Russlands Präsident Wladimir Putin braucht keine Hacker, um seiner großen Widersacherin Hillary Clinton Ärger zu bereiten: Der Kreml-Chef schickte am Montag die Aktienkurse in die Höhe - mit der kleinen Bemerkung aus Istanbul, dass Russland durchaus bereit wäre, seine Ölförderung zu drosseln. Nu einen Tag später geht es in die andere Richtung: Sowohl aus Moskau als auch von den OPEC-Staaten kommt die Mitteilung, dass man sich aktuell eine Kürzung nicht leisten können. Saudi-Arabien braucht kurzfristig jeden Cent, weil sein Finanzsystem am Abgrund steht. Putin wiederum hat erkannt, dass sein Wort ganz legal die Börsen in Schwingung versetzen kann. Das könnte er sich zunutze machen, um Hillary Clinton zu schaden, die ihn irrational hasst und daraus auch bei der zweiten TV-Debatte kein Hehl machte.
Putins Kalkül: Wenn die Aktienkurse einbrechen, dann haben in der Vergangenheit immer jene Kandidaten verloren, deren Partei gerade die Regierung stellte (siehe Chart). Putin kennt diesen Chart - und kann im Vorfeld der US-Wahl auf vielfache Weise für volatile Märkte sorgen. Er kann Clinton auf eine regelrechte Geisterbahn schicken - bis hin zu einem Crash: Wie China verfügt auch Russland über etliche sogenannte Special Purpose Vehicles (SPV). Das sind Institutionen, die mit verdeckter Eigentümerstruktur kaufen und verkaufen. Wenn sich Russen und Chinesen zusammentun, können sie einiges bewegen, und das überraschend. Alles, was den Börsen in den kommenden Wochen schadet, nützt Donald Trump. Dieser spielte daher auch beim zweiten TV-Duell konsequent die Wirtschaftskarte und ließ keinen Zweifel: Die Lage ist ein Desaster, nur er kann die Wende bringen. Viele von der offiziell immer wieder verdrängten Krise betroffenen Amerikaner wollen genau deshalb Trump wählen. Er ist ihre letzte Hoffnung. Wenn die Aktienkurse einbrechen, haben die Pensionsfonds Schwierigkeiten. Viele Amerikaner sind auch privat in Aktien investiert, würden also neben dem Desaster mit ObamaCare, das nicht einmal die Clintons bestreiten, reales Geld verlieren. Das kommt nicht gut vor einer Wahl.
Aktuell gehen die Russen offenbar ganz traditionell vor und befassen sich mit dem Ölpreis: Anders als Putin will sich sein Energieminister Alexander Nowak sich nicht an einer vom Ölkartell Opec angeregten möglichen Erdöl-Förderkürzung beteiligen. Dies berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Derzeit werde lediglich die Option erwogen, die Produktion auf dem derzeitigen Niveau einzufrieren, sagte er am Dienstag laut der Nachrichtenagentur Tass. Über eine Drosselung werde zurzeit nicht nachgedacht. Es ist klar, dass diese Aussage mit Putin abgesprochen ist.
Unter dem Druck des Ölpreisverfalls hatten sich die Opec-Länder Ende September zum ersten Mal seit acht Jahren darauf verständigt, ihre Fördermengen mäßig zu drosseln. Die genauen Mengen sollten beim nächsten offiziellen Opec-Treffen im November festgelegt werden. Dann sollen auch Nicht-Opec-Staaten wie Russland aufgefordert werden, ihre Produktion zu begrenzen. Für Mittwoch ist ein informelles Treffen von Vertretern des Ölkartells und Russlands in Istanbul geplant. Doch wichtige Opec-Vertreter machen nun einen Rückzieher. Er werde an dem Treffen nicht teilnehmen, sondern es aus der Ferne verfolgen, sagte der saudische Energieminister Khalid al-Falih. Er verwies zudem auf Daten aus den USA. Diese zeigten, dass die Überkapazitäten am Ölmarkt zurückgingen.
Inzwischen wurde bekannt, dass die OPEC ihre Produktion im September um 160.000 Barrel (1 Barrel = 159 Liter) auf 33,64 Millionen Barrel hochgefahren hat. Dem Abkommen der Opec zufolge ist vorgesehen, die Produktion auf maximal 33 Millionen Barrel zu begrenzen. „Die gestiegene Produktion zeigt nicht nur, wie absurd der gegenwärtige Anstieg der Ölpreise war, basierend auf der Vermutung, dass die Opec tatsächlich geringere Produktionsquoten beschließen und auch durchsetzen wird. Sie zeigt auch, wie viel Arbeit noch nötig sein wird, bis die Ziele erreicht werden“, schreibt der Finanzblog Zerohedge. Die Preise für Rohöl gaben daraufhin leicht nach, nachdem sie bis zum Mittag Zuwächse verzeichnet hatten.
Der Chef des größten russischen Ölkonzerns Rosneft hatte einer möglichen Förderkürzung zuvor ebenfalls eine Absage erteilt. Sein Unternehmen werde sich nicht an einer entsprechenden Vereinbarung zwischen den OPEC-Staaten und Ölförderländern außerhalb des Kartells beteiligen, sagte Igor Setschin am Montag der Nachrichtenagentur Reuters. „Warum sollten wir das tun?“, wird er zitiert. Rosneft steuert etwa zwei Fünftel zur gesamten Fördermenge Russlands bei. 2015 produzierte das Unternehmen 4,1 Millionen Barrel (1 Barrel = 159 Liter) pro Tag, im laufenden Jahr soll es noch mehr werden. Setschin ist für seine ablehnende Haltung der OPEC gegenüber bekannt. Er bezweifelte zudem, dass auch einige Mitgliedsländer wie der Iran, Saudi-Arabien oder Venezuela sich an einer Drosselung beteiligen sollten.
Am Montag hatte Russlands Präsident Wladimir Putin eine Obergrenze oder sogar eine Drosselung der Fördermenge gefordert, um die Stabilität des weltweiten Energiesektors zu sichern. Russland sei dazu bereit, sich an Maßnahmen zu einer Deckelung der Produktion zu beteiligen. Im September hatte Russland mit 11,11 Millionen Barrel pro Tag so viel Öl gefördert wie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr.
Es ist sehr fragwürdig, ob die OPEC ihren Plan zur mäßigen Drosselung der Fördermengen realisieren kann. Die Organisation umfasst verfeindete Staaten wie etwa Saudi-Arabien und den Iran, welcher sich in der Vergangenheit mehrfach geweigert hatte, seine Produktion zu begrenzen. Fraglich ist weiterhin, ob sich der Opec nicht angehörende Staaten wie Russland beteiligen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass in den vergangenen Monaten sehr viel Öl gefördert wurde – eine Begrenzung würde das hohe globale Überangebot deshalb nicht abbauen, sondern zementieren.
Nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur IEA könnte die Ölflut deshalb bis ins kommende Jahr hinein anhalten, falls sich der Markt selbst überlassen bleibe. Ein Gleichgewicht aus Angebot und Nachfrage könnte schneller erreicht werden, wenn sich die OPEC und Russland auf eine ausreichend große Kappung der Förderung einigten. Es sei jedoch schwierig, die Auswirkungen einer Kürzung auf den Markt zu bewerten, falls diese durchgesetzt werde, erklärte die Agentur.
Im vergangenen Monat allerdings dürften die Opec-Staaten so viel Öl gefördert haben wie seit langem nicht mehr. So legte die Produktion im Norden des Irak kräftig zu, in Libyen wurden wichtige Häfen wieder geöffnet. In Saudi-Arabien lag die Förderung einem Insider zufolge über dem Niveau des Vormonats. Auch in Russland, der weltweiten Nummer eins auf dem Ölmarkt, laufen die Pumpen auf Hochtouren, täglich waren es mit 11,1 Millionen Barrel so viel wie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr.
Auch die Investmentbank Goldman Sachs bezweifelte, dass es im kommenden Jahr gelingt, ein Gleichgewicht zu schaffen, und verwies auf eine höhere Förderung in Libyen, Nigeria und dem Irak. Der Chef des britischen Ölkonzerns BP, Robert Dudley, rechnet damit, dass der Ölpreis bis zum Ende des Jahrzehnts bei 55 bis 70 Dollar je Barrel liegt. Derzeit kostet ein Fass Nordseeöl der Sorte Brent knapp 53 Dollar, leichtes US-Öl notiert bei 51 Dollar.
Putin spielt dieses Spiel auf hohem Niveau. Es ist natürlich nicht ausgemacht, dass es funktioniert. Wenn es aber gelingt, kann Putin über seine SPV durch Hedging sogar Geld mit der Operation machen. Auf jeden Fall ist es für Putin das interessantere Spiel als der im von den Amerikanern unterstellte, plumpe Versuch, sich in die US-Wahlsysteme zu hacken. Putin will Schach spielen. Nicht Mensch-ärgere-Dich-nicht!.