Politik

Die Macht der Herausforderung: Putin hat gekniffen

Man möchte den wenigstens etwas ernstzunehmenden Menschen sehen, der geglaubt hat, Wladimir Putin würde die Herausforderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj annehmen, sich gemeinsam an den Verhandlungstisch in der Türkei zu setzen. Der russische Diktator meidet es generell, seine eigene Sicherheit zu riskieren (und das nicht ohne Grund) und bemüht sich, sich nicht allzu weit von seinem Bunker zu entfernen. Über einen Waffenstillstand zu verhandeln, geschweige denn über Frieden, hat der Aggressor gar nicht vor – das hat auch die nach Istanbul geflogene Schein-Delegation aus Russland gezeigt: eine kleine Gruppe unwichtiger, nichts entscheidender Leute.
16.05.2025 08:41
Lesezeit: 4 min
Die Macht der Herausforderung: Putin hat gekniffen
Der russische Präsident, Wladimir Putin, spricht während einer Videokonferenz (Foto: dpa). Foto: Alexander Kazakov

Putins Taktik: Zeit gewinnen, ohne Zugeständnisse zu machen

Als die Staatschefs der drei mächtigsten europäischen Länder – Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich – Russland ein Ultimatum stellten, am Montag, dem 12. Mai, einen Waffenstillstand zu verkünden, bastelte Putin in der Nacht zum Sonntag hastig einen Plan, um die westlichen Staatschefs an der Nase herumzuführen und ohne einen Gegenschlag Zeit zu gewinnen. Angeblich solle man doch bis Donnerstag warten – dann würden direkte Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul stattfinden.

Selenskyj antwortete sofort mit einem Gambit – er bot dem Kreml-Herrscher an, sich bei den Gesprächen persönlich von Angesicht zu Angesicht zu treffen. Politiker, Politologen und allerlei „Experten“ spekulierten drei Tage lang: Wird Putin sich trauen, zu dem Treffen zu erscheinen? Einen langen, dutzenden Meter langen Tisch werden die Organisatoren kaum anbieten. Außerdem ist laut dem russischen Aggressor der ukrainische Präsident „illegitim“. Wenn man sich mit ihm trifft, erkennt man ihn also als rechtmäßig an… Ein Teufelskreis.

Die wahre Ursache für Putins Abwesenheit

Doch der wahre Grund ist einfach – ganz gleich, mit welchen diplomatischen Feigenblättern Lavrovs, Sacharovas oder Peskovs ihn zu verdecken versuchen. Das angekündigte Treffen erinnerte in keiner Weise an ernsthafte Verhandlungen, sondern vielmehr an Moskaus Versuch, Sanktionen zu umgehen. Es ist überhaupt unverständlich, wozu das Theater um angebliche Verhandlungen nötig war. Wenn Russland wirklich einem Waffenstillstand zustimmen wollte, hätte es das bereits am Montag verkünden können: Wir stellen das Feuer ein.

Aber Russland will weiterkämpfen, will immer mehr ukrainisches Territorium erobern. Es will keinen Waffenstillstand, keinen Frieden – daher wiederholt es immer wieder dieselben abgedroschenen Bedingungen, die nichts anderes bedeuten als eine Kapitulation der Ukraine.

Schauen wir uns an, wer denn nun aus Russland zu den „direkten Verhandlungen“ nach Istanbul kam. Der oberste Verhandlungsführer: Wladimir Medinski, ein Berater (oder Assistent) von Putin. Außerdem ein stellvertretender Außenminister, ein stellvertretender Verteidigungsminister, der Chef des militärischen Geheimdienstes. Wenn man sich diese „Blumenstrauß“ an Verhandlern anschaut, wäre es nicht verwunderlich, wenn sich darunter auch ein „Spezialist“ für Haushalts- oder Hygieneangelegenheiten befände. Zum Beispiel ein Fensterputzer.

Selenskyjs Kritik: Keine echte Verhandlungsbereitschaft

„Wenn wir in der Delegation keine Spitzenvertreter sehen, heißt das, sie sind nicht bereit für Frieden, es fehlt der politische Wille, diesen Krieg zu beenden“, sagte Selenskyj auf einer Pressekonferenz. Mehrmals betonte er, dass Putin damit eine große Respektlosigkeit zeige – nicht nur gegenüber dem Land, gegen das er Krieg führt.

„Ich denke, der Kremlchef sollte erscheinen, wenn er wirklich zum Frieden bereit ist – ohne Vorbedingungen – so wie er es wollte, bitte sehr. Er hat uns nach Istanbul eingeladen, heute sind wir in Istanbul. Er ist nicht hier – wir können nicht um die ganze Welt reisen, um ihn zu suchen. Ich glaube, dass heute sowohl die USA als auch die Türkei dieses Fehlen von Respekt seitens Russlands spüren – sowohl gegenüber Präsident Donald Trump als auch gegenüber Präsident R. T. Erdoğan. Es wurde so viel Zeit darauf verwendet, alles vorzubereiten und zu organisieren. Das ist Respektlosigkeit gegenüber allen!“ – sagte der Präsident emotional.

Übrigens hat die Ukraine eine hochrangige Delegation in die Türkei geschickt.

Noch bevor die Treffen begannen, veröffentlichte der russische Außenminister Sergej Lawrow auf der Website seines Ministeriums eine Mitteilung, dass Russland einem Waffenstillstand nicht zustimmt. Und fügte zynisch hinzu: Europa und die Ukraine seien die Aggressoren. Dass dieser langjährige Minister nicht immer weiß, was er sagt, überrascht nicht. Zumal er ohnehin nichts entscheidet. Dort entscheidet nur eine einzige Person alles. Der Einzige, den der russische Außenminister lobte, war Donald Trump. Das Chaos, das der neue Präsident in der amerikanischen Innen- und Außenpolitik anrichtete, bezeichnete Lawrow als „Rückkehr zur Normalität“. Der Vertreter des Aggressors zeigte sich auch erfreut darüber, dass Russland unter Trump wieder begann, mit ihm zu sprechen.

Lawrows Ablenkungsmanöver und Trumps Rolle im Spiel

Man begann zwar zu reden, aber offenbar begann der US-Präsident allmählich zu begreifen, dass Putin ein falsches Spiel spielt. Doch ob er wirklich schon vollständig verstanden hat, dass der russische Hauptakteur nicht nur die europäischen Führer an der Nase herumführt, sondern auch ihn, Donald Trump, verspottet – das bleibt fraglich.

Tatsächliche neue Maßnahmen gegen den Aggressor werden jedoch weiterhin nicht ergriffen: Es gab ein Ultimatum, es wurde über harte Sanktionen gesprochen, sogar über eine verstärkte Waffenlieferung aus Amerika. Und was geschah? Nichts. Warum also sollte Putin aufhören? Ihm ist alles erlaubt. Auch so zu tun, als wolle er „Frieden“.

USA überlegen Zugeständnisse – eine gefährliche Strategie

Donald Trump erklärte gestern, am 15. Mai, dass er keine Fortschritte in der Ukraine-Frage erwarte. Zumindest nicht, solange er sich nicht mit seinem russischen Kollegen getroffen habe. „Ob es Ihnen gefällt oder nicht – ich glaube nicht, dass etwas passieren wird, bevor er und ich uns treffen“, sagte Trump gegenüber Journalisten an Bord der „Air Force One“ auf dem Flug von Katar in die Vereinigten Arabischen Emirate.

Vielleicht wird es irgendwann zu einem Treffen kommen. Dann wird Putin ihm von den „Ursachen“ des Konflikts erzählen: von den „legitimen russischen Interessen“, von den Banderisten, die Russland angeblich zerstören könnten, von den „legalisierten“ von Russland besetzten Gebieten – selbst von jenen, aus denen die Ukrainer nicht (!) abziehen wollen. Und dass es Russland nicht gelingt, sie zu erobern … Dann wird er noch erzählen, dass er eine andere Regierung in der Ukraine will – eine ihm genehme, etwa einen Medwedtschuk oder gar den noch lebenden Janukowitsch. Putin will, dass sich die NATO von der Ukraine fernhält – am besten, dass sie sich überhaupt möglichst weit zurückzieht.

Letztlich will er, dass es die Ukraine gar nicht mehr gibt.

Und später – dass es auch andere Länder Europas nicht mehr gibt. Sie stören ihn. Man sollte (hoffen wir) davon ausgehen, dass Trump all diesen Unsinn, den Russland verbreitet, schon gehört hat. Vielleicht braucht es dieses Treffen mit Putin gar nicht, vielleicht wird Trumps Geduld irgendwann erschöpft sein, vielleicht wird er der endlosen russischen Verhöhnung überdrüssig und ergreift ernsthafte Maßnahmen gegen Moskau – einschließlich der Lieferung von Waffen an die Ukraine?

Mit Mördern verhandeln? Ein gefährlicher Irrweg

Leider deuten neue Andeutungen hinter den Kulissen (wie „Bloomberg“ berichtet) darauf hin, dass die USA bereit sind, Russland Zugeständnisse zu machen: etwa – wie bereits erwähnt – die Annexion der Krim anzuerkennen, Sanktionen zu lockern. Damit Russland einem Waffenstillstand zustimmt. Mit Mördern zu verhandeln ist gefährlich – ihnen nachzugeben und ihre Bedingungen zu erfüllen, ist noch gefährlicher.

Selbst wenn es, laut Trump, „nicht Amerikas Krieg“ ist. Wie die Geschichte zeigt, wächst der Appetit ungestoppter Aggressoren immer weiter, und die geographische Vielfalt ihrer Raubzüge nimmt zu. Bis sie eine eiserne Faust zu spüren bekommen.

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