Politik

Merkel will Türkei-Vorschlag bei EU-Staaten durchboxen

Lesezeit: 2 min
08.03.2016 00:37
Angela Merkel hat die anderen EU-Chefs gegen sich aufgebracht: Sie vermuten, die Kanzlerin habe an den überraschenden neuen Vorschlägen aus der Türkei mitgeschrieben. Dennoch kämpft Merkel mit den Niederländern für die Annahme des Plans. Es ist allerdings möglich, dass sich am Ende wieder kein EU-Staat daran halten wird.
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Der überraschend aufgetauchte Vorschlag der Türkei, gegen weitreichende Zugeständnisse der EU alle neu ankommenden Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen, soll trotz Widerstands eine Chance erhalten: Im Entwurf für die Abschlusserklärung gebe es eine „eher positive“ Bewertung der wichtigsten Elemente. Auf dem nächsten Gipfel Ende kommender Woche solle er womöglich schon beschlossen werden, verlautete es am späten Montagabend übereinstimmend aus Diplomatenkreisen.

Aus anderer Quelle hieß es, viele Länder unterstützten den „vagen“ Vorschlag „noch nicht“. Es gebe rechtliche Vorbehalte zu den Abschiebungen, aber auch die Frage, warum Syrer in die Türkei zurückgeschickt werden sollten, um sie dann doch aufzunehmen. Menschenrechtsorganisationen bezeichneten den Plan als „teuflisch“, weil dadurch Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt würden.

Tatsächlich will die Türkei nicht alle Flüchtlinge behalten: Die aus Griechenland zurückgenommenen, sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge sollen weiter in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Und für jeden Syrer, den Ankara aus Griechenland zurücknimmt, soll die EU einen der 2,7 Millionen Syrer aufnehmen, die schon in der Türkei leben.

Die weiteren Forderungen: drei Milliarden Euro zusätzliche Unterstützung für 2018; die frühestens für den Herbst vorgesehene Visa-Freiheit für türkische Bürger soll schon ab Juni kommen; und in den Beitrittsverhandlungen sollen umgehend neue Kapitel eröffnet werden. Er hoffe, der Plan leite „eine neue Ära in den Beziehungen der EU zur Türkei“ ein, sagte der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu in Brüssel.

Er hatte am Sonntagabend in Brüssel fünf Stunden mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem niederländischen Regierungschef und amtierenden Ratsvorsitzenden Mark Rutte über den Plan beraten. Die übrigen Staats- und Regierungschefs seien am Montag „völlig überrumpelt“ gewesen, berichtete ein EU-Diplomat. Es gebe den Verdacht, Merkel habe an dem Vorschlag mitgeschrieben, er komme eigentlich gar nicht von den Türken. Dies wurde aus deutschen Delegationskreisen zurückgewiesen. „Wir waren auch überrascht.“

Ein ungarischer Regierungssprecher schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, Ministerpräsident Viktor Orban werde nicht zustimmen, „Asylbewerber direkt aus der Türkei umzusiedeln“. Zypern machte Diplomaten zufolge Vorbehalte gegen beschleunigte Beitrittsverhandlungen geltend.

Probleme bereitete auch das harte Vorgehen Ankaras gegen regierungskritische Medien. Nach Angaben italienischer Medien erklärte Regierungschef Matteo Renzi, er werde keine Vereinbarung mit der Türkei unterzeichnen, wenn darin nicht auf die Pressefreiheit verwiesen werde. Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel warnte, die EU könne wegen der Flüchtlingsfrage Werte wie die Pressefreiheit „nicht einfach über Bord werfen“.

Davutoglu begründete die Initiative auch damit, dass die bisherigen Bemühungen, die irreguläre Flüchtlingsbewegung einzudämmen, nicht gefruchtet hätten. Im Februar kamen 56.000 neue Flüchtlinge in Griechenland an, das EU-Land ist auch wegen der Schließung der Balkan-Route überlastet.

Die Idee hinter dem Vorschlag der Türkei ist, dass die irreguläre Migration weitgehend abebbt. Schließlich würde sich die gefährliche Reise durch die Ägäis nicht mehr lohnen, wenn es nach der Ankunft in Griechenland gleich zurück in die Türkei geht. Syrische Flüchtlinge, die zurückgeschickt werden, müssten sich zudem hinten anstellen, wenn sie sich um die legale Umsiedlung in die EU bewerben.

Der Vorschlag sei „teuflisch“, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt der Nachrichtenagentur AFP. Er warnte davor, Flüchtlinge aus Ländern wie Afghanistan oder dem Irak gegen die Opfer des syrischen Bürgerkriegs auszuspielen. „Das ist unmoralisch und rechtswidrig.“


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