Politik

Rückkehr der Geschichte: IWF-Kredite und Ölpreis brachten Sowjetunion zu Fall

Lesezeit: 9 min
22.02.2015 02:53
Die geopolitische Lage in Russland ähnelt verblüffend der Situation der Sowjetunion in den Jahren vor ihrem Zerfall: Die Ölpreise waren gesunken. Der sowjetische Führung wandte sich zuerst an die USA und schließlich an den IWF, um die Situation zu retten. Doch Washington ließ Moskau abblitzen. Der IWF schickte seine radikalen Privatisierungs-Experten. Die einstige Weltmacht kollabierte. Die Folgen bestimmen die Weltpolitik bis heute.
Rückkehr der Geschichte: IWF-Kredite und Ölpreis brachten Sowjetunion zu Fall

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Als Michael Gorbatschow im März 1985 zum letzten Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) ernannt wurde, steckte das größte Land der Erde in seiner bis dahin tiefsten ökonomischen Krise. Zwar hatte die nach der Revolution von 1917 eingeführte Planwirtschaft dem ehemals rückständigen Bauernstaat dazu verholfen, zur Weltmacht aufzusteigen, doch spätestens seit Anfang der achtziger Jahre ging es mit der Sowjetunion bergab. Der Rüstungswettlauf mit den USA hatte während des Kalten Krieges Unsummen verschlungen und der Krieg in Afghanistan riss seit 1979 immer größere Löcher in die Staatskasse. Misswirtschaft und Korruption der Funktionärselite beherrschten das Land. Die Wirtschaft, die den Einzug in das Computerzeitalter verpasst hatte und damit international nicht konkurrenzfähig war, stagnierte bei Gorbatschows Amtsantritt bereits im sechsten Jahr in Folge.

Ein halbes Jahr später verkündete Saudi-Arabien auch noch das Ende der Ölpreisbindung und vervierfachte innerhalb der folgenden sechs Monate seinen Ölausstoß. Der daraus resultierende Preissturz führte in der Sowjetunion, die zur Erwirtschaftung von Devisen von ihren Ölexporten abhing, zu einem Rückgang der Einnahmen in Höhe von 20 Milliarden Dollar pro Jahr.

Gorbatschow versuchte zunächst, die Probleme auf seine Verbündeten abzuwälzen. Er erhöhte die Einfuhren aus dem Ostblock, bezahlte die gelieferten Waren aber nicht mit Geld, sondern zwang die Satellitenstaaten der Sowjetunion, ihm sowjetisches Öl im Austausch für deren Waren zu weit über dem Marktwert liegenden Preisen abzunehmen. Außerdem machte er immer größere Zugeständnisse an den Kapitalismus. Er ermöglichte Joint Ventures (gemeinsame Unternehmen zwischen sowjetischen Staatskonzernen und westlichen Unternehmen), gestattete den 50 beteiligten Funktionären die Einbehaltung eines Gewinnanteils und versuchte, die sowjetische Wirtschaft mittels umfangreicher Kredite aus dem Ausland zu stützen – mit dem Ergebnis, dass die Staatsverschuldung zunahm und Ende 1989 den Höchststand von 54 Milliarden Dollar erreichte.

Als ein Appell an ein internationales Konsortium von dreihundert Banken, der Sowjetunion einen dringend benötigten Großkredit zu bewilligen, abgelehnt wurde und selbst der Anstieg der Weltmarktpreise für Öl infolge der Krise am Persischen Golf der Sowjetunion nicht mehr auf die Beine half, wandte sich Gorbatschow im Juli 1990 auf dem Gipfel der G7 (Gruppe der Sieben = die sieben führenden Industrieländer von 1976 bis 1998) hilfesuchend an US-Präsident Bush. Vergebens, denn Bush hatte angesichts des nicht mehr zu übersehenden Zerfalls aller nicht-kapitalistischen Länder längst einen eigenen Plan gefasst. Da die G7 die Europäische Union beauftragt hatten, sich um Osteuropa zu kümmern, schaltete er seinerseits den IWF ein und erteilte ihm und der Weltbank den Auftrag, eine Studie über die sowjetische Wirtschaft zu erstellen.

IWF-Direktor Michel Camdessus, der von 1978 bis 1984 den Pariser Club und danach drei Jahre lang als Gouverneur die französische Zentralbank geleitet hatte, schickte umgehend Teams neoliberaler Ökonomen nach Moskau, um sich vor Ort umzuschauen und von den Funktionären aller wichtigen sowjetischen Finanzinstitutionen Informationen einzuholen. Nach fünfmonatiger Recherche wurde das Ergebnis am 19. Dezember 1990 bekannt gegeben. Es ließ nicht den Hauch eines Zweifels daran, welchen Weg Bush und der IWF für die Sowjetunion vorgesehen hatten: die radikale Transformation in ein kapitalistisches Land durch ein Schockprogramm nach chilenischem Vorbild.

In Abschnitt 7 hieß es: „Die Anfangsphase wird erhebliche Verwerfungen mit sich bringen und ein Übergang zu Marktpreisen wird jene mit niedrigem Einkommen treffen.“

Während die US-Regierung und die Führung des IWF ihre Vorbereitungen für die Durchsetzung dieses Schockprogramms trafen, verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage der Sowjetunion weiter. Finanznot und mangelnde Investitionen ließen die Ölexporte bis zum März 1991 von 125 Millionen Tonnen um mehr als 50 Prozent auf 60 Millionen Tonnen zurückgehen. Auch die politische Lage eskalierte. Im Januar 1991 ließ Gorbatschow die Unabhängigkeitsbestrebungen der baltischen Staaten blutig niederschlagen – drei Monate, nachdem ihm der Friedensnobelpreis verliehen worden war. Im März und April 1991 streikten die Kohlearbeiter in Sibirien, es kam zum Ausfall von mehr als zwei Millionen Arbeitstagen. Zudem gewann mit Boris Jelzin einer von Gorbatschows schärfsten politischen Widersachern zunehmend an Bedeutung. Der langjährige Parteichef von Swerdlowsk, der 1990 aus der KPdSU ausgetreten war, verfolgte offen einen rechten, marktorientierten Kurs. Sein unaufhaltsamer Aufstieg veranlasste Gorbatschow am 9. April 1991 in die Offensive zu gehen und ein „Anti-Krisen-Programm“ vorzulegen, das „ein vollständig marktgerechtes Preissystem“ versprach und die Dezentralisierung des Außenhandels so wie die Privatisierung „verlustmachenden“ Unternehmen vorsah.

Mit der Entscheidung, die Vergesellschaftung der Betriebe zu beenden, das staatliche Außenhandelsmonopol aufzuheben und das Privateigentum an den Produktionsmitteln wieder einzuführen, besiegelte Gorbatschow nicht nur das Schicksal der Sowjetunion. Er entzog auch der „Nomenklatura“ – der herrschenden Schicht von Parteibürokraten, der er selbst angehörte – ihre soziale Grundlage, da deren Privilegien untrennbar mit den bürokratischen Strukturen der Planwirtschaft verknüpft waren. Gorbatschow ebnete somit den Weg für eine neue besitzende Klasse, die in seinem Widersacher Boris Jelzin bereits ihren wichtigsten Wegbereiter gefunden hatte und die als Kaste der „Oligarchen“ in die Geschichte eingehen sollte.

Während Politiker und Wissenschaftler in aller Welt den „endgültigen Sieg der Markwirtschaft über den Sozialismus“ verkündeten und sich zu Aussagen wie dem „Ende der Geschichte“ (so der US-Soziologe Francis Fukuyama) hinreißen ließen, hielt sich der IWF weiterhin auffällig zurück. Hatte er Entwicklungsländer zuvor gar nicht schnell genug mit Krediten in seine Abhängigkeit bringen können, ließ er sich diesmal viel Zeit. Das hatte seinen Grund: Zum einen gab es in der ehemaligen Sow jetunion noch keine funktionierenden staatlichen Institutionen, die den Schutz des Privateigentums garantieren konnten, und zum anderen war noch nicht abzusehen, wie viel Widerstand die arbeitende Bevölkerung gegen die angekündigten Reformen leisten würde.

Am 19. August 1991 kam es in Moskau zu einem Putsch konservativer Hardliner gegen Gorbatschow, der zwar nach drei Tagen scheiterte und mit seiner Rückkehr ins Amt endete, seine Schwäche und seinen mangelnden Rückhalt in der Bevölkerung aber mehr als deutlich machte. Nutznießer war Boris Jelzin, dessen Macht zusehends wuchs und der vom IWF nun einem Eignungstest ganz besonderer Art unterzogen wurde: Da einige sowjetische Funktionäre sich negativ über das inzwischen bekannt gewordene Schockprogramm geäußert hatten, ließ der IWF auf seiner Jahrestagung in Bangkok erklären, dass er auf der Rückzahlung aller sowjetischen Schulden beharre und erwarte, dass die Sowjetrepubliken diese durch die Beseitigung aller Subventionen für Industrie und Landwirtschaft und tiefe Einschnitte im Verteidigungsetat ermöglichten. Jelzin verstand die Botschaft, reagierte umgehend und ersetzte den IWF-kritischen Premier Silajew durch Jegor Gaidar, einen zum Verehrer Milton Friedmans und seiner Chicago Boys mutierten ehemaligen Wirtschaftsredakteur der Prawda.

Gaidar fackelte nicht lange, sondern setzte die Anweisungen des IWF sofort um – mit dem Ergebnis, dass sich der wirtschaftliche Zerfall der Sowjetunion weiter beschleunigte. Bis zum Ende des Jahres fielen die industrielle Produktion um 8 Prozent und das Bruttoinlandsprodukt um 17 Prozent. Von den 237 staatsfinanzierten Bauprojekten, die für dieses Jahr geplant waren, wurden nur drei fertiggestellt. Die Importe aus den Satellitenstaaten brachen um 63 Prozent ein, die Exporte in diese Länder um 57 Prozent. Importe aus kapitalistischen Ländern fielen um 32 Prozent. Ein katastrophales Ernteergebnis und die Rationierung von Lebensmitteln im November und Dezember 1991 besiegelten schließlich Gorbatschows Ende. Der letzte Sekretär der KPdSU trat am 25. Dezember 1991 von seinem Amt zurück. Am 31. Dezember 1991 hörte die Sowjetunion formell auf zu existieren, am 2. Januar 1992 hatte der IWF sein Ziel erreicht: Russland trat unter der Führung von Boris Jelzin und Jegor Gaidar offiziell in die Ära der wirtschaftlichen „Schocktherapie“ ein.

Moskauer Statthalter des IWF wurde Augusto Lopez-Claros. Der neoliberale Wirtschaftswissenschaftler hatte von 1982 bis 1984 während der Pinochet-Diktatur als Ökonomie-Professor an der Universität von Chile in Santiago und Chef eines Forschungsteams für das chilenische Gesundheitsministerium Erfahrungen in der Durchsetzung knallharter Reformen gegen die arbeitende Bevölkerung gesammelt. Sein Verständnis von einem „Übergang vom Totalitarismus zur Demokratie“ – so der Titel einer 1994 von Lopez-Claros gehaltenen Vorlesung – führte in der ehemaligen Sowjetunion zu einer Senkung des Lebensstandards, wie sie das Land selbst im Ersten und Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hatte.

Allein im ersten Jahr verteuerten sich Grundnahrungsmittel, die bis dahin staatlich subventioniert worden waren, um ein Vielfaches. Der Preis für Eier stieg um 1.900 Prozent, der von Brot um 4.300 Prozent und der von Milch um 4.800 Prozent. In den folgenden vier Jahren sank das russische Bruttosozialprodukt um durchschnittlich 42 Prozent, die industrielle Produktion ging um 46 Prozent und die landwirtschaftliche Produktion um 32 Prozent zurück. Die zunächst überaus zurückhaltende Kreditvergabe des IWF führte dazu, dass sich die russische Regierung das fehlende Geld bei der eigenen Zentralbank besorgte. Das wiederum heizte eine Hyperinflation von über 1000 Prozent an, die die Sparguthaben der arbeitenden Bevölkerung vernichtete und immer mehr Menschen unter die Armutsgrenze drückte.

Das Missverhältnis zwischen dem Anstieg der Preise für landwirtschaftliche Maschinen, Dünger und Pestizide zwischen 1991 und 1994 um mehr als das 520-Fache und der gleichzeitigen Erhöhung der Preise land- wirtschaftlicher Produkte um das 90-Fache bewirkte eine Landflucht, die zwischen 1991 und 2003 zu der Entvölkerung von 17.000 Siedlungen führte.

Die parallel erfolgende radikale Öffnung des Marktes für ausländische Waren eröffnete westlichen Großkonzernen gewaltige Absatzmöglichkeiten und führte wegen der mangelnden Konkurrenzfähigkeit der heimischen Produktion zum massenhaften Untergang kleiner Betriebe. Die Privatisierung großer Staatskonzerne verschaffte einer winzigen Schicht ehemaliger Funktionäre aus Staats- und Wirtschaftsbürokratie die Gelegenheit, sich auf zweifache Weise zu bereichern: Zum einen lösten sie nicht konkurrenzfähige Betriebe auf und kassierten dafür schnelle Zerschlagungsgewinne, zum anderen eigneten sie sich – vor allem in den Bereichen Energie, Telekommunikation und Buntmetalle – einen gewaltigen Anteil des ehemaligen Volksvermögens an und akkumulierten auf diese Weise Milliarden.

Nach Schätzung der New York Times sorgten die so zu Oligarchen gewordenen Ex-Funktionäre in den Jahren von 1993 bis 1998 dafür, dass 200 bis 500 Milliarden US-Dollar außer Landes geschafft und damit der russischen Wirtschaft entzogen wurden. Selbst hohe US-Regierungsbeamte sprachen von einer „Plünderung“ der Sowjetunion. Was auf der einen Seite zu wachsender Staatsverschuldung und dadurch zu einer immer größeren Abhängigkeit von internationalen Finanzinstitutionen wie dem IWF, dem Pariser und dem Londoner Club führte, ließ auf der anderen Seite das internationale Finanzkapital jubeln – schließlich wanderte das Geld nicht irgendwohin, sondern direkt auf die Konten westlicher Banken, denen es gewaltige Profite bescherte.

Am härtesten traf die Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft die schwächsten Glieder der gesellschaftlichen Kette – Arme, Alte, Behinderte und Kinder. Renten konnten häufig über Monate hinweg nicht ausgezahlt werden, eine flächendeckende medizinische Versorgung der Bevölkerung war wegen der rücksichtslosen Kommerzialisierung des Gesundheitswesens nicht mehr gewährleistet. Medikamente verteuerten sich derart, dass selbst städtische Normalverdiener sie nicht mehr kaufen konnten. Zwischen 1991 und 1994 nahm die Anzahl tödlich verlaufen- der Tuberkulose-Erkrankungen um 87 Prozent zu. Zwischen 1989 und 1995 sank die Lebenserwartung von Männern von 63,3 auf 58,4 Jahre und diejenige von Frauen von 74,4 auf 72,1 Jahre.

Im gleichen Zeitraum ging die Geburtenrate um 30 Prozent zurück. Die Gesamtbevölkerung Russlands nahm innerhalb von 12 Jahren um fast 10 Millionen auf 142 Millionen Menschen ab. Alkoholismus, psychische Erkrankungen, Kriminalität und Obdachlosigkeit griffen in nie gekanntem Maße um sich. Sozialleistungen wie Kinderbetreuungseinrichtungen und Kinderbeihilfen, die in der Sowjetunion allen zugänglich gewesen waren, wurden abgebaut. Viele Eltern waren nicht mehr in der Lage, sich um ihre Kinder zu kümmern. Jugendliche wurden gezwungen, sich zu prostituieren, in den Großstädten tauchten immer mehr „Straßenkinder“ auf – Phänomene, die selbst in den schlimmsten Kriegszeiten der Sowjetunion unbekannt gewesen waren.

Die Versprechen, mit denen der Bevölkerung der ehemaligen Sowjetunion das Schockprogramm präsentiert worden war, wirken im Nachhinein fast wie ein makabrer Scherz. Nach einer kurzen Phase der Einschränkung werde die Einführung des Kapitalismus zu nie gekanntem Wohlstand führen, hatte der IWF noch 1992 vorausgesagt. In Wahrheit führten die Verelendung der arbeitenden Bevölkerung und der vom internationalen Kapital begünstigte Aufstieg einer Schicht extrem wohlhabender Neureicher zu einer sozialen Ungleichheit, wie sie das Land selbst in den dunkelsten Zeiten des Zarismus nicht gekannt hatte. Noch haarsträubender war die Art und Weise, wie die internationalen Medien den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Niedergang des Landes vor der Weltöffentlichkeit rechtfertigten – als notwendige Phase, die der „Demokratisierung“ und der „Liberalisierung“ eines bis dahin totalitären Landes den Weg bereiten würde.

Wie sehr dem IWF und der US-Regierung die Entwicklung demokratischer Verhältnisse in der Sowjetunion am Herzen lag, zeigte sich 1993, als Boris Jelzin nach einer kurzen Phase der Doppelherrschaft eine neue Verfassung durchsetzen wollte. Nachdem das Parlament seinen Entwurf abgelehnt und ihn als Präsidenten für abgesetzt erklärt hatte, ließ Jelzin Panzer auffahren und das Parlamentsgebäude in Brand schießen. Das folgende Blutbad, bei dem nach Regierungsangaben 187 Menschen ihr Leben verloren und 437 verletzt wurden, veranlasste die G7 keinesfalls, dem Auftraggeber des Blutbades in Aussicht gestellte Kredite in Höhe von 43,4 Milliarden US-Dollar zu entziehen. Auch den IWF ließ Jelzins mörderisches Vorgehen kalt. Sein Systemtransformationskredit in Höhe von 3 Milliarden US-Dollar half mit, die Position eines Präsidenten zu festigen, der sich über die Verfassung hinweggesetzt und mit nackter Gewalt diktatorische Vollmachten gesichert hatte.

Es sollte aber noch schlimmer kommen. 1994 begann Jelzin einen Krieg gegen Tschetschenien, der innerhalb von zwei Jahren 80.000 Tote forderte. Selbst Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung oder die Belagerung der Hauptstadt Grosny, bei der im Januar 1994 25.000 Menschen ihr Leben verloren, hielten den IWF nicht davon ab, Jelzin in den Jahren 1994, 1995 und 1996 weitere Kredite in Höhe von 1,5 Milliarden, 6,4 Milliarden und 18,9 Milliarden Dollar zu gewähren. Und damit nicht genug: Der IWF nutzte sogar den Gegenwind, der Jelzin zu jenem Zeitpunkt wegen des Krieges innenpolitisch entgegenschlug, um die Auszahlung des Geldes unter anderem an eine weitere Liberalisierung des Handels, eine Erhöhung der Steuern und scharfe Einschnitte in das Rentensystem des Landes zu koppeln. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen ging es dem IWF (wie auch den westlichen Regierungen) niemals darum, die Sowjetunion zu „demokratisieren“ oder ihrer Bevölkerung durch eine Radikalkur zu größerem Wohlstand und mehr Freiheit zu verhelfen. Ausschließliches Ziel der Politik des IWF war es, alle Barrieren für das internationale Finanzkapital niederzureißen und ihm die Möglichkeit zu verschaffen, sich die Reichtümer des Landes unter den Nagel zu reißen, billige Arbeitskräfte auszubeuten und durch Währungsspekulation, Kreditvergabe und kurzfristige Investitionen Milliarden zu scheffeln.

Das Ergebnis: Sagenhafte Vermögen für eine winzige Schicht von ultrareichen Profiteuren und ein Leben in opulentem Luxus für eine Minderheit von Emporkömmlingen. Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung dagegen geringere Lebenserwartung, unzureichende medizinische Versorgung, mangelhafte Bildungschancen, ein Leben an oder unter der Armutsgrenze und vor allem: die Zerstörung all ihrer Hoffnungen auf eine bessere Zukunft.

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Naomi Klein hat die gefürchtete "Schocktherapie" des IWF gegen Russland bereits 2007 in einem sehr aufschlussreichen Vortrag erläutert. Die Geschehnisse seither geben Klein in weiten Teilen recht (Video am Anfang des Artikels).

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Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem hervorragenden Buch von Ernst Wolff, „Weltmacht IWF. Chronik eines Raubzugs“. In seinem bis zur letzten Seite fesselnden Buch schildert der Journalist Ernst Wolff, welche dramatischen Folgen die Politik des IWF für die globale Gesellschaft und seit Eintreten der Eurokrise auch für Europa und Deutschland hat. Denn die Vergabe von Krediten durch den IWF hat den Verlust der wirtschaftspolitischen Unabhängigkeit in den Staaten zur Folge: Auf der einen Seite fördert diese Praxis Hunger, Armut, Seuchen und Kriege, auf der anderen begünstigt sie eine winzige Gruppe von Super-Reichen. Wolff zeigt, dass der IWF zu einer heimlichen Weltmacht geworden ist, dessen Eingreifen die politische Landschaft in der Welt einschneidend verändert.

Das Buch kann hier beim Verlag, bei Amazon oder im Buchhandel bestellt werden.

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Ernst Wolff, 69, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen internationaler Politik und globaler Finanzwirtschaft.


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