Politik

Brasilien: Die Sorge der Armen vor dem Verlust des Almosens

Lesezeit: 1 min
28.10.2014 02:10
Brasiliens Präsidentin Dilma Roussef gilt bei vielen Bürgern als der Inbegriff von Korruption und Misswirtschaft. Doch vor allem die Menschen aus den Armenvierteln haben bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag für sie gestimmt. Rousseff konnte die Menschen überzeugen, indem sie dem Gegenkandidaten Aécio Neves vorwarf, er plane Einschnitte beim Sozialhilfe-Programm. Die Angst der Armen, ihre Almosen zu verlieren, war zu groß.

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Soll man jetzt den Brasilianern zum „brillanten Sieg“ von Dilma Roussef gratulieren, oder sollte man das „Volk“ eher bedauern? Ich erinnere mich an unzählige Gespräche – im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft - mit Angehörigen der Protestbewegung gegen Korruption und Verschwendungssucht.

Auf dem Höhepunkt der Proteste verschafften sich in den Social Networks immer mehr Stimmen Gehör, die forderten, „Dilma und ihre korrupte Clique sollten bei den Wahlen im Oktober abgestraft“ werden. Es sei Niemandem damit genutzt, wenn man das Milliardengrab „Copa“ jetzt boykottiere. Augen zu und durch. Der einzig wirksame Protest finde an der Wahlurne statt.

Diese Möglichkeit des Protests blieb bei diesen Wahlen jedoch ungenutzt: Die Brasilianer – vor allem die Ärmeren im Norden und Nordosten des Riesenlandes – wählten mehrheitlich Dilma und ihre Arbeiterpartei PT. Ausschlaggebend war wohl, dass Dilmas „Arbeiterpartei“ im Wahlkampf die Mär verbreitete, Aécio Neves, der Gegenkandidat von der „Partei der brasilianischen Sozialdemokratie“, PSDB, wolle die „Bolsa Família“ abschaffen.

Die Armen hatten Angst, die „Bolsa Família“, das kleine Almosen, ein paar Krümel, die ihnen ihre paternalistische Führung zur Verfügung stellt, zu verlieren. Die „Bolsa Família“ wurde vom ehemaligen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva ins Leben gerufen. Bei dem Sozialhilfeprogramm wird Familien mit monatlichen bis zu 140 Reais pro Person geholfen. 140 Reais, das sind knapp über 40 Euro. Mit dem Betrag kommt man auch in Brasilien nicht weit.

Niemand wollte dieses Sozialhilfeprogramm abschaffen. Doch die Angstkampagne der PT zeigte Wirkung: Noch vor wenigen Monaten waren Hunderttausende auf die Straße gegangen, hatten bessere Leistungen im öffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen sowie Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr und bei der öffentlichen Sicherheit gefordert. Die überbordende Korruption und die obszöne Selbstbedienungsmentalität der PT-Regierung und ihrer Günstlinge wurden angeprangert.

Der Protest sollte an der Wahlurne zum Ausdruck gebracht werden. Doch die Angst der Armen, ihre Almosen, und seien sie noch so klein, zu verlieren war größer. „Angst essen Protest auf“ – bis zum nächsten Großereignis: In zwei Jahren wird in Rio de Janeiro ein noch größeres Ereignis als die „Copa“ stattfinden: die Olympischen Spiele. Und es werden wieder Hunderttausende auf die Straße gehen und ein Ende der Korruption und Misswirtschaft fordern. Und es wird Stimmen geben, die behaupten, der Protest solle an der Urne und nicht auf der Straße stattfinden… Armes Brasilien!


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