Die EU-Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise treten am Freitag in Kraft. Die Deutsche Presseagentur meldet, dass dies von EU-Diplomaten am Donnerstag in Brüssel mitgeteilt wurde.
Damit folgt die EU den Vorgaben von Bundeskanzlerin Angela Merkel: Sie hat sich dafür ausgesprochen, die beschlossenen neuen EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland rasch in Kraft treten zu lassen. Zwar gebe es beim Waffenstillstand in der Ostukraine Fortschritte, sagte Merkel am Mittwoch im Bundestag. Aber der Waffenstillstand und die Freilassung von Gefangenen seien nur zwei von zwölf Punkten des zwischen der Ukraine und Russland ausgehandelten Friedensplans. Weil es „Unklarheit“ über die Erfüllung vieler anderer Punkte gebe, sei die Bundesregierung für eine Veröffentlichung und damit Verhängung der Sanktionen.
In der europäischen Wirtschaftselite wird dagegen der Widerstand gegen Merkels an die USA gekoppelte Politik nun auch von führenden Vertretern geäußert: Der österreichische Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl bezeichnete die Sanktionen als Unsinn und kritisierte, dass Merkel die EU-Außenpolitik mit den USA abstimme.
Die Argumente, die Merkel vorbrachte, sind ausgesprochen vage. Die Tatsache, dass die Waffenruhe eingehalten wird - bis vor wenigen Tagen noch eine Condition sine qua non - heute hinfällig. Die Aufklärung des Abschusses von Flug MH17, jener Tragödie, wegen der die ganze Sanktions-Orgie erst begonnen hat - zur Geheimen Verschlusssache erklärt und in der Schublade verschwunden.
Im folgenden die Erklärungen von Merkel am Mittwoch im Bundestag, warum jetzt schnellstens neue Sanktionen in Kraft gesetzt werden müssen, im Wortlaut:
Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht
50. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 10. September 2014
Bundeskanzlerin Angela Merkel:
… Wenn wir in diesen Tagen und gerade in dieser Woche über unsere nationalen Herausforderungen beraten, so tun wir dies in einem stark veränderten internationalen Umfeld. Als wir im vergangenen Jahr die Schwerpunkte der Arbeit unserer Großen Koalition verabredet haben, haben wir überlegt, wie wir das Gedenkjahr 2014 gestalten können, das Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, an den Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren und die Feiern zum Mauerfall vor 25 Jahren. Wie selbstverständlich erschien es uns da, dass die Völker in Europa im 21. Jahrhundert selbst entscheiden, welchen Weg sie einschlagen wollen, dass ihre territoriale Integrität geschützt ist und die Verabredungen über unsere europäische Sicherheitsarchitektur eingehalten werden.
Wie anders verläuft jetzt das Jahr 2014! Aus dem Wunsch der Ukraine, ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, ist ein tiefgreifender Konflikt mit Russland entstanden. Annexion der Krim, Unterstützung der Separatisten in Donezk und Luhansk durch Russland und aktives Eingreifen durch russische Soldaten und Waffenlieferungen sind nur drei Stichpunkte dieser Entwicklung. Angesichts dieses akuten Konflikts sind wir vor die Frage gestellt: Was haben wir aus der Geschichte gelernt? Was sind unsere Antworten in solchen Konfliktfällen heute? Vier Prinzipien leiten dabei unser Handeln: Erstens. Der Konflikt ist nicht militärisch zu lösen. Zweitens. Die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Vereinigten Staaten von Amerika finden gemeinsame Antworten. Drittens. Die Verletzung der territorialen Integrität eines Landes und seine Destabilisierung nehmen wir nicht hin; deshalb verhängen wir Wirtschaftssanktionen. Viertens. Gleichzeitig arbeiten wir fortwährend für eine diplomatische Lösung des Konflikts. Die Tür zu Verhandlungen ist und bleibt offen. In diesen Tagen gilt es, den Zwölf-Punkte-Plan der Präsidenten der Ukraine und Russlands umzusetzen. Waffenstillstand und Freilassung von Gefangenen sind hierbei nur zwei Elemente von zwölf Punkten. Vor allem geht es um eine dauerhafte Überwachung des Waffenstillstands durch die OSZE, den Abzug russischer Soldaten und der Waffen aus der Region sowie die freie Entscheidung der Menschen in Donezk und Luhansk über ihren zukünftigen Status. Das alles gehört zusammen.
Neue Sanktionen wurden durch die Europäische Union beschlossen. Jetzt geht es um die Veröffentlichung und damit um das Inkrafttreten. Ich will für die Bundesregierung sagen: Angesichts der gegebenen Lage, die sicherlich eine Verbesserung im Zusammenhang mit den militärischen Aktivitäten mit sich bringt – es ist keine hundertprozentige Waffenruhe, aber immerhin eine Verbesserung; eine Unklarheit über die Erfüllung vieler der anderen von mir genannten Punkte besteht dennoch –, treten wir dafür ein, dass jetzt eine Veröffentlichung dieser Sanktionen erfolgt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich hoffe, dass hierüber bald entschieden wird. Ich füge hinzu: Wenn die zwölf Punkte wirklich substanziell erfüllt werden, werden wir die Ersten sein, die die neuen Sanktionen wieder aufheben; denn sie sind kein Selbstzweck, sondern werden immer nur verhängt, wenn sie unvermeidlich sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Unser Ziel ist vollkommen klar: Wir unterstützen eine Ukraine, die in Frieden und eigener Selbstbestimmung über ihr eigenes Schicksal entscheiden kann, im Übrigen in guter Nachbarschaft mit Russland. Für uns sind gute Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine sowie zwischen Russland und der Ukraine keine Frage eines Entweder-oder – ich habe das im November vergangenen Jahres hier gesagt –, sondern ein Sowohl- als-auch. Dafür arbeiten wir. Ich weiß sehr wohl, dass der Weg zur Überwindung dieser Krise lang und steinig ist. Wir werden auch Rückschläge erleben. Wir brauchen einen langen Atem. Aber ich bin zutiefst überzeugt: So hart die gegenwärtige Situation auch ist, am Ende wird sich die Stärke des Rechts durchsetzen. Das sollte uns ermutigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Natürlich war die Lage in der Ukraine auch Thema auf dem Nato-Gipfel in Wales in der letzten Woche. Im Sinne unserer Bündnisverpflichtungen gemäß Artikel 5 des Nato-Vertrages wurde dort einmütig der sogenannte Readiness Action Plan beschlossen. Ziel ist eine deutliche Erhöhung der Reaktions- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses als sichtbarer Ausdruck unserer Solidarität gerade mit unseren baltischen und osteuropäischen Bündnispartnern. Deutschland leistet dazu einen Beitrag. Wir erhöhen unseren Bereitschaftsgrad und die Fähigkeiten, indem wir das Multinationale Korps Nordost in Stettin stärken – ein gemeinsamer deutsch-dänisch-polnischer Vorschlag.
Es entspricht unserer Philosophie, dass wir planerisch, logistisch und durch Übungen die Voraussetzungen für eine rasche Verlegung größerer Verbände schaffen und dafür eine Fähigkeit zur regionalen Kooperation mit unseren Partnern aufbauen. Aber es war uns wichtig, dass sich diese Beschlüsse des Gipfels im Rahmen unserer euro-atlantischen Sicherheitsarchitektur bewegen, also auch der Nato-Russland-Grundakte. Die Prinzipien der Nato-Russland-Grundakte, die Sicherheit des euro-atlantischen Raums auf Basis demokratischer Prinzipien und kooperativer Sicherheit, sind nach wie vor grundlegend. Wir hoffen, dass sie eines Tages alle wieder eingehalten werden. Meine Damen und Herren, zeitgleich mit dem Ukraine-Konflikt in Europa mussten wir uns in Wales mit den dramatischen Konflikten in Syrien und im Irak auseinandersetzen …