Politik

Auf Wunsch der USA: Afghanistan wird nun von einem „Chief Executive“ regiert

Wie man einen Staat in ein Unternehmen verwandeln kann, zeigt sich am Beispiel Afghanistans: An der Spitze steht nun kein Präsident mehr, sondern ein „Chief Executive“. Amerikanische und europäische Steuergelder musste die Mutation einer Demokratie zu einem Konzern mit mehreren Billionen Dollar finanzieren. Die Amerikaner haben den Deal vermittelt.
28.09.2014 23:19
Lesezeit: 3 min

Die westlichen Demokratien rechtfertigen die enormen Kriegskosten in Afghanistan damit, dass sie dort eine Demokratie aufbauen. Doch tatsächlich hatten die Wahlen im Land nur wenig Einfluss auf die Bildung der neuen Einheitsregierung. Vielmehr kam die Einigung unter Vermittlung von US-Außenminister John Kerry zustande, welcher der neuen Führung damit drohte, alle Truppen abzuziehen.

Schließlich haben sich die beiden Präsidentschaftskandidaten Abdullah Abdullah und Aschraf Ghani nach monatelangen Machtkämpfen auf die Bildung einer Einheitsregierung geeinigt. Zuvor hatten sowohl Abdullah als auch Ghani den Sieg für sich beansprucht.

Abdullah hatte im April die erste Wahlrunde gewonnen, war aber nicht über 50 Prozent gekommen. Nach der Stichwahl im Juni erklärte die Wahlkommission seinen Konkurrenten Ghani zum Sieger, was Abdullah nicht anerkannte. Er drohte sogar mit der Bildung einer Parallelregierung.

Nach der nun gefundenen Einigung unter Vermittlung der USA wird der Sieger der Stichwahl Ghani neuer afghanischer Präsident. Zudem wird Ex-Außenminister Abdullah ein neu geschaffenes Amt besetzen, das Befugnisse ähnlich denen eines Regierungschefs erhalten soll, berichtet Reuters. Bezeichnenderweise nennt sich der neue Posten „Chief Executive“. Die Verfassung sieht das Amt nicht vor, es wurde einfach geschaffen - obwohl die Bürger einen CEO für ihr Land niemals gewählt hatten.

Nach der Unterzeichnung umarmten sich die beiden Rivalen im Präsidentenpalast. Ein Sprecher des scheidenden Präsidenten Hamid Karsai sagte, dass Ex-Finanzminister Ghani voraussichtlich noch diese Woche als Staatsoberhaupt vereidigt wird.

Die Taliban, die in den vergangenen Wochen wieder vermehrt Anschläge verübt und besonders im Süden und Osten des Landes ihren Einfluss wieder ausgeweitet haben, bezeichneten die neue Einheitsregierung als eine Marionette der USA. In einer E-Mail an Journalisten sagte ein Taliban-Sprecher am Montag:

„Die Amerikaner müssen verstehen, dass unser Boden und unser Land uns gehört und alle Entscheidungen und Abkommen von Afghanen getroffen werden müssen, nicht vom Außenminister oder von der Regierung der USA.“

Die Einsetzung der Einheitsregierung ist ein erneutes Beispiel dafür, wie demokratische Wahlen praktisch ignoriert werden. Rein formal erhalten die beiden Präsidentschaftskandidaten Ghani und Abdullah entscheidende Posten. Tatsächlich hat US-Außenminister Kerry die Einigung hergestellt und dafür gesorgt, dass der starke Einfluss der USA bestehen bleibt.

Nach Berechnungen des DIW Berlin kostete der Bundeswehreinsatz in Afghanistan den deutschen Steuerzahler bereits bis zum Jahr 2010 rund 36 Milliarden Euro. Jedes Jahr erhöhen sich die Kosten um rund 3 Milliarden Euro zusätzlich. Somit liegen die Kosten bis zum Jahresende bereits bei 48 Milliarden Euro.

Für die USA sind die Kosten noch einmal deutlich höher. Laut einer Studie der Harvard Kennedy School zahlen die amerikanischen Steuerzahler für die Kriege in Afghanistan und dem Irak rund 4 bis 6 Billionen Dollar. Diese Summe beinhaltet die Kosten für die medizinische Versorgung verwundeter Veteranen und für die teuren Reparaturen an der Ausrüstung nach mehr als zehn Jahren Krieg.

Den Steuerzahlern in Deutschland, den USA und anderen Staaten wird gesagt, der teure Einsatz des Militärs diene dem Aufbau der Demokratie in Afghanistan. Doch in der Realität ist die staatliche Ordnung dort nur mithilfe des westlichen Militärs aufrecht zu erhalten. Die USA hatten die nun erreichte Einigung zur Bedingung dafür gemacht, dass sie auch nach 2014 Soldaten im Land belässt.

Wenn es den westlichen Regierungen tatsächlich darum gehen sollte, das vermeintliche Erfolgsmodell Demokratie zu verbreiten, dann scheitern sie grandios – wie in Afghanistan, so auch etwa im Irak oder in der Ukraine. In Kiew hat der Westen demokratische Regeln missachtet und eine ihm genehme Regierung eingesetzt, während er das überwältigende demokratische Votum auf der Krim für einen Anschluss an Russland verurteilt.

Auch im Irak ist die Etablierung einer Demokratie durch den Westen eine Farce. Billionen Dollar finanzieren einen inzwischen jahrzehntelangen Krieg, der das Land und seine Einwohner schwer geschädigt hat. Doch der Irak ist wie Afghanistan weit von einem stabilen Frieden entfernt. Denn der Islamische Staat kontrolliert große Teile Syriens und des Iraks und hat dort ein Kalifat ausgerufen.

Afghanistan ist infolge der Stationierung von US-Truppen weltweit führend beim Anbau von Schlafmohn, aus dem Opium gewonnen werden kann – der Hauptbestandteil der Heroin-Produktion. Laut einem Bericht der UN wurde im vergangenen Jahr auf 209.000 Hektar Landfläche Schlafmohn angebaut. Das entspricht in etwa der Größe des Saarlandes.

Vom Drogenhandel profitieren nicht nur die mit US-Hilfe an die Macht gelangten korrupten afghanischen Politiker und ihre Clans, sondern auch große Banken, welche an der Geldwäsche verdienen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Einigung bei historischem Schuldenpaket: Schwarz-rote Grund­ge­setz­än­de­rungen werden grün
14.03.2025

100 Milliarden Sonderschulden für die Grünen und Klimaneutralität bis 2045 im Grundgesetz: Nach zähen Verhandlungen haben Union, SPD...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Du bist mir eine Marke! Der Erfolg von 130 Jahren Falke-Socken
14.03.2025

Franz-Peter Falke leitet das Familienunternehmen im Sauerland in vierter Generation. Zwischen Wahren der Tradition und Wappnen für die...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Betriebsbedingte Kündigung: Was gilt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
14.03.2025

Die andauernde Wirtschaftskrise führt in Deutschland zu immer mehr Firmenpleiten und zunehmenden Stellenabbau bei Unternehmen. Damit...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tesla: Trump-Zölle könnten dem E-Autobauer schaden
14.03.2025

Tesla-Chef Elon Musk gilt als Trump-Unterstützer – doch sein Unternehmen schlägt Alarm. Die Strafzölle der US-Regierung könnten nicht...

DWN
Politik
Politik BSW: neues Wahlergebnis zählt 4.277 Zweitstimmen mehr - trotzdem kein Einzug in den Bundestag
14.03.2025

Das BSW scheitert final am Einzug in den Bundestag: 0,02 Prozent fehlten! Während sich an der Sitzverteilung nichts mehr ändert, treten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Unser neues Magazin ist da: Gesund arbeiten und gesund leben? Die Balance auf der Kippe
14.03.2025

Unsere Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Digitalisierung, Globalisierung und die ständige...

DWN
Unternehmen
Unternehmen BMW-Aktie: Gewinn beim Hersteller BMW sackt ab - die ganz fetten Jahre sind vorbei
14.03.2025

Nach Jahren extremer Erträge geht es für die Autohersteller gerade abwärts. Doch selbst nach den aktuellen Einbrüchen verdienen...

DWN
Politik
Politik Grüne blockieren schwarz-rotes Finanzpaket – Streit um Europas Zukunft
14.03.2025

Die Grünen stellen sich gegen das Finanzpaket von Union und SPD. Fraktionschefin Katharina Dröge fordert, Verteidigungs- und...