Politik

USA gegen Russland: Europäer verlieren die Kontrolle über ihren Kontinent

Lesezeit: 4 min
18.05.2015 03:05
Europa gerät zwischen die Fronten. Die USA und Russland dehnen ihre Einfluss-Sphären auf dem Kontinent aus. Das Prinzip: Zuerst lässt man kämpfen, dann teilt man auf. Nach der Ukraine versinkt Mazedonien im Chaos. Die EU ist machtlos, weil ihr die Nato die Außenpolitik diktiert. „Fuck the EU“ wird zum gemeinsamen Motto der Großmächte.
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Die US-Sonderbeauftragte Victoria Nuland ist in Moskau eingetroffen. Auf einem Twitter-Foto gesteht der US-Botschafter in Moskau, dass er eine Vorliebe für russische Süßspeisen hat, wie die staatliche russischen Agentur TASS zufrieden meldet. Das ist reichlich kokett für einen angeblich „geächteten“ Staat. Nuland wird mit ranghohen russischen Spitzendiplomaten zusammentreffen. Die Diplomatin war zuvor in Kiew gewesen und hatte angekündigt, die Amerikaner wollen sich ab sofort direkt an den Verhandlungen über die Zukunft des Donbass beteiligen und die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen selbst überwachen. Nuland, die mit ihrem Spruch „Fuck the EU“ zu Beginn des Umsturzes in Kiew berühmt geworden ist, traut den europäischen Partnern nicht. Angela Merkel ist wegen der Spionage-Affäre geschwächt – das haben auch die Amerikaner bemerkt. Schon vor Nulands Moskau-Reise war US-Außenminister John Kerry mit Präsident Wladimir Putin zusammengetroffen, um sich in Fragen der Weltpolitik mit den Russen abzustimmen.

Man kann vermutlich nicht von einer Entspannung sprechen. Doch es ist unübersehbar, dass Russland und die USA im Grunde dieselbe Strategie verfolgen: Beide Großmächte versuchen, ihre jeweilige Einflusssphäre auszuweiten. Europa ist wegen des riesigen Energiemarktes der aktuelle Schauplatz: Die Amerikaner wollen ihre Fracking-Technologie exportieren. Die Russen wollen ihre Gas-Exporte sichern. Es ist ein Kampf auf Augenhöhe, bei dem am Ende vielleicht keiner der beiden Kontrahenten ein Monopol erhalten wird. Aber auch mit einem Duopol können beide gut Geld verdienen. Die Energiewende der Deutschen ist ebensowenig ein Exportschlager wie die französische Nuklear-Technologie. Russland und die USA sehen Europa nicht als gleichwertigen Partner.

Die Ausdehnung erfolgt einer geschickten Mischung aus PR, Unruhe, Agitation und Abhängigkeit. In Kiew haben die Amerikaner gezündelt und die Russen haben reagiert. Keine der beiden Großmächte hat nur eine Sekunde daran gedacht, sich nicht einzumischen. Über den Grad kann man streiten – der wird von den jeweiligen Spin-Doctores bestimmt. Am Ende steht jedoch meist ein Deal: Man teilt sich einen Markt auf, den man vorher in Unruhe versetzt hat. Der IWF-Kritiker Joe Stiglitz hat in seinem Buch beschrieben, dass nationale Unruhen zum Repertoire des IWF gehören. Dadurch sinken die Preise für Assets wie etwa Infrastruktur oder der Industrie. Käufer können dann billig einsteigen. Oligarchen gibt es in West und Ost. Sie warten auf ihre Chance.

Der nächste Fall einer solchen Destabilisierung könnte Mazedonien sein: Nach einem Konflikt zwischen Kosovaren und der mazedonischen Polizei gibt es Massenproteste, die den Sturz der Regierung fordern. Das russische Außenministerium hat, wie die vom Westen finanziert Moscow Times genüsslich berichtet, bereits kritisiert, dass die Ereignisse in Mazedonien an eine „bunte Revolution“ wie in der Ukraine erinnern: Auch dort waren die Amerikaner unter tätiger Mithilfe der Europäer lang vor der Eskalation auf dem Maidan involviert. Auch die Russen haben von den Ereignissen sicher nicht nur aus dem Fernsehen erfahren. In Skopje ist eine demokratisch gewählte Regierung an der Macht. Sie soll sich, so die These der Russen, als zu russlandfreundlich erwiesen haben. Vor allem unterstütze sie die russische Erdöl-Pipeline über die Türkei. Der Oppositionsführer, der die Proteste anführt, hat im staatlichen russischen TV-Sender RT gesagt, auch er wolle das russische Projekt vorantreiben. Aber er wolle auch mit den Amerikanern zusammenarbeiten.

Die EU wirkt in beiden Fällen hilflos: In der Ukraine hat sie sich von den Amerikanern in die verheerenden Sanktionen gegen Russland treiben lassen. Russland ist einer der wichtigsten Handelspartner für die meisten EU-Staaten. Die Europäer müssen doppelt zahlen: Täglich kommen Meldungen von Unternehmen über Umsatz-Einbrüche wegen der russischen Gegen-Sanktionen. Zugleich müssen die Steuerzahler mit immer neuen Krediten die Ukraine über Wasser halten. Zuletzt hat die staatliche Eisenbahn die Insolvenz angemeldet, was den Europäern Millionen-Verluste bescheren dürfte.

In Mazedonien hat die EU schon jetzt wiederholt, was sie bei der Ukraine verbockt hat: Sie hat dem Land Avancen auf die EU-Mitgliedschaft gemacht. Nun wirkt im Mazedonien-Konflikt völlig überfordert: Der EU-Beauftragte sagte dem Guardian, er glaube, dass die Schießerei zwischen den Kosovaren und der Polizei von „Islamisten“ angezettelt wurde. In Mazedonien sehen wir denselben Konflikt wie überall in Osteuropa: Staatliche Souveränität steht gegen den Drang zur Selbstbestimmung der Völker. Das schwierige Dilemma wird systematisch ausgeblendet: Technokraten tun sich leichter mit Landkarten als mit Kulturen. Die Karten erscheinen als geduldige Dogmen. Die Kulturen und Sprachen muss man verstehen. Mit Steuergeldern sind solche Konflikte nicht zu lösen. Doch die Verteilung der Steuergelder ist der einzige Rohstoff, über den EU verfügt.

Die EU ist nämlich, wie die beschämende Haltung von Staaten wie Frankreich und Polen in der Flüchtlingsfrage zeigt, längst keine Werte-Gemeinschaft, sondern eine reine Wirtschaftsgemeinschaft, in der alle Beteiligten versuchen, ihre jeweiligen Egoismus auszubalancieren. Die gemeinsame Hoffnung aller: Je größer die EU wird, umso mehr gibt es zu verteilen.

Beitrittskandidaten werden von Berufspolitikern und Technokraten zu „Reformen“ gedrängt. Das sind in der Regel Austeritäts-Programme und Privatisierungen. Im Gegenzug gibt es dann Kredite. Wie man an Griechenland sieht: Die „Reformen“ werden meist versprochen, um an die Kredite zu kommen. Ist man einmal „drinnen“, zählen nur noch die Kredite, die man an die nationalen Netzwerke verteilen kann. Innenpolitisch sind die vom IWF inspirierten Radikal-Programme nicht durchzusetzen. Doch die Staaten werden mürbe gemacht.

In einem interessanten Beitrag hat der Ökonom Anatole Kaletsky auf dem Project Syndicate skizziert, dass die Taktik der Troika in Griechenland darin bestehen dürfte, das Land in die innere Pleite zu treiben: Wenn die Troika hart bleibt, kann die Syriza-Regierung die öffentlichen Bediensteten nicht mehr bezahlen. Die Bankeinlagen der Griechen sind laut EU-Recht weiter auf Euro denominiert. Führt Griechenland die Drachme oder eine andere Zweitwährung ein, könnten die Bankkunden ihre gesicherten Einlagen in Euro einklagen. Die Kombination dieser Elemente würde Syriza nicht überleben, meint der Ökonom. Die Regierung würde stürzen. Griechenland könnte in der Folge zur Plünderung freigegeben werden. So weit werden es die Amerikaner jedoch nicht kommen lassen: Griechenland gehört wegen der Nato zu ihrer Einfluss-Sphäre. Das geopolitische Projekt muss von den europäischen Steuerzahlern weiterfinanziert werden – bis zum St. Nimmerleinstag – und zwar mit oder ohne Pleite, weil die EU-Verträge einen separaten Euro-Austritt nicht vorsehen.

In allen drei Fällen – Griechenland, Ukraine und Mazedonien – findet der Verteilungskrieg auf europäischem Boden statt. Die Europäer selbst sind, entweder über die EU oder durch ihre schwachen Regierungen – nur Zuseher in dem Prozess. Wie man an der wieder erwachten Besuchsdiplomatie zwischen Moskau und Washington sehen kann, reden die Kontrahenten bereits wieder intensiv miteinander. Die EU und die nationalen Regierungen werden, wenn sie Glück haben, aus zweiter Hand informiert. Eigene Positionen kann sie nicht beziehen, weil die Nato längst der Außenpolitik die Feder führt.

Geopolitisch gilt also „Fuck the EU“. Die Amerikaner haben es ausgesprochen, die Russen werden es sich denken. Das ist eine unerfreuliche Entwicklung, vor allem, wenn sie auf dem eigenen Kontinent abläuft. Sie ist jedoch die logische Folge der widersprüchlichen Entwicklung der EU selbst. Sie resultiert aus dem Paradox von Selbstüberschätzung und innerer Zerstrittenheit. Solche Patienten sind ein gefundenes Fressen für die Neocons in den USA und die geduldigen Taktikern im Kreml. Die Europäer verlieren die Kontrolle über ihren Kontinent.

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