Das türkische Parlament hat am Freitag mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit für die Aufhebung der Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten gestimmt, berichtete das Parlamentsfernsehen. Der Schritt richtet sich vor allem gegen die Abgeordneten der Oppositionspartei HDP. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wirft ihnen vor, der «verlängerte Arm» der Terrororganisation PKK zu sein. Erdogan hatte dazu aufgerufen, ihre Immunität aufzuheben.
Vor der Abstimmung war es im Plenum zu einem Eklat gekommen. Parlamentarier der größten Oppositionspartei CHP verließen während der Debatte am Freitagvormittag unter Protest vorübergehend den Saal, wie der Sender CNN Türk berichtete. Sie skandierten dabei: «Die Türkei ist laizistisch und wird laizistisch bleiben.»
Die Aufhebung der Immunität geschieht über eine befristete Verfassungsänderung, so die dpa. Konkret stimmten die 373 Abgeordneten am Freitag dafür, einen Satz aus Artikel 83 für jene 138 Mitglieder der Nationalversammlung auszusetzen, denen Straftaten vorgeworfen werden. Der Satz besagt: «Ein Abgeordneter, der vor oder nach der Wahl eine Straftat begangen haben soll, darf nicht festgenommen, verhört, verhaftet oder vor Gericht gestellt werden, wenn die Versammlung nicht anderweitig entscheidet.» 138 Abgeordnete stimmten dagegen.
Damit ist der Weg für eine Strafverfolgung frei. Die HDP befürchtet die Festnahme von Abgeordneten ihrer Fraktion, gegen die vor allem Terrorvorwürfe erhoben werden. Parlamentarier anderer Parteien sehen sich Anschuldigungen wie etwa Amtsmissbrauch ausgesetzt.
Die 138 Abgeordneten, denen die Immunität entzogen wird, verteilen sich auf alle vier Parteien im Parlament: Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu gehören 27 zur islamisch-konservativen AKP (317 Sitze), 51 zur Mitte-Links-Partei CHP (133 Sitze), 50 zur pro-kurdischen HDP (59 Sitze) und neun zur ultrarechten MHP (40 Sitze). Außerdem soll der einzigen parteilosen Abgeordneten die Immunität entzogen werden.
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Rolf Mützenich, warnte das türkische Parlament im Vorfeld vor einer «Selbstentmachtung». Sollte Erdogan mit seinem Vorhaben durchkommen, werde «ein weiterer Baustein einer demokratischen Entwicklung in der Türkei entfernt», sagte Mützenich am Freitag im rbb-Inforadio. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte das Parlament in Ankara zuvor in der «Süddeutschen Zeitung» zum Widerstand gegen «autokratische Ambitionen» Erdogans aufgerufen.