Der designierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will einen Internet-Kommissar ernennen. Dieser soll nach Angaben des Nachrichtenmagazins Spiegel weitreichende Kompetenzen erhalten. Vordergründig geht es um etwa um die Vergabe von Funkfrequenzen, um die Schaffung eines europaweiten Frequenzbands für große Datenmengen und europaweit geltendes Urheberrecht.
Doch die Absicht dürfte ein andere sein: Die EU will das Internet in Europa einer stärkeren Kontrolle unterwerfen.
Schon seit einiger Zeit wird in Brüssel an Entwürfen gearbeitet, wie man die unberechenbaren Bürger im Internet besser in den Griff bekommen könnte. So will die europäische Justiz-Kommissarin Viviane Reding bis 2020 einen eigenen EU-Überwachungsdienst etablieren. Dieser European Intelligence Service solle als Gegengewicht zur NSA in Stellung gebracht werden (mehr hier).
Eine Studie von Facebook liefert diesen Bestrebungen zur Kontrolle des Internets nun eine starke Argumentationshilfe. Die Forscher untersuchten, ob sie die Emotionen der Facebook-Nutzer beeinflussen können. Dazu überprüften sie, welche Wirkung die Botschaften, die sich die Nutzer gegenseitig schicken, haben können. Sie zeigten dort in verschiedenem Umfang positive und negative Inhalte.
„Bei Facebook drücken die Nutzer häufig Emotionen aus, die später von ihren Freunden über in den ‚Neuigkeiten‘ gesehen werden. Weil die Leute sehr häufig viel mehr Inhalte produzieren, als eine Person anschauen kann, werden die Posts, Geschichten und Aktivitäten der Freunde gefiltert.“
„Welche Inhalte in den Neuigkeiten gezeigt oder ausgelassen werden, wird in von einem Ranking-Algorithmus bestimmt, den Facebook kontinuierlich weiterentwickelt und testet, um den Nutzern Inhalte zu zeigen, die sie wichtiger und anregender finden. Über einen solchen Test berichtet diese Studie.“
In der Studie wurden die Neuigkeiten von 689.003 zufällig ausgewählten Facebook-Nutzern überprüft, indem Inhalte mit positiven beziehungsweise negativen Emotionen verstärkt wurden. Anschließend analysierten die Forscher, was die Nutzer im Verlauf einer Woche selbst posteten.
Tatsächlich waren Facebook-Nutzer, die mehr negative Neuigkeiten von ihrem Freunden erhielten hatten, anschließend selbst negativer eingestellt. Dasselbe gilt für positive Neuigkeiten.
Das Ergebnis der Studie lautet also, dass sich positive beziehungsweise negative Emotionen nicht nur im direkten zwischenmenschlichen Kontakt, sondern auch über ein soziales Netzwerk wie Facebook verbreiten können. Dies bietet vielfältige Möglichkeiten der Meinungsbildung, wie das Experiment der Facebook-Forscher beweist.
Das Internet stellt demnach eine Macht in der Kommunikation dar, die nicht einfach durch Medien-Gesetze oder Absprachen der Medien-Eliten mit den politischen Leistungsträgern zu steuern ist.
Die Erkenntnis der Facebook-Forscher könnte der EU-Kommission nun eine Steilvorlage zur strengeren Kontrolle des Internets liefern. Denn wenn Informationen in sozialen Netzwerken Massen beeinflussen können, müssen sie stärker kontrolliert werden, so dürfte die Argumentation lauten. Die Forschung bei Facebook könnte künftig als eine Legitimation der Zensur dienen.
Und wenn es keine Zensur gibt, so könnten staatliche oder supranationale Einrichtungen wie die EU versuchen, die gefürchtete Gegenöffentlichkeit im Internet selbst zu manipulieren. In einer Beratung zum Freihandelsabkommen TTIP hatte die EU die Vertreter der Staaten bereits dazu angehalten, die öffentliche Meinung positiv im Sinne der EU und der USA zu beeinflussen (mehr dazu hier).
Sollte dies nicht gelingen, gibt es die Möglichkeit, den Internet-Usern die Rolle des Sündenbocks zuzuschieben und kritische Wortmeldungen zu kriminalisieren.
Diese Entwicklung zeigt sich derzeit in Bulgarien. Dort machen die Behörden das „Verbreiten falscher Informationen“ für die aktuellen Bank-Runs verantwortlich. Der Präsident musste eine Garantie für die Sparguthaben abgegeben, um die Lage zu beruhigen (mehr hier). Die Regierung spricht von einem gezielten Angriff auf das bulgarische Finanzsystem.
Auch die Zentralbank des Landes sieht die Ursache für die beiden Bank-Runs innerhalb kürzester Zeit im Internet. Dort seien „böswillige Gerüchte“ über verschiedene Banken in Umlauf gebracht worden. Die Behörden ermitteln nach eigenen Angaben wegen eines Angriffes auf die Bankenbranche. Fünf Verdächtige wurden festgenommen.
Auch der BND hat im Internet eine Gefahr ausgemacht. Er will die sozialen Netzwerke künftig stärker überwachen, um nicht mehr von Revolutionen überrascht zu werden (mehr hier). Während des sogenannten Arabischen Frühlings waren die sozialen Netzwerke die wichtigsten Werkzeuge der Oppositionellen zur Koordinierung ihrer Proteste.
Die Argumentation des künftigen Internet-Kommissars könnte also lauten: Wenn offenbar mithilfe des Internets Revolutionen und Bank-Runs ausgelöst werden kann, muss dieses strenger kontrolliert werden. Webseiten, welche etwa die Wirkung des Geldes falsch erklären, sind eine Gefährdung für das Finanzsystem. Falsche Veröffentlichungen müssen unterbunden werden. Journalisten und Blogger, die gefährliche Informationen über das Finanzsystem verbreiten, müssen ähnlich wie im aktuellen Fall in Bulgarien, gewaltig unter Druck geraten.
Der Internet-Kommissar, wie ihn sich der mit Geheimdienst-Angelegenheiten bestens vertraute Juncker vorstellt, dürfte in dieser denkbaren Strategie eine entscheidende Rolle spielen.
Eine EU-Staatsanwaltschaft ist bereits in Vorbereitung (hier).
Auch eine EU-Polizei ist im Entstehen (hier).
Damit diese Behörden wirkungsvoll zugreifen können, braucht es im Vorfeld eine Instanz, die filtert, kontrolliert und Meldung erstattet. Am besten funktioniert eine solche Einrichtung, wenn die Bürger wissen, dass alles, was sie schreiben und sagen, protokolliert und bewertet wird.
Früher nannte man das Zensor.
Seine Rolle könnte im Zeitalter ein Kommissar spielen.
Den gibt es bei der Kripo.
Und bei der EU.
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