Politik

Österreich: Höchstgericht kippt Wahl des Bundespräsidenten

Das österreichische Bundesverfassungsgericht hat die Wiederholung der Wahl zum Bundespräsidenten angeordnet. Der Grund: Die massive Verletzung von Gesetzen bei der Auszählung der Stimmen.
01.07.2016 12:02
Lesezeit: 3 min

Die österreichische Bundespräsidentenwahl muss wegen Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung in ganz Österreich wiederholt werden. Das teilte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) des Landes am Freitag nach Überprüfung einer Wahl-Anfechtung der FPÖ mit. Der Vorgang dürfte EU-weit einmalig sein. Es ist kein Fall bekannt, in dem eine landesweite Wahl in einem EU-Mitgliedsstaat wegen Unregelmäßigkeiten wiederholt werden musste.

Der Sprecher des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes, Christian Neuwirth, kommentiert auf Twitter:

„Wahlen sind das Fundament unserer Demokratie. Es ist die vornehmste Pflicht des Verfassungsericht, dieses Instrument funktionstüchtig zu erhalten. Die Entscheidung macht niemanden zum Gewinner oder Verlierer“, so der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Gerhart Holzinger, am Mittag.  Ziel sei es vielmehr, das Vertrauen in den österreichischen Rechtsstaat und die Demokratie zu stärken. Das Verfahren sei eine sehr große Herausforderung sowohl quantitativ als auch qualitativ gewesen. Es sei ein einzigartiges Verfahren in der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit gewesen.

Bei der Auszählung der Stimmen der Briefwähler war es Holzinger zufolge zwar nicht zu einem Wahlbetrug gekommen, aber Vorgänge wie das vorzeitige Öffnen und vorschriftswidrige Lagern der Kuverts sowie das teilweise Auszählen durch Unbefugte seien Grund genug für eine Neuauflage. Das Wahlgesetz sei streng auszulegen.

Die geplante Vereidigung Van der Bellens am 7. Juli wird damit also nicht stattfinden. Nun muss das dreiköpfige Präsidium des Nationalrats, dem auch Hofer angehört, die Amtsgeschäfte des Staatsoberhaupts kommissarisch übernehmen. Neuwahlen werden für den Herbst erwartet. Wiederholt werden soll nur der zweite Wahlgang, bei dem Van der Bellen und Hofer als die beiden bestplatzierten Kandidaten der ersten Runde gegeneinander angetreten waren. Der amtierende Bundespräsident und Sozialdemokrat, Heinz Fischer, scheidet nach dem Ende seiner zweien Amtszeit in der kommenden Woche als Staatsoberhaupt verfassungsgemäß aus.

Das Gericht hatte im vergangenen Monat geprüft, ob die Bundespräsidentenwahl trotz formaler Mängel gültig ist oder in Teilen wiederholt werden muss. Der VfGH hatte zur Klärung der Vorwürfe 67 Zeugen vorgeladen. Zahlreiche Wahl-Verantwortliche hätten bei Befragungen Regelverstöße bei der Auszählung der Briefwahlstimmen eingeräumt. So seien aus Zeitnot Kuverts vorzeitig geöffnet und die Stimmen auch teils von nicht Befugten ausgezählt worden. Hinweise auf Wahlbetrug habe es aber nicht gegeben.

Anfang Juni hatte die FPÖ die Wahl des Bundespräsidenten angefochten. Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer war bei der Stichwahl am 22. Mai nur sehr knapp dem unabhängigen Kandidaten Alexander Van der Bellen unterlegen. Auf Hofer entfielen 49,7 und auf Van der Bellen 50,3 Prozent, was einer Differenz von rund 31.000 Stimmen entsprach. Ausschlaggebend für das Ergebnis waren die rund 700.000 Briefwahlstimmen, die erst am Tag nach der Wahl ausgezählt wurden. Die FPÖ beklagt jedoch, es sei zu Unregelmäßigkeiten bei der Wahl gekommen, und brachte eine gut 150 Seiten umfassende Anfechtungsklage bei Gericht ein.

Auch die Grünen räumten ein, dass die Zustände bei der Wahl inakzetabel gewesen seien. Konkrete Manipulationsvorwürfe gibt es zwar nicht. Doch das Verfassungsgericht hat in der Vergangenheit bei Wahlen besonders strenge Maßstäbe angelegt. Schon die Möglichkeit der Manipulation reicht aus, um einer Wiederholung zu veranlassen. Zuletzt war bekannt geworden, dass einzelne Wahlbehörden die Ergebnisse vor dem offiziellen Schluss der Wahllokale an die Austria Presse Agentur weitergegeben hatten. Der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk sagte im ORF, dass die „Sperrfrist“, mit der die Meldungen versehen waren, keinesfalls ausreichend seien – und erwartete einen Wiederholung der Wahl.

Entscheidungen des Gerichts werden mit Stimmenmehrheit hinter verschlossenen Türen gefällt. Ob über eine Sachlage einstimmig oder nur mit knappem Konsens abgestimmt wurde, wird im Gegensatz zu anderen Ländern nicht bekanntgegeben. Eine so große und öffentliche Verhandlung wie zur Anfechtung der Bundespräsidentenwahl durch die FPÖ hat es in der Geschichte des Gerichts noch nie gegeben.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie Arbeitsmarkt: Top-Berufe, die es vor 20 Jahren noch nicht gab
31.03.2025

Eine Studie von LinkedIn zeigt, wie Künstliche Intelligenz (KI) neue Jobs und Fähigkeiten schafft, Karrieren und Arbeitswelt verändert:...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie: Kurs knickt nach Orcel-Aussage deutlich ein
31.03.2025

Die Commerzbank-Aktie muss nach einer starken Rallye einen Rückschlag hinnehmen. Unicredit-Chef Andrea Orcel hatte zuvor einen möglichen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU vor Herausforderungen: Handelskriege könnten die Wirtschaft belasten – der Ausweg heißt Binnenmarkt
31.03.2025

Die protektionistischen Maßnahmen der USA und mögliche Handelskonflikte belasten die EU-Wirtschaft. Experten wie Mario Draghi fordern...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Betonblock: Lego verklagt Hersteller von Anti-Terror-Betonklötzen
31.03.2025

Lego verklagt das niederländische Unternehmen Betonblock. Die Anti-Terror-Blöcke des Herstellers erinnerten zu sehr an die...

DWN
Technologie
Technologie Neue EU-Vorschriften: Plug-in-Hybriden drohen deutlich höhere CO2-Emissionen
31.03.2025

Mit der Einführung neuer, verschärfter Emissionsmessungen für Plug-in-Hybride (PHEVs) wird die Umweltbilanz dieser Fahrzeuge erheblich...

DWN
Politik
Politik Marine Le Pen wegen Veruntreuung zu Fußfesseln verurteilt - FN-Chef Bardella: "Hinrichtung der französischen Demokratie"
31.03.2025

Marine Le Pen wurde in Paris wegen der mutmaßlichen Scheinbeschäftigung von Mitarbeitern im Europaparlament schuldig gesprochen - das...

DWN
Technologie
Technologie Balkonkraftwerk mit Speicher: Für wen sich die Investition wirklich lohnt
31.03.2025

Balkonkraftwerk mit Speicher: eigenen Strom gewinnen, speichern und so Geld sparen. Doch so einfach ist es leider nicht, zumindest nicht...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Der Handelskrieg gefährdet die US-Ausnahmestellung
31.03.2025

Da Investitionen nach neuen Möglichkeiten abseits der zuletzt florierenden US-Finanzmärkte suchen, wird an der Wall Street diskutiert, ob...