Das künstliche Blatt kann dafür sorgen, dass der Mensch bald die unendlichen Weiten des Weltraums erkunden kann. Bisher fehlt natürlich auch ein passender Antrieb, der Planeten, wie beispielsweise den Mars, in eine etwas greifbarere Nähe setzt. Aber neben einer schnellen Beförderung ist vor allem mangelnder Sauerstoff ein Problem für die Raumfahrer.
Natürlich gibt es entsprechende Systeme an Bord, die Astronauten mit Sauerstoff versorgen, aber normalerweise sind diese Vorräte endlich. Das bedeutet, die Grundlage zum Atmen wird verbraucht und konnte bis dato nicht im Weltraum hergestellt werden. Das künstliche Blatt, erfunden von Julian Melchiorri, der seinen Abschluss am Royal College of Art in London gemacht, soll diese Problem lösen.
Das Besondere an dem Blatt ist, dass es auch in Schwerelosigkeit funktioniert. Genau das war bisher das größte Hindernis der NASA, denn: „Pflanzen wachsen nicht im schwerelosen Raum“, erklärt Melchiorri. „Die NASA forscht nach unterschiedlichen Möglichkeiten, um Sauerstoff während langen Reisen im Weltall zu produzieren. Das Material könnte uns in die Lage versetzen, den Weltraum viel weiter zu erforschen als bisher.“
Basis für die neue Kreation sind Seidenproteine. Diese bilden das Grundgerüst für die echten Pflanzenzellen. Der Erfinder beschreibt seine Konstruktion folgendermaßen: „Das Material wird direkt aus dem Seidenfaden gewonnen. Es hat beeindruckende Eigenschaften um Moleküle zu stabilisieren. Ich habe Chloroplasten aus Pflanzenzellen extrahiert und diese in das Seidenprotein eingefügt. Das Ergebnis ist das erste Material, das Photosynthese beherrscht und atmet wie ein echtes Blatt“.
Sein Modell ist so einfach, wie genial und klingt vor allem auch so, als ließe es sich relativ leicht replizieren. Das ist wichtig, denn mit einzelnen Blatt kommt ein Astronaut auch nicht weit. Es werden eine Menge dieser Blätter benötigt, um eine ganze Crew auf eine Reise ins All zu schicken.
Das Projekt entstand als Teil eines Kurses für Erfindungen in Design und Ingenieurwesen. Das Seidenlabor der Tufts University im US-amerikanischen Medford im Bundesstaat Massachusetts war ebenfalls daran beteiligt. Das erklärt auch wie die Idee mit dem Seidenprotein zustande kam.
Damit ist das Thema Erkundung des Weltraums einen Schritt näher gerückt. Was sogar noch näher liegt, ist die Blätter tatsächlich auch auf der Erde zu verwenden. Es gibt bereits Pläne, wie ganze Städte neu gestaltet werden könnten, wenn große Gebäude außen eine Schicht dieser künstlicher Sauerstoffproduzenten erhielten.
Auch wenn der ökologische Aspekt im Vordergrund steht, werden sicherlich einige bei dieser Nachricht die Nase rümpfen. Wenn die Menschen dies wirklich wollten, wäre das schon lange umsetzbar. Begrünte Wände sind inzwischen keine Neuheit mehr. Dies ist sicherlich richtig und eine natürliche grüne Lunge in einer Stadt hat auch ihren Reiz. Allerdings hat das synthetische Blatt einen Vorteil, weil es keinen Abfall produziert.
Gewöhnliche Blätter werden braun, fallen ab oder reduzieren zumindest ihre Leistung im Winter. Wenn sie nicht regelmäßig gegossen werden, können sie absterben. Diese Sorgen gibt es mit dem Seidenblatt scheinbar nicht. Solange Wasser und Licht zur Verfügung stehen funktioniert das Blatt – unabhängig von der Jahreszeit. Fraglich ist derzeit aber noch, wie lange die eingebauten Pflanzenzellen überleben, sollten sie nicht gegossen werden.
Und die Ideen gehen sogar noch weiter. Es gibt auch Vorschläge die Seidenblätter mit Klimaanlagen zu kombinieren. So kann in Städten unreine Luft von außen durch diese biologischen Filter geleitet werden und dann Sauerstoff ins Innere von Gebäuden bringen. Das ist nämlich ein weiterer Knackpunkt: Die Blätter brauchen kein Sonnenlicht. Künstliches Licht reicht ihnen für die Photosynthese völlig aus.
Somit ist ein unterirdischer Einsatz genauso möglich, wie ein Einsatz auf anderen Planeten. Melchiorri hat etwas Einmaliges erschaffen, das auch realistisch umgesetzt werden kann. Schließlich gibt es keine Sauerstoff-Lobby oder dergleichen, die diesen Fortschritt aufhalten könnte. Im Vergleich zu alternativen Energiequellen ist das Seidenblatt eine Erfindung auf neutralen Terrain und hat vorerst keine mächtigen Kontrahenten.
Jetzt liegt es nur noch an den Architekten, Städtebauern und Ingenieuren dieses Konzept in die Tat umzusetzen. In ausreichend großer Dimension besteht vielleicht sogar die Möglichkeit die Luftqualität auf dem ganzen Planeten zu verbessern. Anstatt Strafen für zu viel CO2-Ausstoß könnten Unternehmen zukünftig das Geld in eine Neugestaltung ihrer Produktionsstätten stecken. Mit Seidenblätter umhüllte Industriehallen klingen vielleicht etwas weit hergeholt, solange sie aber den Zweck erfüllen, wäre das eine sinnvolle Alternative. Denn nur von gezahlten Strafen entsteht keine bessere Luft.