Politik

Appell der Christen in Syrien: EU-Sanktionen treiben Menschen zur Flucht

Lesezeit: 2 min
28.05.2016 01:10
Hochrangige christliche Würdenträger Syriens fordern gemeinsam, dass die EU-Sanktionen gegen Syrien aufgehoben werden. Sie treffen vor allem die Bevölkerung. In einem Hilferuf schildern die Christen die dramatischen Folgen der Sanktionen. Die Christen bezeichnen die Flüchtlings-Diskussion als Heuchelei. Durch die Sanktionen werde die Gesellschaft zerstört, den Menschen bleibe nur die Flucht.
Appell der Christen in Syrien: EU-Sanktionen treiben Menschen zur Flucht

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In einem bemerkenswerten Aufruf mit dem Titel „Basta sanzioni alla Siria e ai Siriani“  fordern die Führer der christlichen Kirchen ein Ende der EU-Sanktionen gegen das syrische Volk (Übersetzung: Bernd Duschner): 

2011 hat die Europäische Union beschlossen, Wirtschaftssanktionen gegen Syrien zu verhängen. Die EU stellte sie als „Sanktionen gegen Persönlichkeiten des Regimes“ dar. Tatsächlich verhängte sie gegen das ganze Land ein Öl-Embargo, eine Blockade jeglicher Finanztransaktionen und ein Handelsverbot für sehr viele Güter und Produkte. Diese Maßnahmen sind immer noch in Kraft. Dagegen wurde 2012 aufgrund einer schwer verständlichen Entscheidung das Öl-Embargo für die Regionen aufgehoben, die die bewaffnete und dschihadistische Opposition kontrolliert. Dadurch sollen offenkundig den sogenannten „revolutionären Kräften und der Opposition“ wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

In diesen 5 Jahren haben die Sanktionen gegen Syrien dazu beigetragen, die syrische Gesellschaft zu zerstören: Sie lieferten sie dem Hunger, Epidemien und Elend aus und arbeiten somit den Milizen von Integralisten und Terroristen, die heute auch in Europa zuschlagen, in die Hand. Die Sanktionen vergrößern die Schäden durch den Krieg, der bereits zu 250.000 Toten, 6 Millionen Vertriebenen und 4 Millionen Flüchtlingen geführt hat.

Die Situation im Syrien-Konflikt ist verzweifelt: Es fehlt an Lebensmitteln, es herrscht eine allgemeine Arbeitslosigkeit, medizinische Behandlungen sind unmöglich geworden, Trinkwasser und Strom sind rationiert. Dazu kommt, dass das Embargo die Syrer, die sich bereits vor dem Krieg im Ausland niedergelassen haben, daran hindert, ihren Verwandten und Familienangehörigen im Heimatland Geld zu überweisen. Selbst Nichtregierungsorganisationen, die Hilfsprogramme durchführen möchten, können ihren Mitarbeitern in Syrien kein Geld schicken. Firmen, Stromwerke, Wasserwerke, und Krankenhäuser sind gezwungen, zu schließen, weil sie keine Ersatzteile und kein Benzin bekommen können.

Heute sehen die Syrer nur eine Möglichkeit für das Überleben ihrer Familien: die Flucht aus ihrem Land. Aber auch diese Lösung stößt auf nicht wenige Schwierigkeiten und führt zu hitzigen Auseinandersetzungen innerhalb der Europäischen Union. Es kann nicht sein, dass die Flucht die einzige Lösung ist, die die internationale Gemeinschaft diesen Menschen in ihrer Not noch lässt.

Wir unterstützen deshalb alle Initiativen humanitären Charakters und alle Initiativen für den Frieden von Seiten der internationalen Gemeinschaft, insbesondere die schwierigen Verhandlungen in Genf. In der Erwartung und der Hoffnung, dass sie nach so vielen bitteren Enttäuschungen ein konkretes Ergebnis bringen, fordern wir, dass die Sanktionen, die im tagtäglichen Leben jedes Syrers zu spüren sind, unverzüglich aufgehoben werden. Ohne konkrete Anstrengungen für die Menschen, die heute unter den Folgen des Embargos leiden, kann es nicht zu dem ersehnten Frieden kommen. Die Auswirkungen des Embargos lasten auf dem ganzen Volk.

Das Gerede über die Kriegsflüchtlinge aus Syrien sieht nach purer Heuchelei aus, solange man gleichzeitig, diejenigen, die in Syrien bleiben, weiter aushungert, ihnen die medizinische Versorgung, Trinkwasser, Arbeit, Sicherheit und die elementarsten Rechte verweigert.

Wir wenden uns deshalb an die Abgeordneten und Bürgermeister jedes Landes, damit

die Bürger der Europäischen Union (bis heute absolut unwissend) über die Ungerechtigkeit der Sanktionen gegen Syrien informiert werden und die Sanktionen endlich Gegenstand einer ernsthaften Debatte und entsprechender Beschlüsse werden.

Unterzeichner:

Georges Abou Khazen, Apostolischer Vikar von Aleppo

Pierbattista Pizzaballa, Kustos emeritus des Heiligen Landes

Josef Tobji, Erzbischof der Maroniten von Aleppo

Boutros Marayati, Armenischer Bischof von Aleppo

Die Schwestern der Kongregation des heiligen Josef der Erscheinung des Krankenhauses „Saint Louis“ von Aleppo

Ordensgemeinschaft der Trappistinnen in Syrien

Dr. Nabil Antaki, Arzt in Aleppo von der Ordensgemeinschaft der Gesellschaft Maria

Die Schwestern der Kongregation der immerwährenden Hilfe - Zentrum für Minderjährige und Waise von Marmarita

Pater Firas Loufti, Franziskaner

Jean – Clement Jeanbart, griechisch-orthodoxer Erzbischof von Aleppo

Jacques Behnan Hindo, syrisch-katholischer Bischof von Hassake – Nisibi

Mtanios Haddad, Archimandrit der katholisch-melkitischen Kirche

Hilarion Capucci, emerit. Erzbischof der melkitischen griechisch-kath. Kirche

Ignaz Youssef III Younan, Patriarch der unierten syrisch-kath. Kirche von Antiochien

Georges Masri, Prokurator beim Heiligen Stuhl der syr.isch-kath. Kirche

Gregor III Laham, Patriarch der melkitisch griechisch-kath. Kirche


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