Politik

Duett der Heuchler: Spitzel-Experte Juncker attackiert Merkel wegen Spitzelei

EU-Präsident Jean-Claude Juncker ist empört, dass die Bundesregierung ihre Geheimdienste nicht im Griff hat und sie ausschickt, um die Freunde in Paris und Brüssel auszuspionieren. Die Erregung Juncker ist ausgesprochen amüsant: Er hatte als Premier Luxemburgs zurücktreten müssen, weil er die Geheimdienste im eigenen Land nicht im Griff hatte.
30.04.2015 17:08
Lesezeit: 3 min

Die Spionageaffäre um den BND und den US-Geheimdienst NSA weitet sich aus und bringt die Bundesregierung zunehmend in Erklärungsnot gegenüber europäischen Partnern.

Dass Deutschland seine Partner im Dienste der USA ausspioniert habe, sorgt vor allem in Brüssel für Erregung. Die Erregung eines Mannes entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Es grenzt an Heuchelei, dass ausgerechnet EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der Spionage-Affäre um den Bundesnachrichtendienst von Deutschland Aufklärung fordert. Juncker sagte am Donnerstag in Brüssel: «Das muss von den deutschen Behörden, auch den parlamentarischen, geklärt werden. Und dann werden wir sehen.»

Juncker antwortete auf die Frage, ob er dem Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel zustimme, wonach Ausspähen unter Freunden gar nicht gehe, knapp mit: «Ja.» Zudem fügte der Kommissionspräsident hinzu, dass er nicht über Geheimdienst-Informationen verfüge über das, was in Deutschland vor sich gegangen sei. «Somit wäre es unverantwortlich, darauf eine eindeutige Antwort zu geben. Ich weiß nicht, was geschehen ist.»

Junckers Betroffenheit grenzt an Heuchelei. Man muss ihm allerdings zugute halten, dass er stets auch für eine Portion Selbstironie zu haben ist.

Juncker konnte nichts dazu sagen, ob auch die EU-Kommission ausspioniert wurde. Er kommentierte die Vorwürfe jedoch mit vielsagender Zweideutigkeit: «Ich weiß nicht, ob deutsche Agenten hier aktiv sind.» Der ehemalige Luxemburger Regierungschef fügte hinzu, er wisse aus persönlicher Erfahrung, dass es sehr schwierig sei, die Geheimdienste unter Kontrolle zu halten. «Ich bin ja eine Art Spezialist für Geheimdienste», sagte Juncker.

Juncker selbst ist über eine Spitzelaffäre in Luxemburg gestolpert. 2013 war Junckers Regierung in Luxemburg an einer Geheimdienst-Affäre zerbrochen. Er ist ein enger Freund von Helmut Kohl, welcher von Merkel aus der CDU entfernt wurde. Juncker hat sich nach seinem Sturz in Luxemburg etwas gelangweilt auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten begeben. Immerhin kann er dort Vergangenheitsbewältigung in der ersten Reihe betreiben: Luxemburg hat Konzernen jahrelang geholfen, Steuern zu sparen. Juncker sagte, er habe den Geheimdienst-Machenschaften nichts gewusst. Elegant versuchte er bei seinem Rücktritt im Juli 2013. seine Verdienste um die Euro-Rettung als Begründung zu verwenden, um sich von jeder Verantwortung für das Treiben der Geheimdienste bei der sogenannten Bombenleger-Affäre - in einem interessanten Dossier vom Luxemburger Wort aufgearbeitet - und ihrer möglichen Deckung durch die Politik zu entziehen: Juncker sagte damals: "Der Geheimdienst war nicht meine erste politische Priorität. Und ich wünsche unserem Land keinen Premierminister, für den der Geheimdienst das Wichtigste ist."

Juncker ist in Europa zu einiger Bekanntheit gelangt, weil er gesagt hat, dass man lügen müsse, wenn es ernst würde. Der Wahrheitsgehalt seiner Aussagen ist daher naturgemäß stets schwer einzuschätzen.

Die Regierung in Paris hielt sich zunächst bedeckt. Französische Medien sprachen aber von einer möglichen Belastung des Verhältnisses zu Deutschland.

Nach Berichten von «Süddeutscher Zeitung», NDR und WDR nutzte die NSA die Abhörstation des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Bad Aibling zum Ausspähen hochrangiger Beamter des französischen Außenministeriums, des Präsidentenpalastes in Paris und der EU-Kommission in Brüssel.

In Regierungskreisen wird der Affäre nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur inzwischen eine große politische Dimension zugemessen. Personelle Konsequenzen von Verantwortlichen bei BND und Regierung wurden nicht ausgeschlossen.

Vor einer Woche waren erste Vorwürfe ans Licht gekommen, wonach der BND der NSA über Jahre half, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen. Die NSA lieferte dem BND demnach für die Überwachung des Datenverkehrs von Bad Aibling aus viele Suchmerkmale (Selektoren) - wie etwa Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern - zu Zielen in Europa. Der BND informierte das Kanzleramt über unzulässige Spähversuche der Amerikaner bereits vor Jahren. Doch erst als der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte, stellte die Regierung intensivere Nachforschungen an und weiß seit März detaillierter Bescheid. Das genaue Ausmaß der Affäre ist aber noch unklar.

Die «Süddeutsche Zeitung» berichtete, es gehe im Kern um politische Ausspähung von europäischen Nachbarn und von EU-Institutionen. Deutsche Politiker seien nicht unter den Spähzielen, deutsche Unternehmen sollen ebenfalls nicht nennenswert betroffen sein.

Die Linke forderte eine Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Linksfraktionsvize Jan Korte sagte, Merkel müsse erklären, ob und wie sie die deutsch-französische Freundschaft erhalten wolle und was sie gegen die Ausspähung zu tun gedenke.

Auch die Grünen forderten Aufklärung von der Regierung. Viel peinlicher könne es für das Kanzleramt und Merkel kaum mehr werden, wenn tatsächlich «ihre besten politischen Freunde in Paris» mit Hilfe des BND ausspioniert worden seien, sagte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele dem Sender n-tv.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Tenbagger-Aktien 2025: Wie Sie mit den richtigen Aktien zehnmal so reich werden – oder alles verlieren
18.08.2025

Sie träumen von der Verzehnfachung Ihres Investments? Dann sollten Sie wissen, was Tenbagger-Aktien sind, warum oft mehr Glückspiel als...

DWN
Finanzen
Finanzen Rheinmetall-Aktie klettert: Geopolitik treibt den Kurs, doch charttechnische Risiken bleiben
18.08.2025

Die Rheinmetall-Aktie sorgt erneut für Schlagzeilen: Politische Spannungen und charttechnische Marken bewegen den Kurs. Während...

DWN
Politik
Politik Kapitalmacht und Demokratie: Wer bestimmt die Richtung?
18.08.2025

In Budapest, Washington und Moskau verschmelzen wirtschaftliche Macht und politischer Einfluss in rasantem Tempo, mit tiefgreifenden Folgen...

DWN
Technologie
Technologie Bayern startet 2026 Testbetrieb von Wasserstoffzügen – sinnvoll oder nur teuer?
18.08.2025

Ab 2026 sollen in Bayern weitere Wasserstoffzüge rollen. Während die Politik Chancen sieht, bleibt Skepsis bestehen. Testbetrieb und...

DWN
Finanzen
Finanzen Novo Nordisk-Aktie: FDA-Zulassung für Wegovy bringt Aufschwung - ist das die Trendwende?
18.08.2025

Die Novo Nordisk-Aktie erlebt nach einer FDA-Zulassung für Wegovy neuen Auftrieb. Anleger wittern Chancen, doch Unsicherheiten bleiben....

DWN
Finanzen
Finanzen DAX aktuell stabil: Leitindex bleibt in Reichweite des Rekordhochs
18.08.2025

Der DAX-Kurs zeigt sich zum Handelsstart am Montag stabil, das Rekordhoch bleibt weiterhin in Reichweite. Doch politische Unsicherheiten,...

DWN
Politik
Politik Selenskyj bei Trump: Weg zu einem Abkommen für die Ukraine?
18.08.2025

Selenskyj bei Trump: In Washington treffen sich politische Gegensätze. Während Putin Druck aufbaut, sucht der US-Präsident nach einem...

DWN
Politik
Politik Wadephul in Japan: Ausbau der Partnerschaft zwischen Berlin und Tokio
18.08.2025

Wadephul in Japan wirft ein Schlaglicht auf die wachsende Partnerschaft zwischen Berlin und Tokio. Unternehmer blicken gespannt auf neue...