Die jüngste Spitzenrunde der Ministerpräsidenten zur Flüchtlingskrise im Kanzleramt dauerte auch deshalb länger, weil sich die Länderchefs gegenseitig ihr Leid klagten - und feststellten, dass alle mit denselben Problemen zu kämpfen haben. Eine wachsende Herausforderung ist nach Angaben aus Sicherheitskreisen, dass eine unbekannte Anzahl von Flüchtlingen derzeit ohne Registrierung durch Deutschland zieht. Dies führt zu teilweise kuriosen, teils aber auch Besorgnis erregenden Entwicklungen.
Das Problem ist offenbar auch mit der Ankündigung der Schließung der Grenzübergänge nicht gelöst: Zahlreiche Flüchtlinge wählen seither den Weg über die grüne Grenze. Österreich will nun auch seine Südgrenze schließen. Kroatien hat angekündigt, die Flüchtlinge nach Norden weiterzuschicken. Auch die Türkei erwägt offenbar, Flüchtlinge in die EU zu schicken.
Für die Bundesländer ist die Lage allerdings bereits jetzt unübersichtlich.
So berichtete Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bei dem Treffen am Dienstagabend nach Teilnehmerangaben, dass die Planung auch für die aufnahmebereitesten Helfer und Behörden sehr schwierig sei: Denn wenn Züge mit Flüchtlingen aus Bayern in Städte geschickt würden, stelle man in den Erstaufnahmeeinrichtungen fest, dass ein erheblicher Teil der angekündigten registrierten Flüchtlinge nicht ankomme. Andererseits stünden in vielen Einrichtungen plötzlich Menschen vor der Tür, die nicht angemeldet seien – und von denen niemand wisse, woher sie kämen.
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt berichtete in der Sondersitzung des Kabinetts am Dienstag nach Teilnehmerangaben, dass man derzeit von einem „Schwund“ von 20 Prozent auf den Zugfahrten aus Bayern ausgehe. Verantwortlich dafür seien dafür zwei Umstände: Zum einen müssten Sonderzüge manchmal zwei, drei Stunden auf der Strecke stehenbleiben und warten, um in den normalen Verkehr eingereiht werden zu können. Etliche Flüchtlinge stiegen dann einfach aus.
Andererseits wird aus allen Ländern berichtet, dass die Flüchtlinge häufiger selbst die Notbremse in den Zügen zögen, weil sie entweder misstrauisch würden, wohin die Reise eigentlich gehe – oder aber nicht zum angekündigten Ziel wollten. Deshalb setzten sich einige nach Ziehen der Notbremse einfach ab – und tauchten irgendwann an anderer Stelle wieder auf. Einige wollten auch weiter nach Dänemark oder Schweden.
Die Innenminister adressierten dieses Thema in ihren Konferenzen in der vergangenen Woche immer dringlicher. Zwar gab es solche Fälle, dass sich Asylbewerber auf dem Weg in die ihnen zugewiesenen Einrichtungen absetzten, schon vorher. Aber in der vergangenen Woche wuchs angesichts der stark steigenden Zahl der aus Österreich kommenden Flüchtlinge die Gruppe derer, die nicht registriert wurden – und sich nun als Unbekannte im Land aufhalten. Belastbare Gesamtzahlen hatte das Bundesinnenministerium auch am Mittwoch nicht. CSU-Chef Horst Seehofer hat schon eindringlich davor gewarnt, es könne nicht sein, dass sich nun eine unkontrollierte Völkerwanderung durch Europa bewege – mit allen humanitären Herausforderungen und auch Sicherheitsrisiken.
Zwar betonte das Bundesinnenministerium unlängst, dass sich bisher die Hinweise auf eingeschleuste Unterstützer der radikal-islamischen Miliz IS in Erstaufnahmelagern nicht bestätigt hätten. Aber am Sonntag rief etwa der Chef der Terrorgruppe Al Kaida zu Anschlägen in westlichen Städten auf. Zwar wird im Kreis der Ministerpräsidenten appelliert, die Flüchtlinge nicht unter Pauschalverdacht zu stellen. Aber die Sicherheitsbehörden wollen zumindest wissen, welche Flüchtlinge etwa aus Syrien oder Afghanistan sich derzeit in Deutschland aufhalten. Deshalb sollen nun direkt an der Grenze alle Neuankömmlinge registriert werden. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere rechtfertigte die Einführung von Grenzkontrollen ausdrücklich auch mit Sicherheitsbedenken.
Auf eines aber haben Politik und Behörden nach wie vor keine Antwort: Wie sollen sich die Behörden gegenüber registrierten Flüchtlingen verhalten, die partout nicht in die ihnen zugewiesenen Erstaufnahmeeinrichtungen fahren wollen.