Am 1. Juli 2014 schien alles besiegelt. Der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz wurde von den Europaabgeordneten als Präsident der EU-Volksvertretung bestätigt - für zweieinhalb Jahre. Anschließend, also im Januar 2017, sollte er seinen Platz einem Konservativen überlassen. So steht es in einer Vereinbarung, die Schulz mit dem Fraktionschef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber (CSU) getroffen hatte.
Nun sorgt das Dokument für böses Blut im Straßburger Parlament. Denn was viele schon länger ahnten, ist jetzt sozusagen offiziell: Die Sozialdemokraten stellen die Vereinbarung in Frage. Sie verlangen für Schulz ein drittes Mandat - bis zur Europawahl Mitte 2019. Ihr Vorsitzender Gianni Pittella preschte mit dieser Forderung vor: Schulz sei der „beste Präsident“, den das Parlament „je gehabt“ habe, sagte der Italiener kürzlich in einem Zeitungsinterview.
Der SPD-Politiker war es auch, der das Prinzip des „Spitzenkandidaten“ der europäischen Parteien erfand, der nunmehr zugleich deren Anwärter auf das Amt des Kommissionspräsidenten in Brüssel ist. Bei der Europawahl 2014 ging er mit diesem Anspruch für die europäischen Sozialdemokraten ins Rennen, unterlag aber seinem Rivalen Jean-Claude Juncker, der für die EVP das beste Ergebnis eingefahren hatte.
Aber nicht zuletzt dank der energischen Unterstützung von Schulz wurde Juncker schließlich zum EU-Kommissionspräsidenten ernannt. Der SPD-Politiker erhielt im Gegenzug eine Verlängerung seiner Amtszeit an der Spitze des Europaparlaments - als erster Präsident überhaupt. Denn bis dato war es üblich, dass sich die beiden großen Fraktionen das Spitzenamt jeweils für die Hälfte der Legislaturperiode teilten.
Schon deshalb stößt die Forderung nach einem abermaligen Zuschlag für Schulz vielen Parlamentariern sauer auf. „Dann können wir ihn ja gleich zum König küren“, schimpft der CDU-Abgeordnete Herbert Reul.
Noch ist der Machtkampf nicht offen entbrannt, doch in den Kulissen des Parlaments rumort es gewaltig. Ohne Kompensationen werden die Konservativen wohl kaum auf das Spitzenamt verzichten. Dass aber die Sozialdemokraten im Gegenzug andere einflussreiche Posten räumen - etwa an der Spitze von Ausschüssen - sei unwahrscheinlich, sagt der SPD-Abgeordnete Jo Leinen.
Auch gebe es in der Fraktion durchaus Stimmen für einen Wechsel. Ein Dorn im Auge ist nicht wenigen Sozialdemokraten, dass Schulz und sein konservativer Duz-Freund Juncker gemeinsam an einem Strang ziehen, um im Europaparlament Bündnisse zwischen den beiden größten Fraktionen zu schmieden.
Dem Chef der EVP-Fraktion kommt die Debatte wenig gelegen. „Personalfragen stellen sich derzeit nicht“, lautet Webers knapper Kommentar. Der CSU-Politiker weiß, dass er bei vielen Gesetzesvorhaben auf die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten angewiesen ist. Er muss aber Rücksicht auf Fraktionsfreunde nehmen, die Schulz gerne ablösen würden.
Das ist vor allem der 62-jährige Italiener Antonio Tajani, dem Ambitionen nachgesagt werden. Dass der enge Weggefährte von Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi ein würdiger Nachfolger sein könnte, bezweifeln im Parlament aber viele. Er wäre wohl kaum mehr als ein „Grüß-Gott-Onkel“, sagt Leinen.
Schulz selbst will zu seinen Zukunftsplänen nichts sagen. Im Parlament ist es aber ein offenes Geheimnis, dass der 60-Jährige bei der Wahl 2019 wieder als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten antreten will - in der Hoffnung, dann den Sprung an die Spitze der EU-Kommission zu schaffen. Und dafür wäre eine dritte Amtszeit als Parlamentspräsident das ideale Sprungbrett.