Politik

Die nackten Zahlen: Russland-Sanktionen schaden Österreich massiv

Ohne größere Diskussion hat die EU am Freitag die Verlängerung der Russland-Sanktionen beschlossen. Das Beispiel Österreichs zeigt: Der Schaden ist enorm. Ähnlich wie in Österreich dürfte es auch in allen anderen EU-Staaten aussehen.
19.12.2015 23:05
Lesezeit: 3 min

Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten haben beim WIFO Österreich nachgefragt, welche Folgen die EU-Sanktionen gegen Russland auf die Wirtschaft des Landes haben. Das Fazit: Die Folgen sind massiv, wie die nackten Zahlen zeigen.

Deutschen Wirtschafts Nachrichten: In wieweit haben sich die Russland-Sanktionen bislang auf die österreichische Wirtschaft ausgewirkt?

WIFO: Es muss betont werden, dass der Effekt der Russland-Sanktionen auf die österreichische Wirtschaft und die Exportwirtschaft im Speziellen nicht gesondert betrachtet werden kann, sondern vielmehr von mehreren Faktoren beeinflusst wird. Neben den sanktionierten Waren spielt die generelle Verschlechterung der bilateralen Handelsbeziehungen eine wesentliche Rolle beim Exporteinbruch. Aber auch die sich verstärkende Rezession in Russland und die damit verbundene Ölpreisverbilligung und die Abwertung des Rubels begründen diesen markanten Rückgang der österreichischen Exporte nach Russland. Kumuliert von Jänner bis September 2015 gingen im Vergleich zur Vorjahresperiode die österreichischen Exporte nach Russland um -39,1% zurück. Im Jahr 2014 verzeichneten die heimischen Exporteure einen Rückgang der Exporte nach Russland um -8,0%.

Deutschen Wirtschafts Nachrichten: Welche Branchen wurden in Österreich von den Sanktionen am stärksten getroffen?

WIFO: Die wirtschaftlichen Sanktionen der EU gegen Russland umfassen sehr spezielle Waren. Im Speziellen beziehen sich die restriktiven Maßnahmen der EU in der Regel nur auf neue Verträge (Ausnahme für Altverträge) und umfassen neben Einschränkungen des Kapitalmarktes im Wesentlichen:

 Militärgüter,

 Dual Use Waren für militärische Zwecke bzw. eine militärische Endverwendung (gelistet in Anhang I der Verordnung VO 428/2009) sowie

 Ausrüstungsgegenstände für den Öl- und Gassektor im Rahmen der Exploration, Förderung von Tiefsee-Öl, arktischem Öl und Schieferöl (gelistet in Anhang II der Verordnung VO 833/2014).

Als Reaktion auf die restriktiven Ausfuhrbestimmungen der EU gegen Russland verbot Russland die Einfuhr von Agrarerzeugnissen, Lebensmitteln und Rohstoffen - das Importverbot umfasst Rind- und Schweinefleisch in jeglicher Form, Geflügel und Geflügelerzeugnisse, Selch- und Wurstwaren, Milch und alle Milchprodukte, darunter auch Rohmilch und sämtliche Lebensmittel, die Milch enthalten, sowie Fisch, Gemüse und Obst (inklusive Wurzelgemüse und Nüsse).

Die wichtigsten Branchen im österreichischen Export nach Russland sind der Maschinenbau und Fahrzeuge (Exportanteil 2014: 25,0%), die chemische Industrie (24,8%) sowie der sonstige Fahrzeugbau (8,5%). Ebenso weisen die metallerzeugende Industrie (4,5%) und die Nahrungsmittelbranche (4,3%) einen hohen Exportanteil nach Russland auf. Im Hinblick auf die rezente Exportentwicklung österreichischer Unternehmen nach Russland verzeichnen der sonstige Fahrzeugbau (kumuliert Jänner bis September 2015 -85,2%), der Maschinenbau (-32%), die metallerzeugende Industrie (-67,5%), sowie die Nahrungsmittelindustrie (-51,5%) die stärksten Rückgänge. In der Gesamtbetrachtung der Branchen sind aber alle Branchen von durchwegs markanten Exporteinbrüchen gekennzeichnet.

Deutschen Wirtschafts Nachrichten: Auf wie hoch bemessen Sie den finanziellen Schaden, wenn die Sanktionen noch sechs Monate verlängert werden?

WIFO: In der Studie des WIFO wurde, ausgehend von der zu beobachtenden Entwicklung der Exporte im vierten Quartal 2014 und im ersten Quartal 2015, eine Abschätzung der potentiellen (negativen) Effekte vorgenommen. Dahinter steht unter anderem die Annahme, dass es zu keinen wesentlichen Handelsumlenkungseffekten kommt – der Rückgang der Exporte nach Russland (aufgrund von Sanktionen, aber vor allem auch aufgrund des schlechten wirtschaftlichen Umfelds in Russland) kann also nicht durch eine Steigerung der Exporttätigkeit in andere Länder kompensiert werden. Um eine seriöse Abschätzung der Effekte bei verlängerten Sanktionen vornehmen zu können, müsste diese Annahme durch empirische Untersuchungen (die zum Zeitpunkt der Studienerstellung mangels Daten nicht möglich waren) verifiziert werden.

Geht man von keinen wesentlichen Handelsumlenkungseffekten aus, so wird in der Studie auch betont, dass die negativen Effekte tendenziell zunehmen könnten, da Nachfragerückgänge, die sich über einen längeren Zeitraum verfestigen, eher zu Beschäftigungsabbau und Konsumeinschränkungen führen als in der kurzen Frist.

Allerdings muss man betonen, dass die Sanktionen von der Entwicklung des internationalen wirtschaftlichen Umfelds und der Wirtschaftsentwicklung in Russland stark überlagert werden, so dass die Sanktionen selbst im Vergleich dazu an Bedeutung verlieren.

Deutschen Wirtschafts Nachrichten: Wie könnte sich, Ihrer Meinung nach, die Situation wieder entspannen? Sollten die Sanktionen sofort aufgehoben werden?

WIFO: Die vor Kurzem erfolgte Verlängerung der Sanktionen ist ein hinweis darauf, dass die politischen Faktoren, die zu deren Verhängung geführt haben, noch nicht gelöst sind. Daher hängt auch die Frage nach der Aufhebung eng mit diesen Faktoren zusammen. Aus ökonomischer Sicht führen Sanktionen immer auf beiden Seiten zur Belastung der Wirtschaft. Diese Belastung soll eben als Druckmittel dienen, weshalb deren Aufhebung keine ökonomische Frage darstellt. Aus wirtschaftlicher Sicht ist eine Aufhebung immer zu bejahen.

Deutschen Wirtschafts Nachrichten: Haben die Sanktionen Russland wirtschaftlich abgestraft – was ja der eigentliche Sinn dahinter war oder liegt der Schaden vielleicht doch beim österreichischen Mittelstand?

WIFO: Tatsächlich ist bereits vor der Verhängung der Sanktionen eine markante Abschwächung der russischen Wirtschaft festzustellen gewesen, welche Hand in Hand mit dem internationalen Verfall der Rohstoffpreise einherging. Dieser ist sicherlich nicht als Konsequenz der Sanktionen zu sehen. Die massive Abwertung des Rubels, die die russische Inflationsrate in die Höhe getrieben hat, ist hingegen wahrscheinlich zum Teil auf die Sanktionen zurückzuführen. Somit hat die Verhängung der Sanktionen diesbezüglich der russischen Wirtschaft Schaden zugefügt. Handelsbeschränkungen sind immer zum wirtschaftlichen Schaden beider Seiten. Es ist schwer zu sagen, welcher Wirtschaftsblock die höheren Einbußen aufgrund der Sanktionen hat.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Experten-Webinar: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie 50 Jahre Esa: Europas Raumfahrt zwischen Anspruch und Realität
29.05.2025

Die USA und China planen ehrgeizige Missionen zu Mond und Mars, auch Indien und Russland mischen kräftig mit. Wie ist Europas Position 50...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Blackout in Deutschland: Wie wahrscheinlich ist ein Stromausfall?
29.05.2025

Kann in Deutschland etwas Ähnliches passieren wie neulich in Spanien und Portugal? In unserer entwickelten Gesellschaft, in der wir auf...

DWN
Politik
Politik Arbeiten bis 70 – Dänemark zieht vor, Deutschland zaudert
29.05.2025

Dänemark macht vor, was Deutschland nicht wagt: Arbeiten bis 70 soll dort bald Pflicht sein – während Berlin sich weiter um unbequeme...

DWN
Panorama
Panorama Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht & Co.: Diese 7 Dokumente sichern Ihre rechtliche Vorsorge
29.05.2025

Wer rechtzeitig Regelungen für die eigene rechtliche Vorsorge trifft, handelt vorausschauend. Besonders zentrale Dokumente sind eine...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Trade-In-Experte: „Rücknahme ist kein reines Nachhaltigkeitsetikett, sondern ein Business Case“
29.05.2025

Gebrauchte Smartphones und mobile Geräte sind unterschätzte Vermögenswerte, vor allem im Mittelstand. Trade-In-Experte Alexander Heß...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Urlaubsplanung: Wann sind halbe Urlaubstage erlaubt?
29.05.2025

Handwerkertermin, Arztbesuch oder Gang zur Behörde – in vielen Fällen reicht es aus, wenn Arbeitnehmer lediglich einen halben Tag frei...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Einer der einflussreichsten Manager Europas warnt: „China ist gefährlicher als Trump“
29.05.2025

China ist längst mehr als nur Werkbank – es ist der größte Stresstest für Europas Wirtschaft. Ex-Mærsk-Chef Nils Smedegaard Andersen...

DWN
Finanzen
Finanzen Wall Street kapituliert vor Krypto: Coinbase knackt den S&P 500
28.05.2025

Bitcoin steigt, Coinbase stürmt in den S&P 500 – und die Wall Street macht plötzlich auf Krypto. Doch ist das der Durchbruch oder nur...