Immer wieder weisen viele Kritiker auf die sozialen Konsequenzen der von der EZB betriebenen Niedrigstzinspolitik hin: Verlust an Ersparnissen bei darauf angewiesenen Menschen, vor allem künftigen Rentnern einerseits, und enorme spekulative Gewinne bei wohlhabenden Anlegern auf den Aktienmärkten andererseits, die im Zeichen der von der EZB über die Zentralbanken ausgeschütteten Billionen-Euro-Liquidität boomen.
Nun kommt EZB-Präsident Mario Draghi daher und warnt vor den sozialen Konsequenzen dieser Politik, als hätte er nichts damit zu tun. Und er fordert auch noch die Regierungen der Eurozone dazu auf, die Konsequenzen zu beseitigen, als könnten sie nun den Sparern finanziellen Ausgleich leisten und die von der EZB-Politik Bereicherten höher besteuern, was sie natürlich nie tun werden. In welcher seltsamen Welt leben wir da eigentlich?
Man muss sich Auszüge aus der Rede, die Draghi am 14. Mai vor dem IWF gehalten hat, fast Wort für Wort vornehmen, um diese „verkehrte Welt“ zu begreifen (hier in gekürzter Fassung):
„Unsere politischen Entscheidungen sind auf zweierlei Weise komplexer geworden. Erstens mussten wir neue Instrumente entwickeln, nachdem die Zinsraten ihre effektive untere Grenze erreicht hatten. Zweitens, da diese neuen Instrumente andere Konsequenzen als die normale Geldpolitik haben, besonders hinsichtlich der Verteilung von Vermögen und der Zuführung von Mitteln, ist es wichtiger geworden, diese Konsequenzen zu identifizieren, zu beurteilen und, wo nötig, abzumildern.“
Das „abzumildern“ ist eine kaum verschleierte Aufforderung an die Regierungen, die Verantwortung zu übernehmen. Später in der Rede folgt ein langes Kapitel unter der bezeichnenden Überschrift „Kollaterale Folgen der Geldpolitik“. Das erinnert schon deshalb an die unvermeidbaren kollateralen Folgen eines Krieges für die Zivilbevölkerung, mit der sich die Militärs die Hände reinwaschen. Nichts anderes tut nun Draghi:
„Eine längere Periode von unterstützender Geldpolitik kann jedoch mit Nebeneffekten kommen. Dass unsere Politik sich bisher als wirksam erwiesen hat, sollte uns dafür nicht blind machen. Doch wir müssen diese kollateralen Auswirkungen managen und - soweit möglich - minimieren. Wo das nicht möglich ist, haben wir die Pflicht, die Aufmerksamkeit dafür zu erhöhen, so dass die minimierende oder korrektive Aktion von anderen relevanten Autoritäten getroffen werden kann.“
„Eine andere Sorge, die den Fall der Zinsraten und die Einführung der unkonventionellen Maßnahmen begleitet hat, betrifft die Folgen der Geldpolitik für die Einkommensverteilung. Insbesondere gibt es Sorgen, dass sehr niedrige Zinsraten über längere Zeiträume die Sparer zum Vorteil der Schuldner bestrafen könnten oder dass steigende Preise für Finanzanlagen als Folge unserer Wertpapieraufkäufe (meint: die Aufkäufe der EZB) den Reichen unverhältnismäßig nützen und damit die Ungleichheit erhöhen könnten. Es ist wahr, dass unsere niedrigen Zinsraten und Aufkäufe von Finanzpapieren den derzeitigen Marktwert steigern und damit den Anlegern in solche Papiere nützen. Wir müssen uns bewusst sein, dass zu lange Perioden sehr niedriger Zinsraten unerwünschte Folgen im Zusammenhang mit alternden Gesellschaften haben können, wo viele Haushalte sparen, um den Verbrauch über ihre Lebenszeit einzuschränken. Für Rentner und diejenigen, die für ihre Rentenzeit sparen, können niedrige Zinsraten kein Anreiz sein, den Verbrauch vorzuziehen. Sie können im Gegenteil ein Anreiz sein, noch mehr zu sparen, um den langsameren Aufbau ihrer Pensionsanlagen zu kompensieren.“
„Es ist aber auch im Interesse der Langzeitsparer, dass (über niedrige Zinsen) die Wirtschaftsleistung ohne Verzögerung zu ihrem vollen Potenzial erhöht wird. Denn die Finanzanlagen der Sparer sind immer ein Anspruch auf den Reichtum, den der produktive Teil der Wirtschaft erzeugt.“
„Die in der Eurozone politisch Handelnden sind unabhängig voneinander. Aber die Effekte ihrer Politiken hängen voneinander ab. Deswegen wird am Ende nur eine Kombination von Politiken, die komplementär und gegenseitig konsistent sind, unserer Politik erlauben, ihre vollen Effekte zu ernten und eine dauerhafte Rückkehr von Wohlstand und Stabilität für die gesamte Eurozone bringen.“
So spricht der Mann, der über ein Spitzeneinkommen bei Goldman Sachs und später als Chef der Banca d‘Italia selbst enorm reich geworden ist, der jetzt mit 368.000 Euro Jahresgehalt weit mehr als die deutsche Bundeskanzlerin verdient und der in den Worten eines Bundesbankers am Donnerstagabend ins Wochenende nach Italien verschwindet und erst am Dienstagmorgen nach Frankfurt zurückkommt. Zu sparen braucht er selbst sicher nicht.
Hier noch einige Fakten zur Politik der EZB. Seit nun 6 Jahren hält die EZB den Zentralbankzins im real negativen Bereich (Abb. 16317). Der deutsche Spareckzins folgte dem auf dem Fuße (Abb. 18816). Mit zahlreichen markigen Drohungen mit der Absicht, unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, hat die EZB den Zins auf Staatsanleihen ebenfalls in den Keller geprügelt. Der Zins auf Bundesanleihen, in denen vor allem deutsche Sparer und Altersversicherungen die Ersparnisse anlegen, fiel in vier Jahren von fast 3,5 % auf nur noch knapp 0,7 %, was etwa der Inflationsrate entspricht und also real keinen Ertrag mehr bringt (Abb. 18757). Die EZB trieb dabei auch die Zinsen auf Ramsch-Anleihen in den Keller (Abb. 18754), in deren hohes Risiko immer mehr der besser betuchten Anleger ausgewichen sind. Insgesamt sind die Finanzmärkte durch den Eingriff der EZB sehr viel unsicherer geworden.
Durch die Politik der EZB hat Deutschland nach Berechnungen der Allianz pro Kopf bis Ende vergangenen Jahres bereits etwa 280 Euro an Zinsen verloren, Spanien dagegen 1.149 Euro und Italien 655 Euro gewonnen (Abb. 18497). Bezogen auf den einzelnen Sparer in Deutschland ist der Betrag natürlich wesentlich höher, denn er ist das Netto nach Abzug der Gewinne für die Schuldner in Deutschland.
Unter dem Eindruck des Schocks der weltweiten Kreditkrise, wurde so auch die EZB zu einem Teil der Umverteilungsmaschine, die die Sparer schädigt und die besser Betuchten zu Krisengewinnlern gemacht hat. So bezogen 2012 rund zwei Drittel der Rentnerinnen aus der deutschen Sozialversicherung eine Altersrente von weniger als 600 Euro/Monat (Abb. 17864). Was sagt dann eigentlich Draghi einer Rentnerin, die sich zur Aufbesserung ihres Alterseinkommens und in Angst vor Altersarmut in langen Jahren 40.000 Euro auf dem Sparbuch der Sparkasse mühsam zusammengespart hat und damit ein monatliches Zinseinkommen von real etwa 70 Euro/Monat zur Aufbesserung der knappen Rente erwarten konnte, die aber jetzt bei einem Sparerzinssatz von gerade einmal 0,05 % und einer Inflationsrate von 1,3 % für Nahrungsmittel, 2,3 % für Gesundheitspflege, 2,5 % für Verkehrsdienstleistungen und 1,3 % für die Miete von Monat zu Monat an ihrem Ersparten verliert?
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Joachim Jahnke, geboren 1939, promovierte in Rechts- und Staatswissenschaften mit Anschluss-Studium an französischer Verwaltungshochschule (ENA), Mitarbeit im Kabinett Vizepräsident EU-Kommission, Bundeswirtschaftsministerium zuletzt als Ministerialdirigent und Stellvertretender Leiter der Außenwirtschaftsabteilung. Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, zuletzt bis Ende 2002 als Mitglied des Vorstands und Stellvertretender Präsident. Seit 2005 Herausgeber des „Infoportals“ mit kritischen Analysen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung (globalisierungskritisch). Autor von 10 Büchern zu diesem Thema, davon zuletzt „Euro – Die unmöglich Währung“, „Ich sage nur China ..“ und „Es war einmal eine Soziale Marktwirtschaft“. Seine gesellschaftskritischen Analysen beruhen auf fundierter und langjähriger Insider-Erfahrung.
Sein Buch über das Ende der sozialen Marktwirtschaft (275 Seiten mit 176 grafischen Darstellungen) kann unter der ISBN 9783735715401 überall im Buch- und Versandhandel für 15,50 Euro bestellt werden, bei Amazon hier.