Dass Deutschland seine Partner im Dienste der USA ausspioniert habe, sorgt vor allem in Brüssel für Erregung. Die Erregung eines Mannes entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Es grenzt an Heuchelei, dass ausgerechnet EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der Spionage-Affäre um den Bundesnachrichtendienst von Deutschland Aufklärung fordert. Juncker sagte am Donnerstag in Brüssel: «Das muss von den deutschen Behörden, auch den parlamentarischen, geklärt werden. Und dann werden wir sehen.»
Juncker antwortete auf die Frage, ob er dem Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel zustimme, wonach Ausspähen unter Freunden gar nicht gehe, knapp mit: «Ja.» Zudem fügte der Kommissionspräsident hinzu, dass er nicht über Geheimdienst-Informationen verfüge über das, was in Deutschland vor sich gegangen sei. «Somit wäre es unverantwortlich, darauf eine eindeutige Antwort zu geben. Ich weiß nicht, was geschehen ist.»
Junckers Betroffenheit grenzt an Heuchelei. Man muss ihm allerdings zugute halten, dass er stets auch für eine Portion Selbstironie zu haben ist.
Juncker konnte nichts dazu sagen, ob auch die EU-Kommission ausspioniert wurde. Er kommentierte die Vorwürfe jedoch mit vielsagender Zweideutigkeit: «Ich weiß nicht, ob deutsche Agenten hier aktiv sind.» Der ehemalige Luxemburger Regierungschef fügte hinzu, er wisse aus persönlicher Erfahrung, dass es sehr schwierig sei, die Geheimdienste unter Kontrolle zu halten. «Ich bin ja eine Art Spezialist für Geheimdienste», sagte Juncker.
Juncker selbst ist über eine Spitzelaffäre in Luxemburg gestolpert. 2013 war Junckers Regierung in Luxemburg an einer Geheimdienst-Affäre zerbrochen. Er ist ein enger Freund von Helmut Kohl, welcher von Merkel aus der CDU entfernt wurde. Juncker hat sich nach seinem Sturz in Luxemburg etwas gelangweilt auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten begeben. Immerhin kann er dort Vergangenheitsbewältigung in der ersten Reihe betreiben: Luxemburg hat Konzernen jahrelang geholfen, Steuern zu sparen. Juncker sagte, er habe den Geheimdienst-Machenschaften nichts gewusst. Elegant versuchte er bei seinem Rücktritt im Juli 2013. seine Verdienste um die Euro-Rettung als Begründung zu verwenden, um sich von jeder Verantwortung für das Treiben der Geheimdienste bei der sogenannten Bombenleger-Affäre - in einem interessanten Dossier vom Luxemburger Wort aufgearbeitet - und ihrer möglichen Deckung durch die Politik zu entziehen: Juncker sagte damals: "Der Geheimdienst war nicht meine erste politische Priorität. Und ich wünsche unserem Land keinen Premierminister, für den der Geheimdienst das Wichtigste ist."
Juncker ist in Europa zu einiger Bekanntheit gelangt, weil er gesagt hat, dass man lügen müsse, wenn es ernst würde. Der Wahrheitsgehalt seiner Aussagen ist daher naturgemäß stets schwer einzuschätzen.
Die Regierung in Paris hielt sich zunächst bedeckt. Französische Medien sprachen aber von einer möglichen Belastung des Verhältnisses zu Deutschland.
Nach Berichten von «Süddeutscher Zeitung», NDR und WDR nutzte die NSA die Abhörstation des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Bad Aibling zum Ausspähen hochrangiger Beamter des französischen Außenministeriums, des Präsidentenpalastes in Paris und der EU-Kommission in Brüssel.
In Regierungskreisen wird der Affäre nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur inzwischen eine große politische Dimension zugemessen. Personelle Konsequenzen von Verantwortlichen bei BND und Regierung wurden nicht ausgeschlossen.
Vor einer Woche waren erste Vorwürfe ans Licht gekommen, wonach der BND der NSA über Jahre half, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen. Die NSA lieferte dem BND demnach für die Überwachung des Datenverkehrs von Bad Aibling aus viele Suchmerkmale (Selektoren) - wie etwa Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern - zu Zielen in Europa. Der BND informierte das Kanzleramt über unzulässige Spähversuche der Amerikaner bereits vor Jahren. Doch erst als der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte, stellte die Regierung intensivere Nachforschungen an und weiß seit März detaillierter Bescheid. Das genaue Ausmaß der Affäre ist aber noch unklar.
Die «Süddeutsche Zeitung» berichtete, es gehe im Kern um politische Ausspähung von europäischen Nachbarn und von EU-Institutionen. Deutsche Politiker seien nicht unter den Spähzielen, deutsche Unternehmen sollen ebenfalls nicht nennenswert betroffen sein.
Die Linke forderte eine Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Linksfraktionsvize Jan Korte sagte, Merkel müsse erklären, ob und wie sie die deutsch-französische Freundschaft erhalten wolle und was sie gegen die Ausspähung zu tun gedenke.
Auch die Grünen forderten Aufklärung von der Regierung. Viel peinlicher könne es für das Kanzleramt und Merkel kaum mehr werden, wenn tatsächlich «ihre besten politischen Freunde in Paris» mit Hilfe des BND ausspioniert worden seien, sagte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele dem Sender n-tv.