Politik

Türkei-Besuch: Erdogan-Anhänger bereiten Merkel freundlichen Empfang

Angela Merkel wurde bei ihrem Türkei-Besuch von Anhängern des Präsidenten Erdogan freundlich empfangen. Allerdings war der Besuch von der Affäre um den Satiriker Böhmermann überschattet: Die türkische Regierung verbittet sich Einmischung von außen, etwa beim Thema Meinungsfreiheit.
24.04.2016 02:01
Lesezeit: 3 min

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Merkel hat Fehler im Umgang mit der Affäre um das Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann eingeräumt. Die Kanzlerin verteidigte am Freitag in Berlin zwar ihre umstrittene Entscheidung als nach wie vor richtig, die deutsche Justiz ermächtigt zu haben, gegen Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu ermitteln. Sie ärgere sich jedoch darüber, dass sie zuvor das Schmähgedicht Böhmermanns über Erdogan als „bewusst verletzend“ kritisiert habe.

Mit dieser Äußerung sei der Eindruck entstanden, dass hier ihre „persönliche Bewertung“ etwas zähle. „Das war im Rückblick betrachtet ein Fehler“, räumte Merkel einen Tag vor ihrer Türkei-Reise laut dpa ein. Merkel sagte, dass durch ihre Äußerung der Eindruck entstanden sei und vielleicht gedacht werde, Meinungs- und Pressefreiheit seien nicht mehr wichtig. „Mir ist dieses wichtig und wird es auch weiter wichtig bleiben, und das leitet mich bei allen Gesprächen“, sagte die Kanzlerin vor ihrem Treffen an diesem Samstag mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu.

Doch die Reise in die Türkei blieb von dem Konflikt überschattet, wie Andreas Rinke von der Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Immerhin: Die Anhänger Erdogans bereiteten der Kanzlerin einen freundlichen Empfang. Die türkische Regierung nutzte den Besuch für Werbung in eigener Sache:

Angela Merkel ist noch gar nicht in Gaziantep gelandet, da bekommt sie schon zu spüren, dass Etikette viel zählt in der Türkei. Das Regierungsflugzeug der Kanzlerin muss am Samstag vor der Stadt nahe der türkisch-syrischen Grenze eine Schleife drehen - weil das Flugzeug des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu zuerst landen soll. Und weil Symbolik zählt, fahren Merkel, Davutoglu, EU-Ratpräsident Donald Tusk und EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans gemeinsam im Bus zum Flüchtlingscamp Nizip 1, in dem rund 10.000 der 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei leben. Botschaft des gemeinsamen Ausfluges unter schwersten Sicherheitsvorkehrungen: Die EU-Spitzen und Merkel als Mit-Initiatorin des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens sind solidarisch mit der Türkei - und wollen weitere Zusagen Ankaras einwerben.

Für Merkel ist dies eine heikle Aufgabe. Schon vor der Reise hatte sie einen Fehler in der Auseinandersetzung um den TV-Moderator Jan Böhmermann eingeräumt, damit ihre Reise nicht von einer Debatte um Menschenrechte überschattet wird. In der jüngsten Umfrage des ZDF-Politbarometers hatte eine Mehrheit der Deutschen bemängelt, dass Merkel zu viel Rücksicht auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nimmt und damit als Gegenleistung für das EU-Flüchtlingsabkommen das klare Eintreten für Pressefreiheit opfern könnte.

Die Vereinbarung sieht unter anderem EU-Milliarden als Gegenleistung für die Rücknahme illegal in die EU eingereister Flüchtlinge vor. Mit dem Besuch des aus Baracken bestehenden Flüchtlingslagers Nizip 1 und eines Kinder-Betreuungsprojektes in Gaziantep wollte das EU-Trio zeigen, wofür die drei Milliarden Euro ausgegeben werden, für die sie im Kreis der 28 EU-Staaten gekämpft hatten. Die Menschen sollen nahe ihrer Heimat versorgt werden, damit sie keine Veranlassung sehen, in die EU zu kommen. In dem vom UN-Flüchtlingshilfswerk betreuten Lager gibt es nicht nur eine ausreichende Lebensmittelversorgung, sondern auch Schulangebote für Flüchtlingskinder. 70.000 der 107.000 der syrischen Kinder in der Provinz Gaziantep erhalten schon Zugang zu Bildung – mit dem EU-Geld soll das überall möglich werden.

Als syrische Mädchen in traditionellen Trachten das EU-Trio begrüßten und Fotografen die Gruppe ablichteten, galt dies aus Berliner Sicht als politisch ungefährliches Foto – anders als die Flüchtlings-Selfies im vergangenen Jahr. Damals wurde Merkel vorgeworfen, sie lade mit solchen Fotos massenhaft Flüchtlinge nach Deutschland ein. Auch jetzt ist unter den Mädchen eines, das bald in die Bundesrepublik kommt. Doch die zwölfjährige Sara, die schon eineinhalb Jahre mit ihrer Familie in dem Vorzeigelager lebt, reist im Rahmen einer Familienzusammenführung legal nach Deutschland. Genau das ist Teil des EU-Türkei-Abkommens, das vorsieht, die „illegale“ Migration über die Ägäis durch eine „geordnete“ Aufnahme von Flüchtlingen abzulösen. Stoppt Ankara den Zustrom nach Griechenland, dann wird die EU Flüchtlinge direkt aus der Türkei aufnehmen – ausgewählt vom UNHCR.

Aber auch die türkische Regierung will ihre eigenen Bilder produzieren. Als das Quartett Merkel, Tusk, Timmermans und Davutoglu in Gaziantep bewacht von Scharfschützen vor dem Kinderschutz-Projekt aus dem Bus aussteigt, wird es von der Jugendorganisation der Regierungspartei AKP begrüßt – mit Sprechchören wie „Merkel, hu-la-la“. Doch am stärksten ist der Jubel für Davutoglu, und der dürfte das gewünschte Bild für das türkische Fernsehen geliefert haben. Auf der abschließenden PK zieht er beim Thema Meinungsfreiheit klare Grenzen. Die EU-Politiker mahnen Pressefreiheit an. „Aber wir werden nicht akzeptieren, dass wir von oben und außen beurteilt werden“, antwortet Davutoglu energisch – und verweist seinerseits auf eine Welle des „extremen Rassismus“ in der EU.

Dennoch zeigten sich Merkel, Tusk und Timmermans am Ende zufrieden. Sie haben nach eigenen Angaben den Teilerfolg, den sie dringend brauchen, um sowohl der Türkei als auch den 27 anderen EU-Partner weitere Zugeständnisse in der Flüchtlingskrise abzuringen. Ob die Aktion einer AKP-nahen Organisation die Arbeit erleichtert, war aber fraglich: Sie versahen die Straßen in der Millionenstadt Gaziantep mit Postern eines Merkel-Konterfeis. „Solidarität mit den Flüchtlingen“ heißt es dort auf Deutsch – mit dem Zusatz: „Wir sind stolz auf unsere Kanzlerin Frau Angela Merkel und unseren Ministerpräsidenten Herrn Ahmet Davutoglu.“

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