Politik

Griechenland stoppt Abschiebung der Flüchtlinge in die Türkei

Der Türkei-Deal von Bundeskanzlerin Angela Merkel gerät durch die Entscheidung eines griechischen Gerichts in ernste Gefahr. Flüchtlinge dürfen nicht mehr in die Türkei abgeschoben werden, weil das Land unsicher ist. Damit teilt das Gericht die Einschätzung von zahlreichen Menschenrechts-Organisationen.
07.06.2016 00:51
Lesezeit: 2 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Ein griechisches Gericht hat die Abschiebung einer Gruppe syrischer Flüchtlinge in die Türkei gestoppt. Das Land sei nicht sicher genug, um die Menschen dorthin zurück zu schicken. Wie der EUobserver berichtet, entschied die Verwaltungsrekurskommission auf Lesbos zugunsten von neun syrischen Flüchtlingen, die nun in Griechenland bleiben dürften. Auf welchen Fakten diese Einschätzung beruht, berichtet das Blatt aber nicht. Das Anliegen eines anderen Flüchtlings, der aufgrund seiner Homosexualität Verfolgung in der Türkei fürchtet, wurde abgewiesen. Verteidigt wurde die Flüchtlingsgruppe von Pro Asyl. Die Menschenrechtsorganisation rechne in naher Zukunft mit weiteren Entscheidungen dieser Art.

Die Einschätzung des Gerichts auf Lesbos könnte nun auch den EU-Flüchtlingsdeal mit Ankara infrage stellen. Denn dieser beruht auf der Beurteilung, wonach es sich bei der Türkei um ein sicheres Herkunftsland handelt. Gestärkt wird die griechische Position von Amnesty International. In einem Bericht vom 3. Juni heißt es, dass Asylbewerbern und Flüchtlingen ein wirksamer Schutz in der Türkei verweigert werde. „Der EU-Türkei Deal ist rücksichtslos und illegal“, so John Dalhuisen, Amnesty International Direktor für Europa und Zentralasien, in einer Erklärung.

Auch die UN war aus genau diesem Grund von Anfang an gegen den Deal, ebenso Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl. Auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex war gegen den Deal und hatte explizit gesagt, dass sie die Türkei nie als sicheres Herkunftsland betrachtet habe.

Die Lage der Asylbewerber in Griechenland ist trostlos: Aus Protest gegen die schleppende Bearbeitung ihrer Anträge haben rund 40 Asylbewerber am Montag zwei große Zelte und mehrere Mülltonnen in einem Aufnahmelager der griechischen Insel Chios in Brand gesetzt. Nach Polizeiangaben dauerte es mehrere Stunden, bis die Situation im Lager Souda am Montag wieder unter Kontrolle war.

Als die Polizei einschritt, drohte einer der Randalierer demnach, seine Frau und sein Kind umzubringen. Vier Flüchtlinge wurden kurzzeitig festgenommen. In dem Lager lebten zuletzt rund tausend Menschen. Ein Teil von ihnen hat das Camp aber inzwischen auf eigene Faust verlassen und in der Umgebung Schutz gesucht, wie griechische Medien berichteten.

Es war bereits der dritte gewaltsame Vorfall in einem Flüchtlingslager auf den griechischen Ägäis-Inseln seit Anfang des Monats. Insgesamt werden derzeit bis zu 8500 Flüchtlinge auf den Inseln festgehalten. Viele von ihnen haben Asyl in Griechenland beantragt, um nicht in die Türkei und von dort in ihre Herkunftsländer abgeschoben zu werden.

Die griechischen Behörden sind mit der Flut der Anträge überfordert, in einigen Fällen warten die Flüchtlinge monatelang auf einen Entscheid. Zwar dürfen sie nur 25 Tage interniert werden, danach dürfen sie die Inseln aber auch nicht verlassen, bis über ihre Anträge entschieden ist.

Dennoch versuchen weiterhin zahlreiche Menschen, nach Europa zu gelangen - und viele überleben die gefährliche Flucht nicht: Drei Tage nach dem schweren Bootsunglück vor der griechischen Insel Kreta sind am Montag 31 Überlebende sowie die Leichen von neun Flüchtlingen im ägyptischen Hafen Alexandria eingetroffen. Wie die örtliche Polizei mitteilte, handelte es sich bei den Überlebenden um 26 Ägypter, zwei Sudanesen, zwei Eritreer und einen Äthiopier. Zur Nationalität der Toten gab es keine Angaben.

Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge befanden sich an Bord des am Freitag vor Kretas Südküste gekenterten Flüchtlingsboots mindestens 700 Menschen. Die griechische Hafenpolizei sprach von "mehreren hundert" Menschen. Die griechische Küstenwache teilte mit, von rund 340 geretteten Menschen würden 221 nach Italien gebracht. Laut der IOM kam das Boot vermutlich aus Afrika.

Wegen des guten Wetters und der ruhigen See wagen derzeit viele Menschen die Überfahrt über das Mittelmeer nach Europa. Das Unglück vor Kreta deutet darauf hin, dass offenbar verstärkt diese Route gewählt wird, um den in der Ägäis und vor Libyen kreuzenden Nato-Marineschiffen auszuweichen.

Seit Jahresbeginn ertranken laut Zahlen des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) von Ende Mai mehr als 2500 Menschen bei der gefährlichen Überfahrt im Mittelmeer. Mehr als 200.000 Migranten erreichten demnach die Europäische Union.

Wegen der Schließung der Balkanroute und des Inkrafttretens des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei hatten zuletzt weniger Flüchtlinge versucht, über die Türkei und Griechenland in die EU zu gelangen. Stattdessen waren wieder mehr Flüchtlinge über Libyen nach Italien gekommen. Kreta liegt zwischen der afrikanischen Küste und dem griechischen Festland.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Krypto-Coup: Milliarden für die Familienkasse
30.06.2025

Donald Trump lässt seine Kritiker verstummen – mit einer beispiellosen Krypto-Strategie. Während er Präsident ist, verdient seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Streit um Stromsteuer belastet Regierungskoalition
30.06.2025

In der Bundesregierung eskaliert der Streit um die Stromsteuer. Während Entlastungen versprochen waren, drohen sie nun auszubleiben –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft PwC: Künstliche Intelligenz schafft Jobs nur für die, die vorbereitet sind
30.06.2025

Künstliche Intelligenz verdrängt keine Jobs – sie schafft neue, besser bezahlte Tätigkeiten. Doch Unternehmen müssen jetzt handeln,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen United Internet-Aktie unter Druck: 1&1 reduziert Prognose
30.06.2025

1&1 senkt überraschend seine Gewinnprognose trotz zuletzt guter Börsenstimmung. Der Grund: deutlich höhere Kosten beim nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Inflation in Deutschland sinkt im Juni auf 2,0 Prozent: Energiepreise entlasten
30.06.2025

Die Inflation in Deutschland hat im Juni einen überraschenden Tiefstand erreicht – doch nicht alle Preise sinken. Was bedeutet das für...

DWN
Politik
Politik Trumps Schritte im Nahen Osten: Nur der Anfang eines riskanten Spiels
30.06.2025

Donald Trump bombardiert den Iran, erklärt die Waffenruhe – und feiert sich selbst als Friedensbringer. Experten warnen: Das ist erst...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Raucherpause im Job: Ausstempeln erforderlich?
30.06.2025

Raucherpause im Job – ein kurzer Zug an der Zigarette, doch was sagt das Arbeitsrecht? Zwischen Ausstempeln, Betriebsvereinbarung und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lufthansa sichert sich Anteile an Air Baltic – trotz Bedenken
30.06.2025

Die Lufthansa steigt bei der lettischen Fluggesellschaft Air Baltic ein – jedoch nicht ohne Bedenken der Kartellwächter. Was bedeutet...