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Liegen die Ökonomen der Forschungsinstitute und Banken richtig, wird die deutsche Wirtschaft zumindest bis 2019 ihren Aufschwung fortsetzen und dann zehn Jahre in Folge gewachsen sein. Der Boom stößt allerdings an Grenzen. Die Wirtschaftsweisen sprechen von „Anspannungen“, die sich in einigen Bereichen bereits zeigen.
Sichtbar werden Probleme vor allem in der Industrie: „Die Lieferzeiten verlängerten sich im Dezember in nie dagewesenem Ausmaß“, sagt Ökonom Phil Smith vom Institut IHS Markit, das diesen Monat Hunderte Industriebetriebe befragt hat. Zwar investieren viele Unternehmen nach jahrelanger Zurückhaltung wieder und weiten ihre Kapazitäten aus, um den Auftragsberg abzuarbeiten und neue Bestellungen annehmen zu können. Doch nicht immer gelingt das. Im dritten Quartal blieben bundesweit fast 1,1 Millionen Stellen unbesetzt, wie eine repräsentative Betriebsbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ergab. Das waren 174.400 mehr als ein Jahr zuvor.
Der Fachkräftemangel wird beispielsweise in der Baubranche sichtbar. Dies könne hier auf längere Sicht das Umsatzwachstum bremsen, erklärt der Chefvolkswirt des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Heiko Stiepelmann. Einer Umfrage des Ifo-Instituts zufolge klagt bereits fast jedes fünfte Unternehmen, dass der Arbeitskräftemangel die Bautätigkeit behindert. Die Zahl der erwerbslosen Baufacharbeiter erreichte im November mit 15.600 einen historischen Tiefstand. Die Folge: Die Unternehmen jagen sich gegenseitig Mitarbeiter ab. 22 Prozent der befragten Manager gaben an, in den vergangenen sechs Monaten von Abwerbung betroffen gewesen zu sein. „Selbst im Wiedervereinigungsboom war der Anteil mit 13 Prozent deutlich niedriger“, so Stiepelmann. Mittlerweile geben mehr als drei Viertel der Baubetriebe an, dass sie die Fachkräftesicherung als Problem ansehen.
Auch im Handwerk treten die Probleme immer deutlicher zutage. Wer einen Fachmann braucht, muss sich nicht selten wochenlang gedulden. Die Auftragsbücher sind so gut gefüllt, dass mitunter zehn Wochen und mehr vergehen, bis neue Arbeiten begonnen werden können. „Es kann zu Wartezeiten kommen“, heißt es beim Zentralverband des Deutschen Handwerks. Grund ist auch hier der Fachkräftemangel: 40 Prozent der Betriebe klagen über Probleme, offene Stellen zu besetzen. Außerdem sind Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt nach dem jahrelangen Boom rar gesät, und immer mehr Jugendliche ziehen ein Studium der Lehre vor. Die Folge: Ende 2016 blieben 14.000 Lehrstellen unbesetzt.
„Der Aufbau neuer Kapazitäten erfordert Zeit“, so die Wirtschaftsweisen in ihrem jüngsten Gutachten für die Bundesregierung. „In der Zwischenzeit wird die Anspannung in der Wirtschaft zunehmen, es wird schwieriger, Arbeitskräfte zu finden, und im Produktionsablauf werden verstärkt Engpässe auftreten, so dass sich Aufträge stauen und die Lieferzeiten steigen.“
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) sieht Deutschland deshalb in großen Schritten in Richtung Hochkonjunktur eilen. Kennzeichnend für eine Hochkonjunktur sind neben einem starken Wachstum kräftig steigende Löhne und Preise. Letzteres droht, wenn Unternehmen ihre Produktion oder ihre Dienstleistungen beispielsweise durch einen Fachkräftemangel nicht mehr ausweiten können, sondern ihren Umsatz stattdessen durch höhere Verkaufspreise ankurbeln. Im November hoben die deutschen Industriebetriebe ihre Preise so kräftig an wie seit sechseinhalb Jahren nicht mehr - vor allem wegen Lieferengpässen, wie Markit-Ökonom Smith erklärt: „Die Lieferengpässe stellen mittlerweile ein ernstes Risiko für den weiteren Aufschwung dar“.
Das sehen auch andere Forscher so: „Ein Boom mag sich gut anfühlen, er trägt aber den Keim der Krise in sich“, warnt der Leiter des IfW-Prognosezentrums, Stefan Kooths. „Je weiter die ökonomische Aktivität über das Normalmaß hinaus zulegt, desto größer werden die Risiken für eine Anpassungsrezession, durch die Geschäftsmodelle korrigiert werden, die nur im Boom funktionieren.“
Viele Betriebe arbeiten bereits am Limit. Gut ein Drittel spricht von einer Überauslastung. 47 Prozent der Firmen bestätigen, dass fehlende Fachkräfte die Produktionsmöglichkeiten begrenzen, wie das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) herausfand. Unter den Betrieben, die bereits eine Überauslastung feststellen, sprechen sogar zwei Drittel von einem Fachkräftemangel. „Die Unternehmen würden in Deutschland mehr in Sachkapital und Technologie investieren, wenn sie mehr Fachkräfte in den meisten Wirtschaftsbereichen zur Verfügung hätten“, sagt IW-Direktor Michael Hüther.
Besonders im MINT-Bereich, der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik umfasst, wird die Lücke immer größer. Derzeit fehlen hier 291.000 Arbeitskräfte, 43 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, so das IW. Schon jetzt gehe durch den Engpass jährlich ein zweistelliger Milliardenbetrag an Wertschöpfung verloren, so Hüther. Händeringend suchten die Unternehmen vor allem Informatiker: „Wenn sie einen IT-Experten benötigen, kann man nur viel Glück wünschen.“
Noch wird das alles überdeckt von robusten Wachstumsraten. „Mit zunehmender Überauslastung steigt die Fallhöhe für die deutsche Konjunktur“, warnt jedoch IfW-Experte Kooths. Mit Beginn des neuen Jahrzehnts kann es deshalb sein, dass die deutsche Wirtschaft nicht mehr läuft und läuft und läuft, sondern zu stolpern beginnt.