Politik

Deutsche Industrie fordert Zwangsvollstreckung für Schulden-Staaten

Lesezeit: 5 min
18.08.2013 02:44
Der Bundesverband der Deutschen Industrie will eine Lösung der Euro-Krise durch den Zugriff auf die nationalen Vermögen erreichen. Die Vermögen sollen gegen einen Erlass der Schulden in einen Super-ESM eingebracht werden. Dieses „Euro-Schatzamt“ soll dann die Staatsvermögen unabhängig von der Politik privatisieren. Der Vorschlag zeigt: Die Politik in Europa steht kurz davor, von der Finanz-Industrie entmündigt zu werden.
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Nach der Bundestagswahl wird es vermutlich zu weitreichenden Maßnahmen kommen, um die Schulden-Krise in Europa zu beenden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat mit seinem Haushalt zunächst die Weichen gestellt, um über Steuererhöhungen etwas Zeit zu gewinnen (hier).

Offenbar gibt es jedoch Überlegungen, die Schuldenmacherei der Staaten noch viel grundsätzlicher zu beenden. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Markus Kerber, hat, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, der die Finanz-Architektur in Europa vollständig verändern würde.

In einem Pressegespräch präzisiert Kerber seine Idee.

Kerber:

„Meine Idee wäre: Wenn Privatisierungen auf nationaler Ebene so langsam vorangehen wegen der politischen Ökonomie in Nationalstaaten: Warum übertragen wir nicht nationales Staatsvermögen auf den ESM und machen den ESM dann zu einem Euro-Schatzamt? Und dann kann man schuldrechtliche Ansprüche dagegen verrechnen. Staatsvermögen gibt es in allen Not leidenden Staaten im dreistelligen Milliardenbereich. Das ist für die nationalen Regierungen nicht so einfach, aber das ist ein Ausweg für die Länder, die vielleicht geben wollen oder geben müssen.“

Kerber greift damit ein Konzept des BDI aus dem September 2011 auf, mit welchem die Deutsche Industrie ihre Frustration über die aktionistischen Maßnahmen zum Ausdruck brachte. Der BDI sieht die wirkungsvollste Lösung der Schuldenkrise in Europa in der Ausgliederung der Fiskalpolitik aus der nationalen Kompetenz, wenn der Haushalt in einem Land aus dem Ruder läuft.

Damals war das Konzept noch in die Zukunft gerichtet.

In dem Konzept des BDI heißt es:

„Die institutionelle Architektur der Eurozone muss … substanziell weiterentwickelt werden. Aus Sicht der deutschen Industrie ist es unverzichtbar, die Instrumente des EFSF bzw. ESM zu einem politisch unabhängigen Europäischen Fiskalfonds (EFF) weiterzuentwickeln, um die gegenwärtigen Ad-hoc Rettungsmaßnahmen durch ein langfristig tragfähiges Konzept abzulösen. Der EFF bietet in Bedrängnis geratenden Mitgliedstaaten und Banken der Eurozone „Hilfe in der Not“ und stellt darüber hinaus eine letzte Instanz dar bei der Durchsetzung fiskalischer Disziplin. Der EFF gewährt dem hilfesuchenden Land auf Antrag Kredite gegen Sicherheiten und strikte wirtschaftspolitische Auflagen. Die Sicherheiten dienen nicht nur als Pfand für den EFF und dessen Sicherungsgeber im Falle der Zahlungsunfähigkeit eines Empfängerlandes. Das Erfordernis der Sicherheitsleistung stellt außerdem einen Anreiz für Empfängerländer dar, finanzielle Hilfen nur in Anspruch zu nehmen, wenn sie davon ausgehen, dass sie die Kredite vollständig zurückzahlen können.“

Der damalige BDI-Präsident Hans-Peter Keitel sagte damals dem DLF:

„Wir können nicht jeden Tag über neue Notmaßnahmen diskutieren, sondern wir müssen einmal in aller Klarheit sagen, wohin uns Europa führen soll, wie weit es in Europa mit einer Gemeinsamkeit gehen soll, und dafür müssen wir dann schleunigst aber wirklich die Strukturen schaffen, die dann auch unabhängig von der Politik dafür garantieren können, dass bei uns die Währung stabil bleibt, dass die Wirtschaften, dass die öffentlichen Haushalte sich an die Regeln halten.“

Konkret bedeute dies:

„Wir brauchen eine Weiterführung der Stabilitätsfonds in Richtung eines europäischen Fiskalfonds, der unabhängig von der Politik, ähnlich wie der Internationale Währungsfonds, die Sicherheit der Haushalte, die Disziplin in den Haushalten garantiert und im Notfall Hilfen gegen Gegenleistung anbietet. Wir müssen wegkommen von den politischen Notmaßnahmen, hin zu langfristigen stabilen Maßnahmen, die unabhängig sind von Wahlterminen und politischen Farben.

Dazu müssten nicht die traditionellen EU-Institutionen wie die Kommission oder das EU-Parlament gestärkt werden. Die EU-Verträge müssten geändert werden.

Als Problemlöser sah Keitel damals nämlich nicht die Politik:

„Und wenn wir dann mit Bedacht die Möglichkeit nutzen, eben auch unabhängig von der Politik Stabilität einzuführen, wenn das dann eine Ergänzung von Verträgen bedarf, was ich heute nicht übersehen kann im einzelnen, dann müssen wir den Weg gehen, in der Bevölkerung dafür zu werben, diesen Weg auch zu gehen. Das wird kurzfristig nicht möglich sein, aber wir müssen Schritt für Schritt nach vorne gehen und der Bevölkerung und uns allen sagen, wo das wirklich hinführen soll. Wir müssen das Ziel erkennbar machen.“

Es ist bemerkenswert, dass Kerber nun diesen Vorschlag aufgreift und ihn nicht mehr nur als Lösung für eine ferne Zukunft präsentiert, sondern als Ausweg aus dem unweigerlichen Schuldenschnitt für die Krisenländer Griechenland, Portugal, Zypern und Irland.

Kerber ist als Lobbyist der Industrie nicht bloß ein Vordenker für Lösungen in der Euro-Krise (wie er sie schon vor einiger Zeit hier dargelegt hatte). Kerber ist politisch eng vernetzt. Er ist ein Berater von Angela Merkel, mit der er auch privat gute Kontakte unterhält. Er war Abteilungsleiter für finanzpolitische und volkswirtschaftliche Grundsatzfragen unter Wolfgang Schäuble. Zuvor hatte er unter anderem für die S. G. Warburg und die Deutsche Bank in London gearbeitet. Für beide Banken kümmerte er sich um den Bereich der Private Equity Markets, also jener Branche, deren Kerngeschäft die Privatisierung sowie der Kauf und Verkauf von Unternehmen ist.

Die Idee hinter dem europäischen Schatzamt ist, dass Privatisierungen in den Schuldenstaaten erzwungen werden sollten. Griechenland hat beispielsweise keinerlei Anstalten gemacht, größere Staatsunternehmen zu privatisieren – obwohl dies Teil der Vereinbarungen mit der Troika war und von der Troika auch immer wieder vergeblich gefordert wurde.

Für die Politik käme eine solche neue Struktur der Entmündigung gleich, wenn sie mehr Schulden macht, als sie wirklich bedienen kann.

Die Zuweisung des Staatsvermögens an eine von „der Politik unabhängige“ Finanzinstitution – wie es der EFF wäre – entspricht dem Konzept des Europäischen Stabilitäts Mechanismus ESM: Auch der ESM agiert vollständig unabhängig von der Politik. Seine Gremien sind niemandem verantwortlich, unterliegen keiner demokratischen Kontrolle und sind zu keinerlei Transparenz verpflichtet.

Die Idee einer Art Euro-Zwangsvollstreckung zeigt, welch fatale Folgen die hemmungslose Schuldenpolitik hat. Die Nationen werden über kurz oder lang von ihren Gläubigern – den Banken – zur Rückzahlung ihrer Schulden gezwungen werden. Die Banken mussten in den vergangenen Jahren auf Geheiß der Politik massiv Staatsanleihen kaufen – und haben im Gegengeschäft erreicht, dass es zu keinen wesentlichen Regulierungen des Bankensektors gekommen ist.

Benoît Lallemand von Finance-Watch sagte kürzlich in einem Interview, dass die globale Finanzkrise vor allem deshalb so gefährlich sei, weil „von der fundamentalen Reform, die uns versprochen wurde, nichts zu sehen ist“:

„Die Finanzinstitute sind enorm gewachsen in Größe und in Bedeutung. Sie kontrollieren den Regulierungsprozess auf allen Ebenen. Von den G20 bis zu den nationalen Regulatoren hängen alle Politiker von der Expertise der Banken ab, weil zu wenig Geld in den Aufbau einer starken Regulierung gesteckt wurde. Der Reformprozess muss sich kaum demokratisch rechtfertigen.“

In den vergangenen Monaten hat jedoch ein Umdenken eingesetzt. Man könnte das auch einen brutalen Verteilungskampf nennen, der zwischen den Banken und der Politik entbrannt ist. Den Banken fehlen neue Geschäftsmodelle, weil sie selbst die Risiken kaum noch übersehen können, die in ihren Bilanzen lauern.

Da käme ein solcher Vorschlag einer europäischen Variante des IWF gerade recht. Der IWF verfolgt seit vielen Jahren auf globaler Ebene die Strategie der umfassenden Privatisierung von Staatsvermögen. Joseph Stiglitz, der als Chefökonom im IWF gedient hat, hat in einem bemerkenswerten Interview die Strategie des IWF offengelegt (mehr dazu hier).

Mit dem ESM gibt es in Europa schon einen Vorboten einer von der Politik abgekoppelten Finanz-Institution.

Das nun von Kerber vorgeschlagene „Schatzamt“ ist die logische Folge der außer Kontrolle geratenen Staatsschulden.

Die Politiker in der Euro-Zone werden bald merken, dass es nicht an ihnen liegt, was mit ihren gigantischen Schulden geschieht.

Es ist kein Raum mehr in Europa für die gescheiterte „politische Ökonomie“, wie BDI-Mann Kerber das politische Versagen nennt.

Sehr bald werden nur noch die Zahlen sprechen.

In seinem Konzept lässt der BDI keinen Zweifel daran, worum es geht:

„Sobald die vereinbarten Bedingungen nicht mehr eingehalten werden oder die Schuldentragfähigkeit nicht mehr gegeben ist, müssen die Zahlungen eingestellt werden. Einen Haftungsverband ohne Gegenleistung darf es nicht geben. Eine Insolvenzordnung muss unabdingbarer Bestandteil des EFF sein.“

Zwangsvollstreckung, Einstellung der Zahlungen, Insolvenz.

Das sind die Worte, die die Politiker im Endstadium der Schulden-Krise zu hören bekommen werden. Aus der schönen Idee eines vereinten Europa ist ein nüchterner Haftungsverband geworden.

Das Geben und Nehmen soll in Europa neu definiert werden.

Die Alternative hat ein anderer Schäuble-Berater ebenfalls dieser Tage aufgezeigt: Austritt Deutschlands aus dem Euro (hier).

Hinter den Kulissen ist viel Bewegung.

Nach der Wahl werden Entscheidungen fallen.

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