Politik

Staaten sind pleite: EU fordert Kürzung von Sozialleistungen

Lesezeit: 2 min
19.01.2014 19:11
EU-Kommissarin Viviane Reding fordert eine Kürzung der Sozialleistungen in den EU-Staaten. Dies soll die sogenannte „Armutsmigration“ stoppen. Tatsächlich sind die meisten Staaten pleite. Mit beispiellosem Populismus versucht die EU nun, Schuldige für die Kürzungen von Sozialleistungen auszumachen.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

EU-Justizkommissarin Viviane Reding bezeichnet „großzügige Sozialsysteme“ mancher EU-Länder als „Problem“. Die Mitgliedstaaten müssten dieses Problem selbst lösen. An der Personenfreizügigkeit will sie festhalten.

In der Debatte um Armutsmigration äußert sich EU-Justizkommissarin Reding kritisch zu den Sozialsystemen der reichen EU-Staaten. In einem Interview mit der Zeitung Schweiz am Sonntag sagte Reding, die Sozialsysteme mancher EU-Länder seien „zu großzügig. Da erhält jeder Einwanderer schon von Anfang an Unterstützung.“ Länder mit zu großzügigen Sozialleistungen müssten „dieses Problem selbst lösen, das ist nicht Aufgabe der EU“, so Reding weiter.

Dieser Vorschlag ist neu. Bislang hat Reding stets dementiert, dass es so etwas wie Armutsmigration gibt und verwies auf die Notwendigkeit der freien Arbeitsplatz und Wohnortwahl aufgrund des EU-weiten Fachkräftemangels. Als Reaktion auf die Bemühungen Großbritanniens, die Freizügigkeit in der EU zu beschränken, sagte Reding, die britische Regierung verbreite einen Mythos über die Einwanderung in die Sozialsysteme (mehr dazu – hier).

Nach Ansicht der EU-Kommission muss jedes EU-Land – so auch Deutschland –  seinen Zuwanderern den Zugang zu Sozialleistungen für drei Monate gewähren. Danach müssen Einwanderer einen Nachweis erbringen, dass sie „über ausreichende Mittel“ verfügen, um ihre Existenz sicherzustellen, so Reding. Noch im vergangenen Jahr wollte die Kommissarin diesen Zeitraum sogar von drei auf sechs Monate verlängern (hier).

Reding verteidigte erneut die Bewegungsfreiheit der EU Bürger: „Der europäische Binnenmarkt hat vier Freiheiten, die nicht auseinanderzudividieren sind: die Freizügigkeit für Waren, Dienstleistungen, Kapital und eben für Personen. Wer den Binnenmarkt will, muss diese vier Freizügigkeiten in die Praxis umsetzen.“

In der EU gebe es über 2 Millionen unbesetzte Stellen. „Die Arbeitsmigration ist für Europa deshalb unerlässlich“, so Reding. „Sollte es zu Missbrauch kommen, dann sollte dieser bekämpft werden.“

Die Forderung Redings für einen Abbau der Sozialleistungen hat allerdings wenig mit den sogenannten Arbeitsmigranten zu tun. Sie machen in den meisten Staaten der EU nur einen Bruchteil der Leistungsempfänger aus.

Die Forderung soll vielmehr die EU-Staaten zu noch radikaleren Sparkursen veranlassen. Durch die hemmungslose Ausgabenpolitik und den eher unterentwickelten Willen zum Sparen sind die meisten EU-Staaten in einem Maß überschuldet, dass Insolvenzen die korrekte Lösung wären. Der IWF hatte in einer Studie vor einiger Zeit die EU darauf aufmerksam gemacht, dass die Schulden nicht mehr nachhaltig bedient werden können (mehr zu diesem wichtigen Dokument - hier). Der Ökonom Daniel Stelter hat vorgerechnet, dass die Lösung der Schuldenkrise neben der Enteignung der Sparer auch drastische Kürzungen bei den Sozialleistung unausweichlich macht: Niemand werde ungeschoren davonkommen, sagte Stelter im DWN-Interview (mehr dazu hier).

Weil aber - wie in Griechenland - bei überschuldeten Staaten der Schuldendienst (Zinszahlungen und Tilgung) vorrangige Zahlungen sind, müssen die Staaten ihre Wohlfahrtsmodell zurückfahren.

Dass die EU nun die Ausländer zu Sündenböcken erklärt, um eine von Wahlinteressen und nicht finanzierbarer Ideologie getriebene Politik rückgängig zu machen, kann man nur als ausgesprochen geschmacklos bezeichnen.

Oder, mit den Worten vieler Moralapostel: populistisch bis zum Abwinken.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Freie Lehrstellen erreichen kritisches Niveau: Was Unternehmen jetzt tun müssen
07.05.2024

Der Lehrstellenmangel verschärft sich: Demografischer Wandel und veränderte Berufspräferenzen der Generation Z führen zu einem...

DWN
Politik
Politik Erbschaftssteuer: Droht durch Klage Bayerns ein Wettbewerb der Länder beim Steuersatz?
07.05.2024

In Karlsruhe wird es diesen Sommer mal wieder um den Dauerbrenner Erbschaftssteuer gehen. Schon zweimal hat das Verfassungsgericht von der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Investitionsschreck Deutschland: Internationale Investoren meiden deutsche Projekte
07.05.2024

Ausländische Unternehmen haben im vergangenen Jahr immer weniger in Deutschland investiert. Die Anzahl der Projekte ausländischer...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Nachlassende Nachfrage: Deutsche Industrie verzeichnet erneut weniger Aufträge
07.05.2024

Trotz einer vielversprechenden Entwicklung im März kämpfen Deutschlands Exporteure nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten.

DWN
Finanzen
Finanzen Der DWN-Marktreport: US-Arbeitsmarktdaten lassen erneut Zinssenkungsfantasie aufkommen
07.05.2024

Die internationalen Finanz- und Rohstoffmärkte verbleiben im Spannungsfeld wechselnder Indikatoren hinsichtlich des zukünftigen Zinspfads...

DWN
Politik
Politik Israels Armee nähert sich dem Grenzübergang von Rafah
07.05.2024

Israels Regierung bleibt bei der geplanten umfangreichen Offensive gegen Rafah bestehen, während die Hamas einer Waffenruhe zustimmt -...

DWN
Immobilien
Immobilien Gesundheitsimmobilien: Investmentmarkt stolpert – wie sieht die Pipeline weiter aus?
07.05.2024

Nach robustem Transaktionsvolumen in den vergangenen Jahren herrschte auf dem Investmentmarkt für Pflegeheime, Seniorenimmobilien und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Menge sichergestellten Kokains im Hamburger Hafen verdreifacht
06.05.2024

Im Hamburger Hafen werden alle nur erdenklichen Waren umgeschlagen - auch Drogen. Immer mehr Kokain findet durch das Tor zur Welt seinen...