Finanzen

Der ehrbare Kaufmann sollte das Vorbild der Banker sein, nicht Gordon Gekko

Lesezeit: 11 min
16.01.2014 22:48
Bafin-Chefin Elke König hat beim Neujahrsempfang der Aufsicht den Banken die Leviten gelesen. Sie fordert eine Haltung, in der Banker ganz neu denken lernen müssen: Nicht alles, was legal ist, ist legitim. Die Rede im Wortlaut.

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Ich heiße Sie herzlich willkommen, meine Damen und Herren. Ich wünsche Ihnen ein glückliches neues Jahr und danke Ihnen für Ihr nach wie vor großes Interesse an unserer Arbeit. Ich hoffe, dass Sie uns auch 2014 treu bleiben und auf die Finger schauen werden. Treu bleiben uns mit Sicherheit auch einige aufsichtliche Themen. Manch eines hätten wir nur zu gerne vor dem Jahreswechsel zu den Akten gelegt.

Die nicht enden wollende Niedrigzinsphase zum Beispiel. Vor allem den Lebensversicherern und Pensionskassen macht sie das Leben zunehmend schwer. Kurz- und mittelfristig werden sie ihre Leistungsversprechen zwar erfüllen können. Aber wenn nicht noch die eine oder andere entscheidende Weiche gestellt wird, dann droht der Zug aufs falsche Gleis zu geraten. Solange die Zinsen auf dem heutigen Niveau verharren, gehen die Erträge der Kapitalanlagen nun einmal schneller zurück als die garantierten Zinsen im Bestand. Darunter leiden Pensionskassen aufgrund ihres längerfristigen Geschäfts noch stärker als Lebensversicherer, auch wenn sie andere Ausgleichsmechanismen haben.

Eine entscheidende Weiche hat der Gesetzgeber bereits gestellt. Lebensversicherer müssen seit drei Jahren eine Zinszusatzreserve aufbauen, um die gesunkenen Kapitalerträge zu kompensieren. Die Zinszusatzreserve belastet die Branche sehr. Gut sechs Mrd. Euro hat sie dafür allein 2013 aufgewendet. Dieses Geld will erst einmal verdient sein. Und doch ist die Zinszusatzreserve das richtige Instrument, um die Versicherer in Zeiten niedriger Zinsen zu stärken.

Klar ist aber, dass weitere Weichen gestellt werden müssen, um die Lebensversicherer und Pensionskassen zukunftsfest zu machen, und zwar vor allem durch die Unternehmen selbst. Vorsicht und Weitsicht sollten ihr Handeln bestimmen. So sollten sie die jährliche Überschussbeteiligung der Versicherten, aber natürlich auch etwaige Dividendenzahlungen behutsam bemessen. Allerdings ist auch der Gesetzgeber gefragt: Die derzeitigen Regelungen zur Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven (der festverzinslichen Wertpapiere) hat die unangenehme Nebenwirkung, dass Versicherer ausgerechnet in Zeiten sinkender und niedriger Zinsen extrem hohe Beträge an die wenigen ausscheidenden Kunden ausschütten müssen. Dem sehr viel größeren Kollektiv der verbleibenden Kunden gehen so Mittel verloren. Sie kennen das Thema aus dem vergangenen Jahr. Bei Pensionskassen sind die Arbeitgeber als Trägerunternehmen gefragt. Sie müssen, wenn nötig, zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. Das alles ist wichtig für den Bestand.

Weichen lassen sich jedoch vor allem in der Produktgestaltung stellen. Die Versicherer müssen differenziertere Angebote entwickeln und das Produkt Lebensversicherung in Teilen neu erfinden und. Die vielleicht spannendste Frage dabei lautet: Wie gelingt der Branche der Spagat zwischen klassischen Garantieprodukten und rein fondsgebundenen Produkten, bei denen der Kunde zumindest theoretisch einen Totalverlust erleiden kann? Ich denke, dass es intelligente, ausgewogene Lösungen zwischen beiden Extremen geben muss, denn gerade wenn es um die Altersvorsorge geht, haben die Menschen verständlicherweise ein großes Bedürfnis nach Sicherheit. Für den Kunden sind drei Dinge entscheidend: Sein Risiko sollte begrenzt, seine Altersvorsorge berechenbar und das Produkt im Rahmen des Möglichen transparent und verständlich sein. Die ersten Schritte in diese Richtung haben wir schon gesehen, und ich kann die Unternehmen nur ermutigen, auf diesem Weg weiterzugehen, denn es geht um ihre Zukunft – und um die eines der wichtigsten Produkte der Altersvorsorge.

Soll man einer Branche, die ohnehin gerade einige existenzielle Fragen zu beantworten hat, zumuten, sich auf ein anspruchsvolles Regelwerk wie Solvency II vorzubereiten? Man muss es sogar. Gerade weil die Lage schwierig ist, müssen wir und die Versicherer in der Lage sein, Risiken früh genug zu erkennen. Der risikosensitive Ansatz von Solvency II soll genau das möglich machen und ist daher grundsätzlich richtig. Die Risikomessung wird zwar – wegen der marktorientierten Bewertung – sehr viel volatiler sein, was vor allem für das Geschäft mit langfristigen Garantien zum Problem werden kann. Doch es wird ein „Long Term Guarantee Package“ mit Übergangsvorschriften geben, um es den Unternehmen leichter zu machen, die neuen Anforderungen umzusetzen. Wobei einige Anbieter langfristiger Garantien in den kommenden Jahren sicher zusätzliche Eigenmittel aufbauen müssen. Meine Kollegen haben rechtzeitig zum Jahresende einen Einführungsfahrplan für Solvency II veröffentlicht. Auch wenn das Regelwerk erst in zwei Jahren startet, wir werden diese Zeit zur Vorbereitung nutzen.

Dass die Niedrigzinsphase auch für die Bausparkassen kein Problem ist, das sich durch Aussitzen lösen ließe, liegt auf der Hand. Die Institute sind daher schon vor Jahren aktiv geworden und haben das Zinsniveau ihrer Tarife angepasst. Wenn allerdings die Marktzinsen auf lange Sicht so niedrig bleiben, wird vielen von ihnen kaum etwas anderes übrig bleiben, als das Zinsniveau in neuen Tarifen weiter zu senken.

Was man schon fast als Ironie der Geschichte bezeichnen kann: Schattenseiten hat das niedrige Zinsniveau auch für die vielen Kreditinstitute, die langfristige Kredite vergeben und sich kurzfristig, etwa über Kundeneinlagen, refinanzieren. Da die Zinsen schon seit geraumer Zeit niedrig sind, haben manche Institute mittlerweile einen erheblichen Anteil von langfristigen und niedrigverzinsten Krediten in den Büchern. Dieser Anteil wächst, je länger die Niedrigzinsphase dauert. Wenn sie sich noch länger hinzieht, gerät das Zinsergebnis der Institute unter Druck. Irgendwann laufen nämlich auch die letzten hochverzinslichen Aktiva aus und müssen durch Anlagen mit niedrigeren Zinsen ersetzt werden.

Wenn die kurzfristigen Zinsen nun abrupt stiegen, ein Szenario, das man immer im Hinterkopf haben muss, dann müssten sich die Institute relativ kurzfristig zu höheren Kosten refinanzieren. Würden sich zur gleichen Zeit die langfristigen Zinsen nicht sonderlich ändern, sänke das Zinsergebnis. Aber auch wenn die langfristigen Zinsen in ähnlichem Maße stiegen wie die kurzfristigen Zinsen, ließe das Zinsergebnis vieler Banken auf mittlere Sicht erst einmal nach. Denn der Anstieg am langen Ende wirkt sich erst allmählich auf die Zinserträge aus – und zwar in dem Maße, in dem niedrigverzinste Altverträge auslaufen, sodass die Banken die freiwerdenden Mittel zu höheren Zinsen wieder anlegen können. Dieser Effekt ist umso stärker, je länger die Zinsbindung auf der Aktivseite ist.

Niemand kann seriös vorhersagen, wie sich die Zinsen entwickeln. Umso wichtiger ist, dass die Institute genug Eigenkapital haben, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein – auch wenn es über die Unterlegung von Zinsschocks hinaus (noch) keine allgemeinen Eigenkapitalanforderungen für das Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch gibt. Im Mittelpunkt muss für jede Bank die Frage stehen, wo und wie sie heute und in Zukunft die Erträge erwirtschaften kann, die sie braucht, um langfristig am Markt bestehen zu können. Es geht darum, ob das eigene Geschäftsmodell auf lange Sicht tragfähig ist, ob das Institut eine nachhaltige Geschäftsstrategie verfolgt. Nachhaltige Geschäftsstrategien verlangen wir in unseren Mindestanforderungen an das Risikomanagement seit 2009. Aufgenommen haben wir diesen Punkt damals unter dem Eindruck der Finanzkrise. Seit Anfang dieses Jahres werden Banken nun auch gesetzlich auf die „Festlegung einer auf die nachhaltige Entwicklung des Instituts gerichteten Geschäftsstrategie“ verpflichtet.

Dass wir uns kritisch mit den Geschäftsstrategien der Banken – und der Versicherer – befassen, ist für mich zentraler Bestandteil unserer risikoorientierten und präventiven Aufsicht und nicht zu verwechseln mit staatlichem Interventionismus. Unternehmerische Entscheidungen trifft das Management, überwacht vom Aufsichtsgremium. In der sozialen Marktwirtschaft setzt der Staat nur den rechtlichen Rahmen. Innerhalb dessen können und müssen sich die Institute frei bewegen. Unsere Aufgabe besteht darin, die Risiken unter Kontrolle zu halten, die aus den unternehmerischen Entscheidungen entstehen. Wenn eine Geschäftsstrategie nicht nachhaltig ist, kann die BaFin formelle Maßnahmen ergreifen. Dazu wird es aber zumeist nicht kommen.

Ein weiteres Thema hält uns über den Jahreswechsel hinaus die Treue: die Manipulationsvorwürfe rund um wichtige Referenzsätze. Standen zunächst LIBOR, Euribor & Co. im Fokus, wurden später auch Vorwürfe laut, bei der Ermittlung von Referenzwerten für die Devisen- und Edelmetallmärkte sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen. Diese Vorwürfe wiegen besonders schwer, denn solche Referenzwerte basieren – anders als LIBOR und Euribor – typischerweise auf realen Transaktionen in liquiden Märkten und nicht auf Schätzungen der Banken.

Dass dieses Thema in der Öffentlichkeit so hohe Wellen schlägt, ist verständlich: Gerade die Finanzwirtschaft ist abhängig vom Vertrauen der Allgemeinheit darauf, dass sie leistungsfähig ist und dabei ehrliche Arbeit leistet. Die zentralen Referenzwerte schienen über jeden Zweifel erhaben – und nun steht der Verdacht im Raum, sie seien manipuliert worden. Aufseher weltweit sind damit beschäftigt, die Vergangenheit aufzuarbeiten, was alles andere als trivial ist und noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Zugleich wird auf globaler und europäischer Ebene daran gearbeitet, das Thema regulatorisch in den Griff zu bekommen. Denn was Transparenz und Kontrolle angeht, gibt es noch jede Menge Nachholbedarf. Aber erste Schritte sind bereits getan, weitere sind in Vorbereitung. In Brüssel ist derzeit zum Beispiel eine Änderung der Marktmissbrauchsrichtlinie in Vorbereitung, nach der die Manipulation von Benchmarks unter Strafe gestellt werden soll. Im September vergangenen Jahres hat die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Regulierung von Referenzwerten vorgelegt. Für diesen Verordnungsentwurf gilt dasselbe wie für alle anderen bisherigen Reformvorhaben: Sie gehen in die richtige Richtung, aber nicht weit genug.

Der Entwurf greift einen zentralen Punkt auf: Referenzsätze sollen künftig nach Möglichkeit auf Daten von realen Transaktionen basieren. Experteneinschätzungen sollen weiterhin zulässig sein, aber nur dann, wenn sie belegbar und nachprüfbar sind. Das wäre immerhin ein Fortschritt. Doch die Kommission setzt in ihrem Vorschlag weitgehend auf Selbstkontrolle. Die Daten, die in die Ermittlung der Referenzwerte eingehen, sollen künftig lückenlos dokumentiert werden. Auswerten und prüfen soll sie dann allerdings ein zwar unabhängiges, aber privates Kontrollorgan.

Wer wird ein Auge darauf haben, dass diese privaten Kontrollinstanzen tatsächlich unabhängig sind? Und können solche Instanzen prüfen, ob Referenzzinsätze auf ehrliche Art und Weise ermittelt werden? Ich habe meine Zweifel. Die Märkte für Geldmarktgeschäfte, Devisen und Edelmetalle sind dezentral organisiert. Der Handel findet in großem Umfang bilateral statt und nicht an Börsen oder börsenähnlichen Plattformen. Private Kontrollinstanzen können daher nur einen relativ kleinen Ausschnitt des Marktgeschehens beobachten und überwachen.

Wir müssen daher einen Schritt weiter gehen: Markttransparenz und Marktkontrolle sind nur dann möglich, wenn die zahllosen Datenströme auf den betroffenen Märkten zentralisiert werden. Man müsste daher den Handel in diesen Märkten so weit wie möglich auf transparente und direkt oder indirekt staatlich überwachte Handelsplätze verlagern. Was bei Over-the-Counter-Derivaten möglich ist, sollte auch bei den dazugehörigen Spotmärkten möglich sein.

Die Manipulationsvorwürfe haben eine Branche in Verruf gebracht, deren Ansehen ohnehin lädiert war, die aber wie kaum eine andere darauf angewiesen ist, dass man ihr vertraut. Umfassende Regulierung und wirksame Kontrolle werden helfen, dieses Vertrauen wieder aufzubauen. Doch mit bloßer Regel- und Gesetzestreue – Sie können auch das Modewort „Compliance“ verwenden – ist es nicht getan. Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim. Ich glaube nicht an eine flächendeckende moralische Verrohung, aber wir brauchen eine Rückbesinnung auf gewisse ethische Werte, die offenbar in Teilen des Finanzsektors in den Boom-Zeiten aus der Mode gekommen sind. Orientierung kann der ehrbare Kaufmann bieten, der sich nicht nur dem Unternehmen, sondern auch der Gesellschaft gegenüber in der Verantwortung sieht. Sein Image mag etwas angestaubt sein, aber als Vorbild taugt er allemal besser als Gordon Gekko. In der Pflicht sind Management und Aufsichtsgremium. Statt der Parole „Profit um jeden Preis“ müssen langfristiges Denken und verantwortungsvolles Handeln die Richtschnur sein. Ein Sinneswandel in diese Richtung ist zu erkennen.

Der angenehme Nebeneffekt: Redliches Handeln senkt das Reputationsrisiko und zahlt sich auf lange Sicht auch für das Unternehmen selbst aus. Unredliches Handeln fällt meist irgendwann auf den Handelnden zurück. Bei alledem darf man aber eines nicht vergessen: Unternehmen müssen Gewinne machen dürfen – sonst hätten sie auch für die Allgemeinheit keinen Wert. Oder möchten Sie Ihr Auto bei einer Firma kaufen, die damit keine Gewinne machen darf? Ein innovatives, spritsparendes Modell dürften Sie dann nicht erwarten.

Zu den großen regulatorischen Themen, die uns im vergangenen Jahr beschäftigt haben und die uns weit über das Jahr 2014 hinaus begleiten werden, zählen die großen Reformwerke der Post-Krisen-Zeit, also zum Beispiel die europäische Capital Requirements Directive IV (CRD IV) und die Capital Requirements Regulation (CRR). Wesentliche Teile dieses gigantischen Regelungspakets, das unter anderem Basel III in Europa umsetzt, sind Anfang Januar in Kraft getreten. Manch einer hatte sich einfachere Antworten auf die Krise gewünscht – in Teilen möglicherweise zu Recht. Im Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht denkt man darüber nach, an welchen Stellen man das Regelwerk weniger kompliziert gestalten könnte. Aber den Verfechtern der radikalen Einfachheit sei gesagt, dass der vermeintlich einfachere Weg längst nicht immer der beste ist.

Wer etwa die Sinnhaftigkeit der Risikosensitivität des Baseler Regelwerks grundsätzlich in Zweifel zieht, befindet sich auf dem Weg zurück in die regulatorische Steinzeit von Basel I, das den Boden für die Subprime-Krise bereitet hat. Es gibt in diesem Punkt sicher Verbesserungsbedarf. Wir müssen zum Beispiel den Umgang mit Staatsanleihen ändern. Noch immer genießen sie eine Vorzugsbehandlung – was die Eigenkapitalunterlegung angeht und die Obergrenze für Forderungen an eine Gegenpartei. Das spornt Banken an, in Staatsanleihen zu investieren, und fördert die Verquickung von Staaten und Banken. Mir ist auch bewusst, dass interne Modelle nicht unfehlbar sind. Das alles ist aber kein Grund, auf die Errungenschaften der Risikosensitivität zu verzichten.

Eine der vordringlichsten regulatorischen Aufgabe nach der Krise bestand und besteht darin, systemrelevante Banken zu stärken und die Institute wieder selbst für ihr Handeln haften zu lassen. Große und komplexe Banken müssen künftig besonders viel Eigenkapital vorhalten und werden besonders intensiv beaufsichtigt.

Nun müssen wir uns von dem vermeintlichen oder tatsächlichen Zwang befreien, marode systemrelevante Banken zu retten. Es muss möglich sein, solche Banken zu sanieren oder abzuwickeln – und zwar ohne Schaden für die Allgemeinheit und über nationale Grenzen hinweg. Wir brauchen ein weltweit geltendes und grenzüberschreitend wirksames Sanierungs- und Abwicklungsregime. Den Grundstein dafür hat der Finanzstabilitätsrat FSB (Financial Stability Board) im Herbst 2011 mit seinen „Key Attributes (of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions)“ gelegt. Bis zum G-20-Gipfel im kommenden Herbst sollen weltweit die wesentlichen Bausteine stehen. Hoffen wir das Beste, denn wenn nicht alle Länder mitziehen, funktioniert das Ganze nicht. Und es gibt viele Stolperfallen.

Die Europäische Union ist immerhin auf gutem Wege. Rat, Kommission und Europäisches Parlament haben sich auf fachlicher Ebene auf eine Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Instituten geeinigt. Auch beim einheitlichen Abwicklungsmechanismus, der Teil der europäischen Bankenunion sein wird, sind wir ein gutes Stück voran gekommen: Der Rat hat sich vor Weihnachten auf eine generelle Ausrichtung geeinigt, und der Trilog soll noch vor Ende der Legislaturperiode des Parlaments abgeschlossen werden. Als nächstes will die Kommission ihre Vorschläge für die Umsetzung eines Trennbankensystems vorlegen.

Deutschland ist auf diesen Gebieten nicht nur Vorreiter, sondern auch Motor der europäischen Entwicklung. So geht es auf das deutsche Verhandlungskonto, dass es bei der Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung eine klare Haftungskaskade gibt: Eigentümer und Gläubiger müssen zuerst für Verluste ihrer Bank haften und für deren Rekapitalisierung sorgen, bevor etwa der Abwicklungsfonds und – in einem letzten möglichen Schritt – die Steuerzahler die Kosten tragen müssen. Nicht zuletzt auf Betreiben Deutschlands werden wir zudem das Instrument Bail-in bereits vom 1. Januar 2015 an nutzen können, also mit der Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht.

Beim einheitlichen Abwicklungsmechanismus muss Rechtssicherheit bestehen. Die Entscheidung, ob und wie eine Bank abgewickelt wird, soll künftig eine zentrale Abwicklungsbehörde treffen. Die Kommission soll aber das Recht erhalten, dem Rat einen Einspruch vorzuschlagen. Ein Entscheidungsprozess, bei dem jede Stunde zählen kann, kann sich so in die Länge ziehen. Wenn allerdings bei Abwicklungsmaßnahmen nur die Eigentümer und Gläubiger haften und keine Fonds- oder Staatsmittel verwendet werden, kann die zentrale Abwicklungsbehörde auch allein entscheiden. Was sie anspornen dürfte, eine Abwicklung so zu planen, dass die Kosten nicht vergemeinschaftet werden. Dieser Punkt war Deutschland in den Verhandlungen sehr wichtig.

Meine Damen und Herren, mit einem weiteren Element der Bankenunion sind wir kurz vor dem Ziel: Wir bekommen eine integrierte europäische Bankenaufsicht mit echten Eingriffsbefugnissen. Wenn sie gut gemacht ist, wird sie uns mehr Stabilität und Sicherheit bringen als die Summe aller nationalen Behörden. Gut gemacht sein kann sie nur dann, wenn sie auf die umfassende Expertise der nationalen Aufseher zurückgreift – nicht nur, aber vor allem in der Anfangsphase. Wir, die BaFin, sind eine der Säulen, auf denen die neue Aufsicht in den kommenden Jahren ruhen muss.

Vor dem Start ins neue Aufsichtszeitalter werden die Banken, die unter direkter Aufsicht der Europäischen Zentralbank stehen sollen, eine umfassende Prüfung durchlaufen – unter anderem eine Bilanzprüfung und einen Stresstest. Ich bin zuversichtlich, dass es bei der Bilanzprüfung keine größeren bösen Überraschungen geben wird. Immerhin haben die Institute in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben gemacht. Und sollte doch eine Bank Kapitalbedarf haben, müsste sie sich an ihre Eigentümer und den Kapitalmarkt wenden. Sollte dies nicht ausreichen, kämen die Gläubiger an die Reihe. Der Staat kann immer nur der letzte Retter sein.

Schwieriger als bei der Bilanzprüfung könnte es beim Stresstest werden. Es werden zwei Szenarien durchgespielt: Eines, dem die erwartete wirtschaftliche Entwicklung zugrunde liegt, und eines, das von deutlich schwierigeren Bedingungen ausgeht. Je nachdem, wie man die Szenarien und die zugrundeliegenden Annahmen gestaltet, könnte der Test für einige Institute einen zusätzlichen Kapitalbedarf zutage fördern. Was mir wichtig ist: Der Stresstest ist unverzichtbar für den Start der künftigen Bankenaufsicht – wie auch die Bilanzprüfung. Beide müssen stringent sein. Aber wir müssen auch mit Augenmaß an die Sache herangehen.

Ein weiteres Thema, das uns in diesem Jahr ebenso beschäftigen wird wie im vergangenen, ist der kollektive Verbraucherschutz. Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass ich die Solvenzaufsicht für eines unserer schärfsten Schwerter im Verbraucherschutz halte. Aber auch in anderen Bereichen haben wir wirkungsvolle Instrumente, die dem Schutz der Verbraucher dienen. So können wir in der Wertpapieraufsicht Verhaltensstandards durchsetzen, die für Transparenz und Fairness an den Finanzmärkten sorgen. Seit einigen Monaten haben wir auch einen Verbraucherbeirat, der uns in Fragen des Verbraucherschutzes berät und wichtige Impulse geben wird.

In den vergangenen Jahren haben wir auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes viele neue Aufgaben erhalten – das Beratungsprotokoll und das Mitarbeiter- und Beschwerderegister sind nur zwei Beispiele von vielen. Beide haben übrigens ihre Berechtigung, auch wenn die Finanzwirtschaft dies immer wieder öffentlich anzweifelt. Berechtigte Kritik greifen wir auf, aber es ist unbestritten, dass Anlageberatung ihren Zweck nur erfüllen kann, wenn Kunden ihrem Berater vertrauen können. Und das konnten sie in der Vergangenheit nicht immer.

Verbraucherschutz wird für uns weiter an Bedeutung gewinnen. Am Brüsseler Horizont zeichnen sich einige regulatorische Neuerungen ab; und auch im Koalitionsvertrag nimmt das Thema eine prominente Stellung ein – zu Recht. Wir sind Verbraucherschützer aus Überzeugung, und es gibt viele gute und wirksame Regeln, aber nichts ist so gut, dass man es nicht noch verbessern könnte. Denken Sie nur an den Grauen Kapitalmarkt. Dort bewegen sich Anbieter, die Geschäfte treiben, für die sie keine Erlaubnis der BaFin brauchen, und die wir auch nicht beaufsichtigen. Für Anleger lauern in dieser aufsichtsfreien Zone unkalkulierbare Gefahren. Vorgehen können wir gegen die Anbieter nicht, denn sie nutzen Gesetzeslücken, und wo kein Gesetz, da keine Handhabe. Was also tun? Erlaubnispflicht und laufende Aufsicht für alle Anbieter des Grauen Kapitalmarktes?

Fest steht aber auch: Wir können die Verbraucher nicht aus der Verantwortung entlassen. Jeder Anleger sollte immer folgende Dinge bedenken:

Es gibt einen Zusammenhang zwischen versprochener Rendite und Risiko.

Die Anbieter an den Finanzmärkten – egal ob beaufsichtigt oder nicht – sind keine Wohltäter und müssen es auch nicht sein.

Man sollte nur in Produkte investieren, die man versteht, und eine gesunde Skepsis an den Tag legen.

In Anlageentscheidungen sollte man mindestens so viel Zeit investieren wie in die Anschaffung eines Smartphones.


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