Der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, fordert die Anhebung des Solidaritätszuschlags, um die Griechenland-Rettung zu finanzieren. «Ehrlichkeit gegenüber den Wählern und Steuerzahlern und das Gebot der Generationengerechtigkeit erforderten es, zur Finanzierung des Griechenland-Programms die Steuern in Deutschland zu erhöhen oder Ausgabenkürzungen zu verabschieden», schreibt er in einem Beitrag für die FAZ.
Der «Präsident», wie ihn die dpa ehrfürchtig nennt, ist natürlich nicht irgendein unabhängiger wissenschaftlicher Spinner: Fuest ist als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium einer der engsten Vertrauten von Wolfgang Schäuble. Fuest führt mit Hans-Werner Sinn die Grexit-Fraktion in Deutschland an.
Fuests Argumentation ist sehr grundsätzlich und in sich absolut schlüssig: Wenn der Bundestag über das neue Hilfsprogramm für Griechenland entscheide, gehe es anders als bei vorangegangenen Rettungsprogrammen nicht um Kredite, sondern um Transfers - «also um Geld, das nicht zurückkommt», argumentiert der Mannheimer Ökonom. Dies ergibt sich aus der Einschätzung des IWF, dass die Schulden Griechenlands nicht tragfähig sind. Schäuble teilt diese Einschätzung, wie er am Donnerstag im DLF bestätigte:
«Sehr viele Ökonomen, übrigens auch in Griechenland zunehmend, zweifeln ja daran, dass Griechenland – hören Sie auf das, was der Internationale Währungsfonds sagt – ohne einen wirklichen Schuldenschnitt auf seine Probleme gelöst werden können. Ein wirklicher Schuldenschnitt, das ist aber völlig unstreitig, das muss man nur zur Kenntnis nehmen, oder man muss es auch wissen und zur Kenntnis nehmen, ein wirklicher Schuldenschnitt ist mit einer Mitgliedschaft in der Währungsunion unvereinbar.»
Damit schließt sich der Kreis. Fuest kommt zu dem Ergebnis: «Das Auflegen eines Transferprogramms für Griechenland bedeutet für die Eurozone einen grundlegenden Wandel: den Einstieg in die Transferunion.»
Genau gegen diesen Wandel ist Schäuble - und zwar seit langem und aus grundsätzlichen Gründen: Er hält eine Transferunion für nur möglich, wenn sie unter wirtschaftlich einigermaßen gleich starken Staaten geschlossen wird. Deshalb hat Schäuble den Grexit vorgeschlagen. Deshalb fährt die Bild-Zeitung seit Monaten eine beispiellose Kampagne gegen «die Griechen». Und deshalb beharrt Schäuble auch nach der angeblichen Einigung in Brüssel weiter auf dem Grexit.
Fuest, der in zahlreichen Artikeln in den vergangenen Monaten darauf hingewiesen hat, dass das Griechenland-Fiasko nicht mehr beherrschbar ist, sagte, es sei wichtig, dass die stillschweigende Einführung einer Transferunion gegenüber den Wählern und Steuerzahlern in Europa offengelegt werde. Die neuen Zahlungen an Griechenland seien keine Kredite, sondern hätten «Transfercharakter» hätten, welche die Staatshaushalte der anderen Eurostaaten belasten würden.
Wenn man von einem Gesamtvolumen der Hilfen von 84 Milliarden Euro ausgehe und annehme, dass etwa ein Viertel auf Deutschland entfalle, bedeute das eine Belastung von 22 Milliarden Euro über drei Jahre. «Das könnte beispielsweise durch die Erhöhung des Solidaritätszuschlags von 5,5 auf 8 Prozent für drei Jahre finanziert werden,» schlägt Fuest vor.
Schäuble, dessen Sprachrohr Fuest in diesem Falle ist, weiß natürlich genau, dass dies in Deutschland politisch nicht durchzusetzen ist. Wollte er es wirklich durchsetzen, hätte er gefordert, die Spitzenvermögen zu besteuern, die eine solche Transferleistung vermutlich auch stemmen können. Aber man kann sich vorstellen, dass sich die Bild-Schlagzeilen mit solch einer Expterten-Meinung faktisch wie von selbst schreiben.
Doch Schäuble Ziel ist es, den Druck auf die Euro-Retter so zu erhöhen, dass der Grexit tatsächlich erzwungen wird. In der Koalition steigt der Druck schon gewaltig. Der neue Vorschlag wird die Debatte entsprechend befeuern. Schäubles größter Trumpf ist, dass diese Entscheidung heute tatsächlich erzwungen werden kann. Nicht aus rationalen ökonomischen Erwägungen - die Euro-Politik war nie rational, sondern von allen Seiten höchst emotional. Angesichts des zu erwartenden Total-Verlusts von etwa 100 Milliarden Euro für die deutschen Steuerzahler ist die Debatte längst völlig auf die hässlich-nationalistische Ebene entgleist.
Ressentiments und Demütigungen sind längst Teil der politische Rhetorik. Eine solche Verschärfung der Tonlage, wie neulich in einer Hassrede eines CSU-Mannes im EU-Parlament, deutet auf reale Veränderungen hin, die anstehen. Nach der Einigung von Brüssel gab der Schäuble-Schwiegersohn Thomas Strobl, einer der führenden CDU-Politiker, die neue Parole für Europa aus: «Der Grieche hat jetzt lang genug genervt!» (Video am Anfang des Artikels).
Schäuble will keine Sondersteuer. Er will «den Griechen» aus dem Euro haben. Und er ist weitblickend genug, um zu wissen: Es wird nicht beim «Griechen» bleiben, der fliegt.
Die Zustimmungsraten für Schäuble und diesen Kurs liegen aktuell bei 70 Prozent. Die CDU nähert sich der 50 Prozent Marke. Sie hat die historische Chance, wieder eine Alleinregierung zu bilden. Diese Dynamik will Schäuble nutzen, um seine Vision von Europa durchzusetzen.