Politik

Frontex: Wir haben die Türkei noch nie als sicheren Ort klassifiziert

Vor wenigen Tagen hat die Nato ihren Einsatz gegen Schlepper im Mittelmeer gestartet. Gerettete Flüchtlinge sollen nun auch in die Türkei zurückgeschickt werden können. Menschenrechtler kritisieren das als Aushebelung des europäischen Asylrechts – und auch die Grenzschutzagentur Frontex folgt anderen Prinzipien.
03.03.2016 01:00
Lesezeit: 2 min
Frontex: Wir haben die Türkei noch nie als sicheren Ort klassifiziert
Frontex soll auf dem Mittelmeer künftig von der Nato bei der Rettung von Flüchtlingen und dem Kampf gegen Schleuser unterstützt werden. (Foto: Frontex)

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Die Zahl von Migranten, die ihre Flucht nach Europa per Boot über das Meer antreten, bleibt besorgniserregend hoch. Bereits mehr als 100.000 Flüchtlinge sind seit Jahresbeginn über das Mittelmeer nach Europa gelangt, berichtet die Internationale Organisation für Migration (IOM) – weit mehr als in der ersten Jahreshälfte 2015.

Auch der Exekutivdirektor der EU-Grenzschutzbehörde Frontex, Fabrice Leggeri, bestätigte am Dienstag in Berlin, die Zahl der im Januar in Griechenland angekommenen Flüchtlinge liege um 600 Prozent höher als vor einem Jahr. Traurige Folge: Allein dieses Jahr ertranken der IOM zufolge bereits 413 Flüchtlinge im Mittelmeer.

Damit künftig weniger Migranten unkontrolliert über die Türkei nach Europa geschleust werden, beschlossen die 28 EU-Mitgliedstaaten, neben der EU-Grenzschutzagentur Frontex noch in diesem Monat Boote der Nato in der Ägäis einzusetzen. Der Vorschlag zum Anti-Schlepper-Einsatz war von Deutschland und der Türkei initiiert worden.

Dies ruft aber zahlreiche Menschenrechtler auf den Plan. Denn die Frage, wohin die auf hoher See Geretteten geschickt werden dürfen und wohin nicht, wird inzwischen innerhalb der EU unterschiedlich beantwortet.

Werden die Menschen von Frontex-Booten gerettet, dürfen die Schiffe sie nach Artikel 10 der EU-Verordnung 656/2014 zu den EU-Seeaußengrenzen, die im Juli 2014 erlassen wurde, nicht in die Türkei zurückbringen. Die Migranten sollen demnach in europäische Länder gebracht werden, die als als eindeutig „sicher“ gelten.

Doch sowohl die deutsche Verteidigungsministerin als auch andere Unionspolitiker betrachten die Türkei als sicher genug. Den Nato-Schiffen in der Ägäis soll laut Ursula von der Leyen darum erlaubt sein, aus Seenot gerettete Migranten wieder zurück in die Türkei zu bringen. Nicht vorgesehen ist es laut Bundesverteidigungsministerium nur, Schiffbrüchige oder Flüchtlinge gegen deren Willen an Bord zu nehmen.

Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende, Hans-Peter Friedrich, forderte daraufhin, auch Frontex solle künftig illegale Migranten nicht mehr nach Europa bringen. Das internationale Seerecht schreibe nur vor, dass diese Menschen an einen sicheren Ort gebracht werden müssten, sagte Friedrich vor einigen Tagen. „Zu einem solchen ‚sicheren Ort‘ gehört nach Auskunft von Frontex auch die Türkei.“ Die EU-Seeaußengrenzenverordnung, die Frontex derzeit zwinge, illegale Migranten nach Europa zu bringen, müsse deswegen dringend geändert werden, so Friedrich.

Die EU-Grenzschutzbehörde sieht das allerdings anders. „Wir haben noch nie im Mittelmeer gerettete Migranten in die Türkei ausgeschifft, sagt Frontex-Sprecherin Ewa Moncure gegenüber EurActiv.de. Entgegen kürzlich verbreiteten Behauptungen habe Frontex die Türkei noch nie als einen „sicheren Ort“ klassifiziert, und dies zu ändern, stehe auch nicht zur Diskussion.

Karl Kopp, Europareferent der Hilfsorganisation Pro Asyl, formuliert es drastischer: „Die Entscheidung, in der Ägäis gerettete Flüchtlinge in die Türkei zu schicken, kommt der Beerdigung des Asylrechts gleich“, sagt er im Gespräch mit EurActiv.de. Der Plan der Bundesverteidigungsministerin wäre ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht – „ein illegaler Push-Back“. Die geretteten Flüchtlinge hätten das formale Recht darauf, dass ihr Schutzbedürfnis in der EU mit einem fairen Verfahren geprüft wird.

Recht gibt Pro Asyl der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser hatte in einer am 23.02.2012 veröffentlichten Entscheidung festgestellt, dass die Zurückweisung von Flüchtlingen auf hoher See mehrere der in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierten Rechte verletzt.

Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte sich vor dem Beschluss kritisch geäußert: „Die Nato kann keine Rolle bei der Steuerung der Flüchtlingsmigration spielen“, sagte Steinmeier.

Pro Asyl warnt nun, am Anrecht für Flüchtlinge auf Asylrecht dürfe keinesfalls gerüttelt werden. „Frontex ist nur ein Werkzeug der EU und damit immer nur so menschenfreundlich, wie das EU-Recht selbst“, sagt Kopp.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Euractiv. EurActiv Deutschland ist das unabhängige Portal für europäische Nachrichten, Hintergründe und Politikpositionen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Der deutsche Markt konzentriert sich auf neue Optionen für XRP- und DOGE-Inhaber: Erzielen Sie stabile Renditen aus Krypto-Assets durch Quid Miner!

Für deutsche Anleger mit Ripple (XRP) oder Dogecoin (DOGE) hat die jüngste Volatilität am Kryptowährungsmarkt die Herausforderungen der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen KI-Schäden: Wenn der Algorithmus Schaden anrichtet – wer zahlt dann?
05.07.2025

Künstliche Intelligenz entscheidet längst über Kreditvergaben, Bewerbungen oder Investitionen. Doch was passiert, wenn dabei Schäden...

DWN
Panorama
Panorama Was Autofahrer über Lastwagen wissen sollten – und selten wissen
05.07.2025

Viele Autofahrer kennen das Gefühl: Lkw auf der Autobahn nerven, blockieren oder bremsen aus. Doch wie sieht die Verkehrswelt eigentlich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung 2024: Mit diesen 8 Steuertipps können Sie richtig viel Geld rausholen
05.07.2025

Viele Menschen drücken sich vor der Steuererklärung, weil diese manchmal etwas kompliziert ist. Doch es kann sich lohnen, die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaftskriminalität: Insider-Betrug kostet Millionen - Geschäftsführer haften privat
05.07.2025

Jede zweite Tat geschieht im eigenen Büro - jeder fünfte Schaden sprengt die fünf Millionen Euro Marke. Wer die Kontrollen schleifen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Microsoft kippt den Bluescreen, doch das wahre Problem bleibt
05.07.2025

Microsoft schafft den berühmten „Blauen Bildschirm“ ab – doch Experten warnen: Kosmetische Änderungen lösen keine...

DWN
Panorama
Panorama So bleiben Medikamente bei Sommerhitze wirksam
05.07.2025

Im Sommer leiden nicht nur wir unter der Hitze – auch Medikamente reagieren empfindlich auf hohe Temperaturen. Doch wie schützt man...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Bahn: Sanierung des Schienennetzes dauert länger – die Folgen
05.07.2025

Die Pläne waren ehrgeizig – bis 2030 wollte die Bahn mit einer Dauerbaustelle das Schienennetz fit machen. Das Timing für die...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt H&K-Aktie: Rüstungsboom lässt Aufträge bei Heckler & Koch explodieren
04.07.2025

Heckler & Koch blickt auf eine Vergangenheit voller Skandale – und auf eine glänzende Gegenwart und Zukunft. Der Traditionshersteller...