Die europäischen Unternehmen emanzipieren sich immer mehr von den Banken als Kreditgeber. Und dass, obwohl gerade die Finanzindustrie seit jeher einen guten Stand bei der Unternehmensfinanzierung genoss. Im ersten Quartal liehen sich die Unternehmen am Anleihemarkt rund 179 Milliarden Dollar, so der Daten-Provider Dealogic. Dadurch stiegen die Emissionen von Unternehmensanleihen im Vergleich zum Vorjahr um 38 Prozent. Die Zahl der Kredite, die die Unternehmen von den Banken aufnahmen, sank hingegen um 45 Prozent auf 112,9 Milliarden Euro. Im ersten Quartal 2007 war das Kreditvolumen, das sich europäische Unternehmen von den Banken holten, noch fünf Mal höher als das, was sie durch Anleihe-Emissionen erwarben.
Die europäischen Banken kämpfen mit dem Druck der Aufsichtsbehörden, ihr Eigenkapital aufzustocken und die Qualität ihrer Vermögenswerte zu verbessern. Dies reduziert ihre Bereitschaft, Kredite an Unternehmen weiterzugeben (daran konnten auch die Tender der EZB nichts ändern – hier). Doch von Unternehmerseite sinkt das Interesse ebenfalls, obwohl die Banken den Unternehmen in der Regel mehr Sicherheit geben als private Investoren und sich mit ihnen auch einfacher über eine Änderung der Kreditbedingungen verhandeln lässt.
Auf dem Anleihemarkt können sich die Firmen oft schneller und einfacher refinanzieren und auch internationale Investoren anziehen. Der Vorteil: Die privaten Investoren ziehen sich vermehrt aus dem Staatsanleihen-Markt zurück und investieren ihr Geld lieber in relativ gesunde europäische Unternehmen. Und damit können die Investoren sogar deutlich mehr Gewinne erzielen als mit sicheren, deutschen Bundesanleihen.
Da das Volumen der Emissionen von Unternehmensanleihen derzeit steigt, sinken entsprechend auch die Kosten für die Kredite. Im Gegensatz dazu sind bei den Banken die Kosten aufgrund höherer, eigener Kapitalkosten gestiegen. So emittierte das niederländische Chemieunternehmen LyondellBasell im Februar Anleihen im Wert von 3 Milliarden Dollar zur Refinanzierung bestehender Verbindlichkeiten. Die neuen Anleihen erreichten Zinssätze zwischen 5 und 5,75 Prozent. Für die Schulden, die das Unternehmen zurückzahlen muss, liegen die Zinssätzen zwischen 8 und 11 Prozent. Durchschnittlich sanken die Zinssätze für hoch bewertete europäische Unternehmen von 4,48 Prozent im letzten Quartal 2011 auf 3,57 Prozent im April.
So leihen sich Unternehmen mittlerweile auch Geld, obwohl sie nicht sofort Bares brauchen – für den Fall, dass sich die Bedingungen am Markt wieder verschlechtern. Der Automobilzulieferer Schaeffler gab Anfang Februar das erste Mal seit 1999 wieder Anleihen aus. Die Anleihen waren fünffach überzeichnet, so Schaeffler. Woraufhin das Unternehmen den Verkauf auf 2,67 Milliarden Dollar verdoppelte.