Der Bundesgerichtshof (BGH) rüttelt nicht an der Gültigkeit von Millionen Lebensversicherungsverträgen. Verträge, die nach dem bis 2007 üblichen, bei Verbraucherschützern aber umstrittenen Policenmodell abgeschlossen wurden, bleiben wirksam, wie der vierte Zivilsenat am Mittwoch in Karlsruhe entschied. Es gebe "keinen Anhaltspunkt" dafür, dass diese Art des Abschlusses den EU-Richtlinien widerspräche. Wie ein Versicherungsvertrag zustande komme, habe die EU bewusst dem nationalen Gesetzgeber überlassen. Der BGH werde den Fall deshalb auch nicht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorlegen, hieß es. Das Gericht ließ einen Kläger abblitzen, der 13 Jahre in die Lebensversicherung eingezahlt hatte, diese aber nachträglich für unwirksam erklären wollte, um mehr Geld von seinem Versicherer zurückzubekommen.
Beim Policenmodell bekam der Kunde die Versicherungsbedingungen erst mit dem Versicherungsschein - der Police - zugeschickt, also wenn er längst unterschrieben hatte. Der Kläger hatte vorgebracht, dass das gegen EU-Recht verstoßen habe. Damit wären alle nach diesem Muster geschlossenen Verträge nachträglich unwirksam. Nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wurden zwischen 1995 und 2008 zwischen 6,7 und 11,8 Millionen Lebensversicherungen pro Jahr abgeschlossen - zumeist nach dem Policenmodell. Seit 2008 müssen die Vertragsbestimmungen und die Geschäftsbedingungen den Kunden vor der Unterschrift ausgehändigt werden.
Die Entscheidung hatte sich abgezeichnet. Die Vorsitzende Richterin Barbara Mayen hatte in der Verhandlung gewarnt, dass eine vermeintlich verbraucherfreundliche Entscheidung des BGHleicht zum Bumerang werden könnte. Millionen Versicherungsverträge könnten dann „unter dem Damoklesschwert stehen“, nicht wirksam zu sein. Das könnte für alle Versicherten ein Problem sein, die an ihren Renten-Verträgen festhalten und diese nicht kündigen wollten
Der abgeblitzte Kläger hatte sich von einer nachträglichen Unwirksamkeit eine höhere Rückzahlung versprochen. Dann nämlich hätte der Versicherer ihm alle gezahlten Beiträge rückerstatten müssen und nicht wie bei einer gewöhnlichen vorzeitigen Kündigung die Verwaltungs- und Vertriebskosten abziehen dürfen. Der Mann hatte 1998 eine Lebensversicherung bei der Zurich Deutscher Herold abgeschlossen. Die 14-tägige Widerspruchsfrist ließ er ungenutzt verstreichen, erst 13 Jahre später erklärte er seinen Widerspruch gegen den Vertrag. Zurich zahlte ihm nur den Rückkaufswert von 12.480 Euro aus - 4640 Euro weniger als die Summe der bis dahin eingezahlten Prämien. Die Differenz verlangte der Mann nun mit seiner Klage zurück, blieb aber erfolglos.
Die niedrigen Zinsen bedrohen die Lebensversicherungen. Der IWF fordert eine Rettung durch die Politik. Weil den Versicherten massive Verluste drohen, könnte nun der Bailout kommen: Eine Umverteilung ist auf der ersten Blick weniger brutal als der glatte Diebstahl (mehr dazu hier).