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Lebensversicherung: Das Ende der Überschüsse

Lesezeit: 15 min
01.05.2016 02:02
Die Policen-Inhaber von Lebensversicherungen werden durch die Zinsbaisse hart getroffen. Policeninhaber aus den 1980er und 1990er Jahren fahren gut, während die Versicherten mit tieferen Garantiesätzen bestraft werden.
Lebensversicherung: Das Ende der Überschüsse
Prämieneinnahmen und Bilanzsumme der Lebensversicherungen in Deutschland (Quelle: GDV)

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Das Tiefzinsumfeld bringt Lebensversicherungen in arge Schwierigkeiten. Sie haben in der Vergangenheit, vor allem in den Jahren 1995 bis und mit 2003, aufgrund einer rückwärts gewandten Formel hohe Garantiezinsen gewährt. Doch ihr Geschäftsmodell lässt sich bei der Zinsbaisse seit 2010 in Europa nicht mehr einhalten. Die buchhalterische Praxis und das ausgeklügelte System mit Reserven und Puffern gewähren etwas Aufschub, aber keinen vollständigen Schutz mehr. Die 2011 in Deutschland eingeführte Zinszusatzreserve beschleunigt in der Zukunft die Krise der Lebensversicherung. Die Garantien für die Altverträge mit hohen Garantiesätzen werden durch reduzierte Überschüsse bei den neueren Verträgen mit niedrigen Garantiesätzen finanziert.

Lebensversicherungen sind im Deutschland der Nachkriegszeit ein relativ junges Produkt. Sie sind ein wichtiges Sparprodukt, das vor allem seit den 1980er Jahren als Ergänzung zur umlagefinanzierten Rente regulatorisch und steuerlich gefördert wurde. Lebensversicherungen haben vor allem in den 1980er, 1990er Jahren und frühen 2000er Jahren massiv zugelegt. Dies war auch eine Folge der Deregulierung des Versicherungsmarktes in der Mitte der 1990er Jahre. Die Lebensversicherer schrieben Policen mit hohen Garantien von 3.5 Prozent (1987-94), 4 Prozent (1995-Juni 2000) und 3.25 Prozent von Juli 2000 bis Ende 2003.

Über diese hohen Garantien hinaus waren sie auch bis Anfang der 2000er Jahre fähig, hohe Überschüsse zu erwirtschaften, hauptsächlich weil sie in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verstärkt in Aktien investierten.

Die Nettorendite der Anlagen der Versicherer (blaue Linie) bezeichnet die nominale Rendite auf den Buchwertanlagen. Sie schließt neben den laufenden Renditen auch die Bewertungsgewinne oder -verluste auf Realisaten ein. Diese Nettorendite betrug bis zum Jahr 2000 immer 7 Prozent und mehr. Sie ist in den 2000er Jahren zunächst auf 5 Prozent, später auf 4 Prozent gefallen. In den letzten Jahren ist sie durch massive Realisate überzeichnet. Die laufende Rendite (rote Linie) gibt ein realistischeres Bild ab. Sie bezeichnet die Summe von Garantiesätzen und Überschusszuweisungen auf dem Altbestand. Sie ist von ebenfalls 7 Prozent bis und mit 2000 auf 4 Prozent in den 2000er Jahren und jetzt erstmals unter 3 Prozent im Jahr 2016 gefallen. Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen (gelbe Linie) zeigt, wohin die Reise in der Zukunft gehen könnte.

Von ihrem Geschäftsmodell her investieren die Lebensversicherer hauptsächlich und – auf den ersten Blick erstaunlicherweise – zunehmend in festverzinsliche Anlagen. Heute beträgt der Anteil festverzinslicher Anlagen – Obligationen, Kredite, Fonds, die in festverzinsliche Instrumente investieren – über 90 Prozent der gesamten Anlagen. Einzelne Versicherer mit höheren Gewichten für Aktienanlagen machten in den Jahren 2002 und wieder 2008 sehr unangenehme Erfahrungen. Die Erträge der sehr guten Jahre 1995 bis 1999 oder 2004 bis 2007 mussten jeweils zu hohen Prozentsätzen an die Policenhalter ausgeschüttet werden – zu 50 Prozent als laufender Überschuss. Als aber wegen der Aktienbaisse hohe Verluste wie 2002 oder 2008 auftraten, wurden sie zu einem erheblichen Teil den Aktionären belastet. Dieser Asymmetrie des Geschäftsmodells, die teilweise auch buchhalterisch begründet liegt, ist die Risikoscheu der Lebensversicherer bei ihren Anlagen zuzuschreiben. Das aus heutiger Sicht suboptimale Geschäftsmodell ist der Tatsache geschuldet, dass eine asymmetrische Anreizstruktur bei kurzen Zeithorizonten für die Anlagen auftritt – typischerweise einem Jahr.

Betrachtet man die Struktur der Aktiven aller deutschen Lebensversicherungen etwas genauer, so lässt es sich als ein Portfolio von Festverzinslichen Instrumenten mit überdurchschnittlich hoher Duration und guter Kreditqualität charakterisieren. Die modifizierte Duration lag Ende 2014 bei über 10. Eine solch hohe Duration bedeutet lange, im Durchschnitt 17 bis 20-jährige Laufzeiten bei relativ niedrigen Zinsen und dadurch hohe Zinsempfindlichkeit der Obligationen. Der Wert der Obligationen fällt (steigt) sehr stark bei einer Verschiebung der Zinsen über die ganze Kurve hinweg.

Der Zukunftsertrag eines solchen Portfolios ist heute aufgrund des Nullzinsumfeldes und der Anleihenkäufe der EZB praktisch inexistent. Es gibt keinen Zins auf Jahre hinaus und selbst die Werterhaltung ist nicht garantiert. Die ganze Zinskurve, auch bis ins lange Ende, rentiert nicht mehr viel. Wäre das Portfolio deutscher Lebensversicherer ein zu Marktwerten bilanzierter Fonds mit Anteilscheinen, würde man als einzelner Investor die Anteile sofort verkaufen. Die Zinsen, gerade die langen Zinsen, sind in den letzten Jahren gewaltig gesunken. Dadurch haben die Obligationen mit langer und sehr langer Laufzeit sehr hohe Kursgewinne erzielt. Gewinne mitnehmen und eine andere Anlagemöglichkeit suchen, wäre die Devise.

Was für den einzelnen Anleger in einen Fonds korrekt wäre, trifft für die Versicherten bei einer Lebensversicherung nicht zu. Vor allem bestimmte Gruppen von Versicherten haben allen Grund, an Bord zu bleiben. Drei Gründe sind hauptsächlich dafür verantwortlich:

1) Die viel höheren Buchwert-Renditen der Vergangenheit, welche die Obligationen im Portfolio enthalten, sind immer noch für die Bemessung der Zinsgutschriften wichtig. Eine Lebensversicherung bewertet das Obligationenportfolio für ihre Ausschüttungen nicht zu Marktwerten, sondern zu Buchwerten, genauer zu fortgeführten Anschaffungskosten (engl. amortized cost). Die jährliche Rendite einer Obligation oder eines Darlehens setzt sich dabei aus zwei Komponenten zusammen: dem Zinssatz auf Verfall bei der Anschaffung, plus der linearen Wertkorrektur der Obligation bis zur Rückzahlung. Wurde eine Obligation statt gleichmäßig zu 98 oder zu 105 Prozent Kurswert gekauft, wird sie bei Verfall zu 100 Prozent zurückbezahlt. Diese Differenz zwischen Kaufwert und Verkaufswert wird über die Zeit linear abgeschrieben. Sie kommt zum nominellen Zinsertrag hinzu.

2) Die Versicherten genießen, was auch immer sich im Obligationen-Portfolio abspielt, einen garantierten Mindestzins und ebenso ihm bereits zugeschriebene und damit garantierte Überschüsse aus der Vergangenheit. Der Versicherte hat nicht nur Garantien und Anwartschaften, sondern auch Optionalitäten, die es attraktiv machen können, in der Lebensversicherung zu verbleiben.

3) Lebensversicherungen haben ein ausgeklügeltes System von Puffern, Reservefonds und Schutzmechanismen, welches robust ist. Allerdings ist es keineswegs für ein anhaltendes Tiefzinsumfeld konzipiert.

Ein zentraler Teil der Wertschöpfung der Lebensversicherung ist oder besser war es, aus einem an sich sehr volatilen Portfolio (Obligationenportfolio mit hoher Duration und sehr guter Kreditqualität) eine über die Zeit hinweg ziemlich stabile Verzinsung einerseits und einen garantierten Zins andrerseits zu bieten – dies bei großer Fairness zwischen den verschiedenen Gruppen von Versicherten. Denn ein Obligationenportfolio hoher Kreditqualität (und damit relativ gesehen niedriger Zinsen) und langer Duration unterliegt bei substantiellen Zinsverschiebungen hohen Schwankungen der Marktwerte.

Doch die buchhalterische Sonderbehandlung währt nicht ewig. Läuft eine gut rentierende Obligation aus, die vor 10 Jahren mit einer Rendite von 5 Prozent gekauft wurde, so muss sie im jetzigen Umfeld allenfalls durch eine Obligation mit Nullzins oder leicht darüber ersetzt werden. Und diese wird dann in die Erträge der nächsten 10 bis 15 Jahre eingehen. Gemäß einer Bundesbank-Untersuchung von 2014 entspricht die Nettoverzinsung der Kapitalanlagen von Lebensversicherern in Deutschland über längere Zeiträume ungefähr der Rendite sechsjähriger Bundesanleihen plus einem Zuschlag für das Kreditrisiko.1

Die verschiedenen Erhebungen der Duration des Portfolios deutscher Lebensversicherer für die letzten drei Jahre2 zeigen, dass die durchschnittlichen Laufzeiten deutlich erhöht worden sind – dies in einem Tiefzinsumfeld. Die Lebensversicherer kauften vor allem Staatsanleihen mit langen Laufzeiten, hauptsächlich höchster und sehr hoher Kreditqualität (AAA und AA). Sie konzentrierten sich auf Bundesanleihen und Anleihen supranationaler Organisationen, teilweise aber auch Staatsanleihen anderer Euro-Länder, die mehr als die Bundesanleihen rentierten. Umgekehrt wurde aus aufsichtsrechtlichen Gründen die Eigenmitteldecke aufgestockt, indem die Lebensversicherer Realisate bei bisher gehaltenen Obligationen tätigten. Sie verkauften Obligationen mit hohen Renditen und Bewertungsreserven vor der Rückzahlung und konnten so hohe einmalige Bewertungsgewinne erzielen. Deshalb die ungewöhnlich hohen Nettorenditen der Anlagen in den letzten Jahren.

Es ist deshalb nicht einfach, genau abzuschätzen, was die Effekte auf die Portfoliorendite einerseits und die Duration wirklich sind. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Netto-Rendite des Portfolios exklusive der Realisate erheblich gesunken ist und dass sich die Phase niedriger Zinserträge lange, über 10 Jahre und darüber hinaus, hinziehen wird. Eine Indikation liefert die Gesamtverzinsung des Altbestandes. Deren Rendite ist von über 5 Prozent im Jahre 2010 auf rund 3.5 Prozent für 2016 gefallen und dürfte in den Folgejahren einen weiteren steilen Absturz erleiden. Auch die Gesamtverzinsung enthält noch Realisate, vor allem in den Investment-Fonds.

Mit anderen Worten werden die Versicherten verzögert und über einen langen Zeitraum von bis zu 10 Jahren massiv rückläufige Erträge auf ihren Sparguthaben bei Lebensversicherern erhalten.

Doch das trifft nicht alle Versicherten gleichmäßig, ganz im Gegenteil. Es gibt im gegenwärtigen Tiefzinsumfeld Versicherte, die enorm profitieren. Und andere sind dafür umso mehr benachteiligt. Um dies verstehen zu können, ist ein kleiner Exkurs über Lebensversicherungen nötig.

Eine Lebensversicherung ist vom Grundprinzip ein strukturiertes oder aus einem Risiko- und einem Sparteil zusammengesetztes Produkt. Der Risikoteil kann eine Todesfall- und/oder eine Invaliditäts-/Berufsunfähigkeitsversicherung betreffen – der Sparteil einer Garantieversicherung oder eine fondsgebundene (engl. unit linked) Police. Die Prämie, die der Versicherte beispielsweise monatlich einzahlt, hat entsprechend eine Kosten-, eine Risiko- und eine Sparkomponente. Die Kosten für Vertrieb und Abschluss werden in den ersten Jahren der Vertrags-Laufzeit dem Versicherten belastet. Die Prämie für die laufenden Kosten spielt auch später eine nicht zu unterschätzende Rolle, vor allem bei niedrigen Zinsen. Am Anfang reduziert sich somit die Ersparniskomponente erheblich.

Die Garantieverzinsung wie allfällige Überschüsse bei einem Garantieprodukt beziehen sich immer nur auf den Sparteil der Prämie, nicht auf die gesamte Prämie. Kosten und Risiko stellen je nach Produkt, Versicherung und Vertragsbeginn ungefähr 10-20 Prozent der Prämienzahlung dar.

Damit der Zinseffekt der Ersparnis erheblich werden kann, ist eine längere Ansparperiode von mehreren Jahren wichtig. Dann spielt die Verzinsung der angehäuften Sparprämien eine immer größere Rolle gegenüber den laufenden Einzahlungen wie auch gegenüber den laufenden Kosten. Das Sparprodukt wird entweder als einmalige Kapitalauszahlung, meist bei erreichtem Rentenalter, oder als laufende Rente bis zum Todesfall ausbezahlt. In Deutschland dominiert heute die laufende Rente gegenüber Kapitalauszahlungen, welche bis in die 1990er Jahre die überwältigende Mehrheit darstellten.

Die Erträge von Lebensversicherungen bestehen für die Versicherten im Wesentlichen aus drei verschiedenen Komponenten:

1) dem Garantiezins, der zum Zeitpunkt des Abschlusses der Lebensversicherung galt und der dem Kunden für die ganze Laufzeit der Police auf seinem Sparbeitrag garantiert ist. Versicherte, welche 1995 bis Juni 2000 einen Vertrag abschlossen, erhalten 4 Prozent, unabhängig bei welcher Versicherung sie den Vertrag abschlossen. Versicherte, welche seit 2014 einen Vertrag abgeschlossen haben, dagegen nur 1.25 Prozent, unabhängig von der Versicherung.

2) den laufenden Überschüssen über den Garantiezins hinaus, die den Kunden während der Laufzeit des Vertrages pro Jahr gutgeschrieben werden. Diese laufenden Überschüsse sind im Voraus nicht garantiert, sondern abhängig vom Investitionserfolg des Versicherungs-Portfolios im vergangenen Jahr. Sie werden jedes Jahr von der Versicherung gegen Jahresende neu festgelegt und dann dem Kunden gutgeschrieben. Sind die Gutschriften einmal gutgeschrieben, so sind sie genauso garantiert wie die Garantiebestände. Im Unterschied zu den Garantiezinsen differieren die laufenden Überschüsse je nach Versicherung und teils systematisch über die Zeit hinweg.

3) den Schlussüberschüssen, die bei Ablauf der Vertragsdauer zur Verfügung stehen. Die Versicherung wird, auch aus regulatorischen Gründen, nicht alle Überschüsse sofort ausschütten, sondern eine Reserve aufbauen. Diese steht dann als Schlussüberschuss für einmalige Kapitalleistungen oder für laufende Renten zur Verfügung. Dieser Schlussüberschussfonds stellt einen Puffer und eine Reserve für unvorhersehbare Entwicklungen dar. Auch diesbezüglich gibt es Unterschiede zwischen den Versicherungen.

Die folgende Grafik zeigt nun, wie sich diese Komponenten über die Zeit hinweg entwickelt haben. Sie vermitteln auch einen Eindruck, was die zukünftige Dynamik sein wird.

Was sich abzeichnet, sind verschiedene Trends: Die Garantiezinsen auf dem Altbestand und die laufenden Überschüsse fallen seit rund 2010 deutlich zurück. Die jährlich verbuchten Garantiezinsen sind von durchschnittlich 3.30 Prozent im Jahr 2010 auf 2.59 Prozent im Jahr 2015 gefallen – die durchschnittlich gutgeschriebenen laufenden Überschüsse von 0.9 Prozent auf 0.6 Prozent. Die Schlussüberschüsse beziehungsweise die Schlussüberschussfonds dagegen sind bisher praktisch unverändert geblieben.

Doch hinter diesem Bild verstecken sich eine Komplexität und ein erhebliches Risikopotential.

Die Reduktion der Garantiesätze ist nicht nur das Ergebnis der natürlichen Umwälzung des Kundenportfolios und der stark gesunkenen Garantiesätze im Neugeschäft. Die reduzierten Garantiesätze entspringen vor allem auch prudentiellen Eingriffen durch den Regulator. Auf dem Altbestand sinken die durchschnittlichen Garantiesätze normalerweise jedes Jahr nur einige wenige Basispunkte. Sie liegen aktuell bei rund 2.97 Prozent. Als die Zinsbaisse sich abzuzeichnen begann, hat die BaFin 2011 vorsorglich eine zusätzliche Sicherung eingebaut, die sogenannte Zinszusatzreserve. Diese repräsentiert eine zusätzliche Deckungssicherheit auf der Passivseite der Versicherungsbilanz. Sie zu vermehren, bedeutet in der Gewinn- und Verlustrechnung einen Aufwand, der durch einen zusätzlichen Ertrag erwirtschaftet werden muss. Dieser Ertrag resultiert in den meisten Fällen aus Verkäufen von Obligationen oder anderen festverzinslichen Instrumenten mit Bewertungsreserven. Mit anderen Worten tritt ein außerordentlicher Ertrag ein, welcher der Realisierung von stillen Reserven entstammt. Bilanzmäßig bedeutet dies eine Verlängerung der statutarischen Bilanz. Die Aktiven werden durch die Realisate erhöht und auf der Passivseite werden dadurch zusätzliche Reserven geschaffen. Ziel dieser Übung ist es explizit, den ausgewiesenen Garantiesatz auf dem Altbestand zu senken.

Diese Differenz zwischen dem Garantiesatz vor und nach der Zinszusatzreserve ist 2015 auf 38 Basispunkte angestiegen, was schon viel ist. Sie wird sich in den kommenden Jahren enorm ausweiten – auf schätzungsweise 70 bis 100 Basispunkte. Grund dafür ist die Entwicklung des Referenzsatz für die Zinssatzreserve.

Ähnlich der Formel für den Garantiesatz im Neugeschäft hat das BaFin 2011 einen gleitenden Durchschnitt der vergangenen 10 Jahre als Referenzsatz festgelegt (blaue Balken) – dies aber für die Zero-Coupon Swap-Rate mit 10-jähriger Laufzeit (jährliche Werte, grüne Balken). In den nächsten Jahren wird in diesem gleitenden 10-Jahresmittel jedes Jahr ein Zinssatz von rund 4 Prozent herausfallen und durch einen Satz von ca. 0-1 Prozent ersetzt werden. Das bringt einen jährlichen Rückgang des gleitenden Mittels von rund 30 Basispunkten, vielleicht noch mehr.

Die Versicherungen müssen ihr Deckungskapital im Ausmaß der Differenz zwischen diesem so berechneten Referenzsatz und dem Garantiesatz jeder Tarifgeneration als Zinszusatzreserve zurückstellen. Beispiel: Der Referenzsatz für die Zinszusatzreserve betrug 2011 erstmals weniger als 4 Prozent, nämlich 3.91 Prozent. Damit mussten für alle Verträge mit einem Garantiesatz von 4 Prozent Neun Vierhundertstel des Deckungskapitals (0.09 von 4 Prozentpunkten) als Zusatzreserve zurückgestellt werden. Im Folgejahr 2012 sank der Referenzsatz auf 3.63 Prozent. Damit mussten von den Verpflichtungen mit 4 Prozent Garantiesatz weitere 28 Vierhundertstel des gesamten Deckungskapitals dieser Tarifgruppe zurückgestellt werden. 2013 sank der Referenzsatz auf 3.41 Prozent. Damit musste nicht nur weitere 22 Vierhundertstel des 4 Prozent-Deckungskapitals, sondern erstmals auch Neun 35stel des 3.5 Prozent Garantie-Deckungskapitals zurückgestellt werden.

Der zu erwartende scharfe Rückgang des Referenzsatzes bewirkt also, dass jedes Jahr immer mehr Verträge – bisher mit Garantiesätzen von 4 Prozent, 3.5 Prozent, 3.25 Prozent, 2016 dann die Verträge mit 3 Prozent, 2017 wohl diejenigen mit 2.75 Prozent, 2018 dienenigen mit 2.25 Prozent – nachreserviert werden müssen. Die Summe der Zinszusatzreserve wird dadurch explosionsartig und exponentiell in die Höhe springen. Bisher und inklusive 2015 betrifft diese Nachreservierung rund 32 Milliarden Euro. Bis 2019/20 kann diese Summe auf rund 150 Milliarden Euro ansteigen, wenn die Zinssätze auf dem gegenwärtigen Niveau verbleiben – oder erst recht, wenn sie noch weiter sinken.

Die Zinszusatzreserve ist bisher ohne Nebengeräusche über die Bühne gegangen. Das hängt damit zusammen, dass ihre Größenordnung bisher limitiert ist und sie vom Regulator wie von den Versicherungsgesellschaften als Sicherstellung verkauft werden konnte. Sie hat tatsächlich diese eine vorteilhafte, aber daneben auch zwei unliebsame Wirkungen.

Die vorteilhafte Wirkung ist klar: Es gibt eine zusätzliche Deckungssicherheit, und der Garantiesatz im Altbestand sinkt durch diese Rückstellung beschleunigt. Das Bild bisher vermittelt den Eindruck, die Versicherung und die Versicherten zu stärken.

Doch das Ganze hat ganz erhebliche, unliebsame Nebenwirkungen. Die Zinszusatzreserve wird primär durch Realisate geschaffen, vor allem auf Obligationen mit Bewertungsreserven. Die so geschaffenen Cash-Bestände müssen dann zu aktuellen Marktsätzen wieder in neue festverzinsliche Instrumente reinvestiert werden. In der Realität werden somit gut rentierende Obligationen aus der Vergangenheit durch solche mit praktisch Nullzinsen abgelöst.

Mit anderen Worten sinkt nicht nur der Garantiesatz auf dem Altbestand, sondern ebenso die Portfoliorendite für die Zukunft. Die Rendite dieser Zukäufe liegt wieder viel tiefer als selbst die reduzierte Garantierendite auf dem Altbestand. Das vom BaFin vorgeschriebene Vorgehen zur Sicherstellung von hohen Garantien aus der Vergangenheit löscht also das Zukunftspotential dieses Portfolios beschleunigt aus. Wenn eine dauerhafte Niedrigzinsphase eintritt, dann hat dieses Vorgehen einen Beschleunigereffekt auf die Krise der Lebensversicherung. Das Vorgehen ist nur geeignet, vorübergehende Schwierigkeiten aufzufangen, aber keinesfalls eine lange Niedrigzinsphase zu bewältigen. Im Gegenteil: Die für die nächsten Jahre zu erwartende Zuweisungen in die Zinszusatzreserve gefährden Versicherung und Versicherte über den normalen, aus dem Verfall von Obligationen mit hohen Buchwertrenditen resultierenden Zinssenkungseffekt zusätzlich und vorzeitig.

Die Zinszusatzreserve stabilisiert die Garantieverpflichtungen der in den 1980er und 1990er Jahren verkauften Versicherungen mit hohen bis sehr hohen Garantiesätzen von 3.5 Prozent und 4 Prozent. Das sind hauptsächlich Kapitalversicherungen, die in den nächsten Jahren bis ungefähr 2030 ausbezahlt werden. Eine Kapitalversicherung beinhaltet eine einmalige Auszahlung des angesparten Kapitals bei Renteneintritt. Umgekehrt belastet sie vor allem diejenigen Rentenversicherungen mit tiefen Garantiesätzen. Das sind mehrheitlich Rentenversicherungen, die von 2007 an (2.25 Prozent Garantiezins) und vor allem in den 2010er Jahren (2.25 Prozent, 1.75 Prozent und 1.25 Prozent Garantiezins) gezeichnet worden sind. Diese Rentenversicherungen haben niedrige Garantiezinsen und werden bald sehr niedrige oder sogar keine laufenden Überschüsse mehr erhalten. Dies unter der Voraussetzung, dass die Zinsen in den nächsten Jahren nahe bei Null bleiben.

Damit zeichnet sich für die Versicherten folgende Gesamtdynamik bei den Lebensversicherungen ab. Sehr gut ist die Konstellation für diejenigen Versicherten, welche in den 1980er und 1990er Jahren eine Kapitalversicherung abgeschlossen haben. Sie haben damals in der Ansparphase bis zu Beginn der 2000er Jahre von laufenden Verzinsungen von rund 7 Prozent profitiert, dies Jahr für Jahr. Damit haben sie sehr rasch eine Ersparnis aufgebaut und haben auch in den 2000er Jahren noch anständige laufende Verzinsungen von 4 Prozent und darüber erhalten. Da sie hohe Garantiesätze von 3, 3.5 und 4 Prozent haben, auch für die Zukunft, wird ihr bereits sehr stattlich gefülltes Kapital real, d.h. nach Abzug der Inflation und der laufenden Kosten, immer noch sehr gut verzinst werden. Diese Generation von Versicherten mit hohen Garantiesätzen machen rund 45 Prozent des gesamten Deckungskapitals aus. Weil sie aber schon lange und zu hohen Renditen angespart haben, handelt es sich zahlenmäßig, von der Anzahl der Verträge her, um eine erstaunlich kleine Gruppe. Praktisch gleich gut gestellt sind die Versicherten mit Garantiesätzen aus dieser Zeit mit laufenden Renten.

Am anderen Ende der Skala stehen diejenigen Versicherten, welche in den 2010er Jahren eine laufende Rentenversicherung abgeschlossen haben. Sie sind mit niedrigen Garantiesätzen und laufenden Überschüssen gestartet und kommen dadurch einfach nicht auf die Gänge in der Ansparphase. Sie werden in den nächsten Jahren mehr oder weniger den Garantiesatz plus einige Krümel erhalten. Bei diesen niedrigen Zinsen fallen die laufenden Kosten eben auch ins Gewicht. Real, nach Abzug von Inflation und Kosten, können sie nur wenig bis nichts ansparen. Etwas besser oder weniger schlecht stehen die Rentenverträge mit einmaligen Einzahlungen da. Sie leiden zwar auch unter den niedrigen Garantiesätzen, haben aber bereits angespart.

Ebenfalls zu den Verlierern zählen dürften die rund 10 Millionen Versicherten mit Riester-Verträgen. An sich ist das Riester Modell mit der steuerlichen Subventionierung nicht grundlegend fehlkonstruiert. Aber tiefe Zinsen hohe direkte und indirekte Kosten durch die Garantien implizieren, dass die meisten Versicherten 85, 90 Jahre oder noch älter werden sollten, damit sie überhaupt so viel zurück erhalten, wie sie einbezahlt haben werden. Von einer realen Verzinsung ganz zu schweigen. Für diese Gruppe ist von Seiten der Politik dringender Handlungsbedarf gegeben.

Der Rest der Versicherten bewegt sich im Mittelfeld, mit großen Abweichungen in beiden Richtungen. Dabei spielt eine bedeutende Rolle, ob sie 3.25 Prozent Garantiesatz (2000-2003) oder ob sie 2.75 Prozent (2003-2006) oder 2.25 Prozent (2007-2010) aufweisen. Denn bei diesen Garantiesätzen kombinieren sich Zinseffekt und Länge der Ansparphase bei noch auskömmlichen laufenden Verzinsungen.

Ganz wichtig ist aber auch die Situation je nach Versicherung. Es gibt bei gleicher Konstellation bedeutende Unterschiede zwischen den einzelnen Versicherungen. Es gibt Versicherungen mit sehr guten Leistungen selbst für Jahrgänge 2011 ff. und es gibt solche mit bescheidenen Erträgen auch für die 2000er Jahre. Dabei spielt nur schon die Definition der Rendite eine Rolle, um überhaupt vergleichbare Angaben zu bekommen. Um ein Bild zu erhalten, lohnt sich ein Blick in die Überschussberichte der Assekurata.

Die Zinszusatzreserve hat negative Seiten: Neben dem systemrelevanten Defekt, dass die Portfoliorendite beschleunigt abgesenkt wird, kommt eine Verletzung der Fairness zwischen den Tarifgenerationen zum Vorschein. Denn was passiert mit den Kunden? Bisher galt, dass die Versicherten gleich welcher Garantie-Generation praktisch dieselben Gesamterträge erhalten haben. Dies unabhängig davon, ob der Garantiesatz 3.5, 4, 2.75 oder 2.25 Prozent betrug. Die Versicherungen haben immer so argumentiert und die Lebensversicherungen mit Garantien so verkauft, dass die Leistungen bzw. Erträge unabhängig vom Garantiesatz seien. Dies galt so effektiv in der Vergangenheit. Ceteris paribus gälte rein versicherungstechnisch sogar, dass die Gesamterträge höher ausfallen, wenn die Garantiesätze möglichst gering sind.

Doch mit dem Fall der Zinsen und mit dem Entscheid zur Bildung von Zinszusatzreserven nach dieser Formel mit dem Referenzsatz wird diese Fairness oder Gleichbehandlung der Kunden abgeschafft. Es findet eine zusätzliche Umverteilung von den Kunden mit ohnehin niedrigen Renditeerwartungen zu denjenigen mit sehr hohen Garantiesätzen statt. Tendenziell gilt für die Zukunft, dass jeder Kunde genau seinen Garantiesatz auf dem Sparteil bekommt und sonst keine laufenden Überschüsse mehr. Bei den sehr niedrigen Garantiesätzen von 1.25 Prozent und 1.75 Prozent wird es noch wenige Jahre für kleine laufende Überschüsse reichen. Die Schlussüberschüsse werden ebenfalls gekappt. Der Schlussüberschussfonds hingegen wird beibehalten, weil er Teil der Deckungsreserve ist.

Tendenziell gilt, dass die Kunden mit niedrigen Garantiesätzen wie 1.25, 1.75 oder 2.25 durch den Verzicht auf erklecklich laufende Überschüsse die Garantien der Kunden mit hohen Garantiesätzen aus den 1980er und 1990er Jahren finanzieren – eine große Ungerechtigkeit.

Im ersten Artikel (Alles falsch gemacht: Die Renten sind garantiert unsicher) wurden das Anlageumfeld für Lebensversicherungen charakterisiert. In diesem Artikel wurden die statutarisch-versicherungsmäßigen Aspekte beleuchtet. Der Autor möchte hierfür Herrn Dr. Will von der Assekurata Rating Agentur für Informationen und Erklärungen herzlich danken. Die Darstellung und Schlussfolgerungen sind die eigenen und geben nicht die Meinung der Assekurata wieder. Im nächsten Artikel werden die Effekte der 2016/17 eingeführten Solvenz II-Vorschriften, welche eine Marktwertbetrachtung beinhalten, für die Versicherten beleuchtet. Damit erst kann die Gesamtdynamik der Tiefzinspolitik für Lebensversicherungen und für die Versicherten voll erfasst werden.

1 Kablau, Anke und Weiß, Mathias: Wie wirkt sich das Niedrigzinsumfeld auf die Solvabilität der deutschen Lebensversicherer aus? Diskussionspapier Nr. 27/ 2014, Deutsche Bundesbank

2 Assekurata: Marktausblick zur Lebensversicherung 2015/16

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