Angela Merkel hat am Donnerstag im Bundestag erneut einen Appell an alle anderen gerichtet. Sie sagte:
„Ich möchte, dass Europa diese gesellschaftliche, ökonomische, kulturelle und moralische Bewährungsprobe besteht.“
Gemeint ist die Flüchtlingskrise. In diesem Thema hat sich Angela Merkel total verrannt. Ganz Europa schüttelt den Kopf über Merkel.
Wer dieser Tage in Ungarn mit ganz normalen Leuten spricht, bekommt zu hören: „Das ist Wahnsinn, wir verstehen die Deutschen nicht mehr. Niemand weiß, wie Hunderttausende aus einer völlig anderen Kultur zu integrieren sein sollen. Es ist ein Alptraum.“ Immer wieder hört man die Ungarn sagen: „Es sind vorwiegend junge Männer. Warum kämpfen die nicht in ihrer Heimat, um sie zu verteidigen?“ Viktor Orbans Politik wird in Ungarn von einer überwältigenden Mehrheit getragen. Dasselbe gilt für die Slowakei und Tschechien. Hier hört man: „Wir hatten 40 Jahre Kommunismus, in denen uns die UdSSR gesagt hat, was für uns gut ist. Und nun kommt die EU und macht dasselbe.“
Angela Merkels größter Fehler ist, dass sie ganz Europa eine „moralische“ Haltung vorschreiben will. Sie stellt Forderungen an die Bürger. Doch die Regierung hat keine Forderungen zu stellen. Sie hat nicht Moral zu predigen oder zu versuchen, die Gesellschaft nach Opportunitäten zu verändern. Im Fall der Flüchtlinge ist es nun die wirtschaftliche und demographische Opportunität, nach der sich die Bürger zu ändern hätten. Die Politik Merkels zielt darauf an, ihr eigenes politisches Versagen in einer Art Vorwärtsverteidigung in einen Erfolg zu verwandeln. Bis heute behauptet Merkel, sie sie überrascht gewesen von dem Ansturm. Die Fakten sind anders: Die EU-Politik unter Merkels Führung hat die Flüchtlinge in eine Falle laufen lassen. Dann hat man die Grenzen aufgemacht, drei Tage später wieder geschlossen. Nun versucht man den Leuten einzureden, alles sei unter Kontrolle.
Das Gegenteil ist der Fall. Die Münchner tz berichtet, dass die Münchner Polizei angewiesen worden sei, den Medien keine Zahlen über die nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge zu geben.
Die tz zitiert einen Polizisten aus Passau: „Die Bundespolizei lässt ganze Züge und Busse ohne Registrierung der Flüchtlinge durchfahren.“ Die Behörden schicken derzeit Sonderzüge mit Flüchtlingen von Salzburg über München und aus Österreich via Passau ohne Zwischenhalt nach Köln, Uelzen. Leipzig, Düsseldorf oder Mannheim. Auch Busse werden direkt etwa nach Berlin geschickt. „Die Insassen dieser Züge und Busse werden nur gezählt, niemand nimmt an der Grenze ihre Personalien auf.“
Angesichts dieses unhaltbaren Zustands appelliert Merkel nun an die Bürger, die gesellschaftliche, ökonomische, kulturelle und moralische Bewährungsprobe“ zu bestehen. Merkel will den Leuten ein schlechtes Gewissen machen, wenn diese kritisch hinterfragen, wie diese Bewährungsprobe denn bestanden werden soll, wenn die Regierung nicht einmal ihre gesetzliche Bewährungsprobe besteht und diese Flüchtlinge ordnungsgemäß registriert. Nun soll den Leuten ein schlechten Gewissen gemacht werden. Merkel appelliert an die moralische Integrität der Leute, obwohl die Bunderegierung fortgesetzt das geltende Recht (Dublin) verletzt. Vom Fremdenpolizei-Gesetz und anderen Vorschriften ist schon lange keine Rede mehr.
In der Demokratie muss nach Gesetzen regiert werden und nicht nach moralischen Imperativen. Moral ist immer vielschichtig und stößt an Grenzen. Daher gibt es ja ein Parlament, das im Namen des Volkes Gesetze erlässt, die ihrerseits durchaus auf moralische Werte rekurrieren können. Ein Gesetz kann man befolgen, eine moralische Idee bestenfalls teilen.
Wie soll man sich bei einander widersprechenden Moral-Vorstellungen entscheiden? Die Merkel-Vertraute Julia Klöckner hat kürzlich am eigenen Leib erfahren, wie zweischneidig das moralische Schwert ist: Sie wollte den Dialog mit dem Islam aufnehmen. Der Imam, den sie treffen wollte, erklärte vorab, er werde Frau Klöckner nicht die Hand geben, weil ein Muslim einer Frau keine Hand gibt. Frau Klöckner war empört, beschwor die Gleichberechtigung – und sagte das Treffen ab.
Wenn also schon eine hochrangige CDU-Politikerin bei der ersten Bewährungsprobe scheitert, wie soll es dann den anderen Deutschen ergehen – in vielleicht noch viel kritischeren Situationen?
Die Bewährungsprobe ist nämlich kein moralisches Schaumbad, sondern brutale Realität: Man muss dazu nur der Münchner Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) zuhören, die wegen der Unlösbarkeit der realen Probleme öffentlich verzweifelt ist.
Man muss nur den Sicherheitsbehörden zuhören, die sagen, dass die Lage völlig außer Kontrolle ist und man sich in Europa im einem sicherheitspolitischen Blindflug nicht gekannten Ausmaßes befindet.
Man muss nur an die österreichische Grenze schauen, wo die Flüchtlinge stumm an den hilflosen Polizisten vorbeilaufen, als diese sie um ihre Pässe bitten.
Die ökonomische Bewährungsprobe kommt erst: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat gesagt, dass nur jeder zehnte Flüchtling für Ausbildung oder Arbeit qualifiziert sei. Das bedeutet, dass 90 Prozent aller Flüchtlinge in Sprachkurse und Ausbildung gebracht werden müssen. Sportlich gerechnet werden diese Leute dem Arbeitsmarkt dann in vier Jahren zu Verfügung stehen. Ärzte mit Muttersprache Deutsch brauchen etwa 12 Jahre, bevor sie eingesetzt werden. Doch die ökonomische Komponente scheint die Agenda Merkels zu sein: Sie hat die Arbeitsagentur und das Bundesamt für Migration (BAMF) mit einer Personalunion an der Spitze zusammengelegt.
Die ökonomische Bewährungsprobe ist allerdings die größte Chuzpe: Es ist erstaunlich, dass gerade linke und grüne Intellektuelle der Kanzlerin erfolgreich eingeredet haben, dass integriert ist, wer einen „Job“ hat. Mit den Ländern wurde am Donnerstag ein Finanzierungsplan ausgearbeitet: 670 Euro pro Flüchtling pro Monat. Die Integration hat nun ihr Preisschild, ihre Kopfprämie. Die radikale Verkürzung des Menschen auf einen Kosten- und Produktionsfaktor wird gerade von jenen forciert, die sonst gegen die Ausbeutung wettern. Hans-Werner Sinn, der große Deuter der Welt als ökonomisches Perpetuum, hat den Gedanken logisch zu Ende gedacht: „Lohndumping für alle“ heißt das Gebot der Stunde.
Denn für das global vagabundierende Kapital ist der Zustrom der Flüchtlinge eine historische Chance: Wenn es gelingt, Hunderttausende Menschen umzusiedeln und anderswo zu billigen Produktionskräften zu machen, können die Gewinne sprudeln - ohne dass die Unternehmen die Kosten einer Produktionsverlagerung auf sich nehmen müssen. Wenn das Experiment gelingt, ist die Macht der Gewerkschaften für immer gebrochen. Wie das geht, sieht man bei Amazon: Die Kunden merken gar nicht mehr, ob gestreikt wird.
Die Konzerne werden in jedem Fall profitieren: Die Kosten der Bewährungsprobe trägt der Steuerzahler. Das Experiment wird, wie alle wichtigen Gesetze, im „Eiltempo“ beschlossen. Der Bund hat quasi im Handstreich die Führung übernommen und damit – wie schon bei der Euro-Rettung – die Verfassungswirklichkeit verändert, indem Merkel dem Steuerzahler in die Tasche greift (siehe Video am Anfang des Artikels).
Die Kosten für die Hunderttausenden, die es nicht schaffen werden, trägt ebenfalls der Steuerzahler. Wenn das ganze Experiment scheitert, dann können die Konzerne immer noch die Produktion verlagern. Tatsächlich braucht die Wirtschaft nicht Millionen neuer Arbeitskräfte: Gewerkschaftsbund-Mann Bsirske zeigt sich heute schon erschreckt über die Invasion der Roboter und sagt, dass der Verlust von Arbeitsplätzen viel schneller kommen werde als gedacht.
Wenn Europa die Bewährungsprobe wirklich besteht, wird sich der IS die Hände reiben und vermutlich die Türkei, in der Erdogan dann zu Kultfigur wird. Denn die Kriege im Nahen Osten sind ihrer Natur nach ethnische Säuberungen. Es kämpfen nicht mehr Staaten nach dem internationalen Kriegsrecht, sondern religiöse und ethnische Gruppen gegeneinander. Die Vertriebenen müssen fliehen, weil das Schicksal es so wollte, dass sie auf dem falschen Flecken auf der Erde geboren wurden. Die ethnischen Säuberungen betreffen Muslime, Christen, Jesiden, Kurden, Drusen und viele andere mehr. Die ethnischen Säuberungen sind besonders brutal und erfolgreich, weil Deutschland, die USA, die EU-Staaten, Russland, der Iran und die Golfstaaten durch Waffenlieferungen oder Beteiligung an Kampfhandlungen dazu beigetragen haben, dass die Konflikte zu einem Bürgerkrieg angefacht wurden.
Wenn Europa, wie von Merkel gewünscht, diese Bewährungsprobe besteht, dann werden die Mörder über die Opfer triumphiert haben. Europa wird seine liberalen Gesellschaften gegen einen umfassenden Polizeistaat eingetauscht haben – denn anders werden die unabsehbaren Spannungen zwischen den neu eingewanderten Gruppen nicht unterdrückt werden können. Auch zum Schutz gegen Terror werden massive polizeistaatliche Maßnahmen unausweichlich sein.
Der Rechtsstaat wird bereits massiv unterlaufen: In Hamburg wurde beschlossen, Gewerbeimmobilien zu beschlagnahmen, um Flüchtlinge unterzubringen, berichtet die SHZ. In Nieheim wurde Mietern die kommunale Wohnung gekündigt, schreibt die Rheinische Post. Die Stadt meldete „Eigenbedarf“ an, um Flüchtlinge unterzubringen. Auch an anderen Orten wurden Beschlagnahmungen vorgenommen. Die Bundesregierung behauptet, Enteignungen seien nicht geplant – obwohl sie bereits Realität sind.
Als größter Wert der Flüchtlinge wird ihre ökonomische Funktion gepriesen. Tatsächlich werden die Arbeiter in Deutschland weiter entrechtet, die Gewerkschaften ausgehebelt. Selbst wenn die Millionen, die Merkel nach Europa holt, alle innerhalb kürzester Zeit einigermaßen die Landessprache beherrschen – das Verständnis der komplexen Arbeitsgesetze und EU-Vorschriften ist heute schon für Muttersprachler kaum möglich. Es wird offenbar darauf gesetzt, dass die Flüchtlinge ohne große Ansprüche tun, was der Billiglohnsektor von ihnen erwartet. Langsam versteht man, warum Merkel mit „Haut und Haaren“ für das TTIP kämpft: Wie eine der wenigen unabhängigen Studien ergeben hat, wird das TTIP in der EU Arbeitsplätze vernichten und den Billiglohn-Sektor zum Blühen bringen. Da kommen die Flüchtlinge wie gerufen.
Regiert wird dann nicht mehr mit Gesetzen oder Gerichten, bei denen man einen Rechtsweg hat. Regiert wird, wie schon in der Euro-Krise, mit Notverordnungen und Erlässen. Juristen in Österreich erzählen, dass etwa im Bereich der Bankenaufsicht dieses Konzept bereits verwirklicht ist: Die Aufsichtsbehörde bestimmt die Regeln. Ein Rechtsweg ist nicht vorgesehen. Genauso verhält es sich mit der Bankenaufsicht der EZB: Kein aktiver Banker wagt es heute noch, gegen die EZB aufzumucken – weil er dann am nächsten Tag die Aufsicht im Haus hat. Angst wird zum Prinzip des Regierens. Bei den Flüchtlingen wird das ähnlich sein. Man wird ihnen, sollten sie einmal ihre Stimme erheben, vermutlich sagen, sie seien undankbar.
Angela Merkel fordert von den Flüchtlingen die Bereitschaft, sich zu integrieren. Dazu gehöre, so die Kanzlerin laut Reuters, der Respekt vor den Regeln und Werten der deutschen Verfassung sowie der Wille, die deutsche Sprache zu beherrschen.
Die deutsche Sprache mag Merkel beherrschen. Den Respekt vor den Regeln und Werten der deutschen Verfassung und dem Völkerrecht hat die Bundesregierung längst abgelegt: Sie herrscht nach Stimmungslage und nicht offengelegten Interessen. Schröder wurde wegen seiner Agenda 2010 kritisiert, weil diese als der erste Schritt ins Lohndumping und zur Ausgliederung der Arbeitslosen aus der Statistik geführt hat.
Angela Merkel folgt dagegen einer unbekannten Agenda. Sie ist gespenstisch und geeignet, Demokratie und Rechtsstaat in Deutschland nachhaltig auszuhöhlen.