keinen Bruch mit Brüssel zu riskieren. Man wird mit London sicherlich zu einer loseren Verbindung kommen, ohne dass Großbritannien den Binnenmarkt verlässt. Cameron selbst ist aus wirtschaftlichen Gründen bestrebt, dass sein Land in der EU verbleibt.
Frankreichs Wirtschaftsminister Macron dürfte also damit Recht behalten, wenn es ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ gibt (früher noch gedacht als Gefälle zwischen Nord- und Südländern) – also dem Konzept flexibler Integration auf der Ebene der EU-Verträge entspricht.
Innerhalb der Eurozone jedoch ist absehbar eine verstärkte Integration zu erwarten. Da die Euro-Gruppe (also das Gremium der Finanzminister der Eurozone) in keinem der EU-Verträge verankert ist, gibt es ein Problem. Es wird daher eher eine fiskalische, denn eine politische Integration in der Eurozone geben. Schäubles Idee eines eigenen Euro-Parlaments innerhalb des Europa-Parlaments bzw. parallel dazu, ist aktuell nicht zu realisieren. Daher wollen die Euro-Politiker sicherstellen, dass die nächste Stufe der Integration über fiskalpolitische Mittel gezündet wird.
Offen bleibt nach einem internen Papier, ob die Eurogruppe einen hauptamtlichen Vorsitzenden mit Sitz in Brüssel erhält. Jedoch ist von der „Stärkung“ der Euro-Gruppe die Rede – was auch immer dies bedeuten mag oder welche weitere technische, beigeordnete „Institution“ dies beinhaltet.
Die fiskalische Integration dagegen – und damit gewissermaßen das „moralische“ Fundament oder auch als „Wohlfühlfaktor“ hierfür – dürfte in Zukunft auf eine Umverteilung von Nord zu Süd hinauslaufen. So weisen Papiere, die in Vorbereitung auf den EU-Gipfel Ende Juni der Financial Times zugespielt wurden, darauf hin, dass eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung und eine gemeinsame Einlagensicherung als dritte Säule der Bankenunion für die Eurozone vorgesehen sind.
Es klingt noch nach „Zukunftsmusik“, da solche Bestrebungen laut der Financial Times erst einmal „relegated to the medium and long term“ – also mittel- und langfristig – vorgesehen sind.
Doch die Zukunft beginnt bereits jetzt.